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Die Einheimischen kicken am Strand...

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WM 2014 - Quartier der Nationalmannschaft: Ohne Deutsche wäre in Santo André gar nichts los

Seit das deutsche Nationalteam in Santo André Quartier bezogen hat, ist der verschlafene Ort in Unordnung geraten. Wenn die DFB-Elf zu Spielen reist, kehrt das Dorf zu seinem Urzustand zurück.

Dieses Stück Rasen, an manchen Stellen leicht angedorrt und schlecht verwachsen, ist jetzt schon ein Politikum. Er soll mal ein Fußballplatz werden, und bis auf Strafraumhöhe hat er es schon geschafft. Der Rest: ein Untergrund aus weißem Sand. Auf dem imaginären Mittelpunkt döst ein Hund in der Sonne. Zwei Wochen hat sich nichts getan, seitdem die ersten Rasenstücke verlegt wurden. Inzwischen gibt es erste Anzeichen von Unmut. „Cadé o campo?“, stand Ende voriger Woche auf einem Transparent. Wo ist der Platz, der den Einwohnern von Santo André versprochen wurde? Auch dafür, dass ihr Leben ein wenig in Unordnung geraten ist.

Die Deutschen sind über sie gekommen. Oder besser: die deutsche Fußball-Nationalmannschaft, die für die Zeit der Weltmeisterschaft ihr Quartier am Strand von Santo André bezogen hat.

Eigentlich ist der Ort durch die Natur vor Eindringlingen aller Art geschützt. Santo André liegt auf einer dreieckigen Insel, die vom Atlantik begrenzt wird und von den beiden Seitenarmen des Rio Joao de Tiba. Niemand kommt hier zufällig mal vorbei. Eine Handvoll Sandstraßen mit Schlaglöchern führt durch den Ort, an der asphaltierten Umgehungsstraße hängt ein selbstgeschriebenes Schild an Palmen, das zur Vorsicht mahnt: Hier wohnt ein 100 Jahre alter Greis.

Für das Achtelfinale der Deutschen gegen Algerien stellt niemand den Fernseher raus

Der Fußballplatz, der erst noch werden muss, wird einmal der Mittelpunkt des Dorfes sein. Schon jetzt treffen sich die Leute bei den WM-Spielen der Brasilianer hier zum Public Viewing. Aber was heißt schon Public Viewing, wenn die Öffentlichkeit aus gerade mal 800 Einheimischen besteht. Da genügen ein Flachbildfernseher und ein paar Stühle und Tische aus Plastik. Für das Achtelfinale der Deutschen gegen Algerien stellt niemand den Fernseher raus. Neben dem Rasenstück spielen ein paar Kinder Baseball, mit Holzlatten und Tennisball, das Spielfeld ist mit zwei Colaflaschen markiert.

... den deutschen Fußballern steht ein gepflegter Rasenplatz zur Verfügung.
... den deutschen Fußballern steht ein gepflegter Rasenplatz zur Verfügung.

© dpa

Von der Mitte des Dorfes muss man zweimal abbiegen, dann ist man in einer anderen Welt. In der Welt der Deutschen. Oder zumindest an deren streng bewachtem Rand. Aber heute sind die Deutschen nicht da, sie sind vor zwei Tagen nach Porto Alegre geflogen. Sogar die Militärpolizisten haben die Insel für ein langes Wochenende verlassen. Sie werden gerade nicht benötigt. Die Leute im Dorf sind der Meinung, dass sie auch sonst nicht benötigt werden. Die massive Präsenz der Sicherheitskräfte ertragen sie mit Verwunderung und Sarkasmus. Wenn man die Polizei nach der WM mal wirklich brauchen sollte, erzählt jemand, komme sie sowieso nicht – weil ihr die Anfahrt über die Fähre zu mühselig ist.

Selbst wenn die Deutschen zu Hause wären – zu sehen gäbe es eh nichts

Vom halbfertigen Fußballplatz geht es vorbei an zwei Bierbuden, die sich mit Kampfpreisen zu unterbieten versuchen. Rechts gibt es für zehn Reais drei Biere à 0,6 Liter, links für denselben Preis sogar vier. Geschlossen haben beide. An der Ecke liegt der kleine Supermarkt, gegenüber trocknet die Wäsche in der Sonne. Ein Teil hängt auf der Wäscheleine, der Rest auf dem Stacheldrahtzaun.

Nach links sind es zweihundert Meter bis zum Campo Bahia. Rechts des Weges liegt eine große Brache. „Zum Verkauf“ steht auf einem Schild – auf Deutsch. „Direkt vom Eigentümer. Grundstück in erster Meereslinie.“ Dazu eine deutsche Handynummer. Die sonst streng bewachte Barrikade ist an den Straßenrand geschoben. Der Hinweis „Atençao: Area Interditada“ – Vorsicht: Verbotszone – gilt ausnahmsweise nicht. Normalerweise endet hier die Reise, selbst die Anwohner müssen sich ausweisen, wenn sie nach Hause wollen. Heute schaut der Militärpolizist nur gelangweilt. Zwei Jungs sitzen auf Plastikstühlen am Straßenrand und starren auf das riesige Eingangstor.

Der Hinweis "Vorsicht: Verbotszone" – gilt ausnahmsweise nicht

Selbst wenn die Deutschen zu Hause wären – zu sehen gäbe es eh nichts. Der Zaun ums Campo ist der höchste der ganzen Straße. Am Ende des Grundstücks führt ein enger Weg zum Strand. Durch die Palisaden kann man einen Blick ins Schattenreich der Nationalmannschaft werfen, auf die weißen, zweistöckigen Häuser mit den verglasten Balkonen. An den Palmen im Garten lehnen Mountainbikes. Zur Strandseite wacht ein Militärpolizist in seiner gefleckten Tarnuniform mit Schlapphut und Maschinenpistole vor dem Bauch. Der Blick ins Campo ist versperrt. Was umgekehrt bedeutet, dass den Spielern auch der Blick aufs Meer mit einer grünen Wand aus Spanplatten versperrt ist.

In einer halben Stunde ist Anpfiff. Das Restaurant in der Straße der Deutschen ist menschenleer. In der Bar neben dem kleinen Supermarkt, die eher aussieht wie eine Garage, sitzen ein paar Leute beim Bier. Im Fernsehen läuft eine Telenovela.

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