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Mach' die Beine breit: Cristiano Ronaldo nimmt Anlauf zum Freistoß.

© AFP

WM 2014: Der Fokus des Nationalteams liegt auf Cristiano Ronaldo

Auf die deutsche Abwehr wartet wieder einmal eine besondere Herausforderung. Gegen Portugal kommt es darauf an, dass Cristiano Ronaldo nicht ins Tempo kommt. Oder noch besser: gar nicht erst an den Ball.

Mit der Wahrnehmung von Cristiano Ronaldo ist das so eine Sache. Die einen sehen ihn gar nicht, die anderen offensichtlich gleich doppelt. Mitte der vorigen Woche herrschte mal wieder große Aufregung rund um die portugiesische Nationalmannschaft. Ronaldo, der Superstar des Teams, hatte das Training vorzeitig abbrechen müssen, mit schmerzverzerrtem Gesicht und einem Eisbeutel auf dem lädierten linken Knie verließ er den Platz. Später stellte sich heraus, dass es sich offensichtlich um den zweiten, den anderen Cristiano Ronaldo gehandelt haben muss. Der richtige hatte die Trainingseinheit ganz normal beendet.

Joachim Löw, der Bundestrainer, macht sich keine Sorgen, dass seine Spieler Cristiano doppelt sehen, wenn sie heute in Salvador de Bahia auf Portugal treffen. Im Gegenteil. „Er schleicht sich ein bisschen in den Rücken der Gegenspieler“, sagt Löw, „in den toten Winkel. Man sieht ihn nicht.“

Schon vor zwei Jahren, bei der Europameisterschaft in Polen und der Ukraine, war Portugal erster Gruppengegner der deutschen Nationalmannschaft, und man hat gerade das Gefühl, in eine Art Zeitschleife geraten zu sein. Die Einschätzungen zu den Portugiesen im Allgemeinen und Cristiano Ronaldo im Besonderen wiederholen sich: Portugal sei ein Gegner auf Augenhöhe, man spiele nicht gegen Ronaldo alleine, man könne ihn nur als Team erfolgreich in Schach halten, und trotzdem müsse man natürlich jederzeit höllisch auf ihn aufpassen.

Cristiano Ronaldo ist ein Phänomen

Man kann die Aufregung sehr gut verstehen. Ronaldo ist das derzeit unwiderstehlichste Phänomen des Weltfußballs. Seitdem er 2009 von Manchester United zu Real Madrid gewechselt ist, hat er in 246 Pflichtspielen 252 Tore für seinen Klub erzielt. Und gerade die Deutschen haben in dieser Saison unter dem Portugiesen leiden müssen. In fünf Champions-League-Spielen gegen Schalke, Dortmund und Bayern traf er sieben Mal.

Man kann die ganze Aufregung auch für ziemlich übertrieben halten. Seit 2006 ist die Nationalmannschaft drei Mal auf Portugal getroffen, jedes Mal hat sie die Angelegenheit für sich entschieden: 2006 im Spiel um Platz drei (3:1), 2008 im Viertelfinale (3:2) und 2012 in der Vorrunde (1:0). Was fast noch wichtiger ist: Cristiano Ronaldo hat in keinem dieser drei Aufeinandertreffen ein Tor erzielt.

„Wir spielen nicht Deutschland gegen Cristiano Ronaldo, wir spielen Deutschland gegen Portugal“, sagt Verteidiger Benedikt Höwedes. Das ist richtig, aber auch nur die halbe Wahrheit. Das Spiel der Portugiesen ist derart auf Ronaldo fixiert, dass es die deutschen Chancen auf einen erfolgreichen Start in das WM-Turnier erheblich steigern würde, wenn es gelänge, den Weltfußballer aus dem Spiel zu nehmen.

Wer wird Cristiano Ronaldo beschatten?

De jure wird Jerome Boateng als Rechtsverteidiger die Beschattung des portugiesischen Linksaußen übernehmen, so wie es auch schon bei der EM vor zwei Jahren der Fall war. Damals erledigte der Münchner den Job zur allgemeinen Zufriedenheit: Von Ronaldo war wenig zu sehen. De facto aber handelt es sich um eine Aufgabe für die ganze Mannschaft. „Wenn Ronaldo im Tempo ist, mit dem Ball am Fuß, dann kann man ihn nicht gänzlich ausschalten“, sagt Joachim Löw. Also wird es darauf ankommen, dass Ronaldo nicht ins Tempo kommt oder – noch besser – gar nicht erst an den Ball.

Einfach wird das nicht. Der Bundestrainer hält die Portugiesen für einen harten Brocken. „Diese Mannschaft ist schon extrem gefährlich“, sagt er. Wie keine andere verstehe sie sich aufs Verteidigen – und bereite dabei schon den eigenen Angriff vor. Für Joachim Löw ist Portugal eine der besten Kontermannschaften der Welt. Zehn ihrer letzten zwölf Tore fielen nach schnellen Gegenstößen.

So wie die Portugiesen beim Verteidigen bereits ihren kommenden Angriff vorbereiten, so werden die Deutschen in ihrem Offensivspiel immer schon die Defensive mitdenken müssen. Auch deshalb besetzt Löw die beiden Außenverteidigerpositionen mit den gelernten Innenverteidigern Höwedes und Boateng (siehe Text rechts). Sie sollen ihren Offensivdrang weitgehend zügeln und nicht zu weit aufrücken – um den Portugiesen in ihrem Rücken keinen Raum anzubieten.

Was macht Ronaldo? Wo ist Ronaldo?

Denn genau darauf lauert Cristiano Ronaldo. Er hält sich „irgendwo im Niemandsland“, hat Joachim Löw bei der Gegnerbeobachtung festgestellt, doch ehe man sichs versieht, ist Ronaldo plötzlich mitten im Geschehen. „Er macht mit die besten Laufwege“, sagt der Bundestrainer. Und man muss sich darauf einstellen, dass Ronaldo nicht nur läuft, wenn er eine Chance hat, den Ball zu bekommen. Bei jedem Konter sprintet er los – und zwingt seinen Gegenspieler damit zu einer Reaktion.

Auf Jerome Boateng kommt heute eine besondere Herausforderung zu – weil er sich zu einem gewissen Grad von alten Gewohnheiten lösen muss: weil er den Ball ruhig mal aus den Blick lassen kann, um sich ausschließlich auf Ronaldo zu fokussieren. „Man darf ihn im wahrsten Sinne des Wortes nicht aus den Augen lassen“, sagt der Bundestrainer. Die Portugiesen wissen, wo Ronaldo hinläuft, die Pässe auf ihn respektive in seinen Laufweg werden quasi blind gespielt. „Es ist eine Sache der Aufmerksamkeit und Wachsamkeit“, sagt Joachim Löw. „Der Spieler, der gegen ihn spielt, muss sehen: Was macht Ronaldo? Wo ist Ronaldo?“ Damit es am Ende wieder heißt: Wer war noch mal Ronaldo?

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