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WM-Bewerbung: Fußball ist in den USA immer noch ein Stiefkind

Nach 1994 bewerben sich die USA erneut um eine WM. Der amerikanische Fußball wartet immer noch sehnsüchtig auf den Boom – wie das Beispiel der Portland Timbers zeigt.

Frühmorgens, wenn Dunkelheit und der in dieser Jahreszeit für den pazifischen Nordwesten so typische Regen die Stadt in ein tristes Kleid hüllen, herrscht auf der Baustelle zwischen der 18. und 20. Avenue und der Morrison und Salmon Street bereits große Betriebsamkeit. Scheinwerferkegel leuchten Baufahrzeugen und Arbeitern den Weg. Mächtige Stahlträger und Betonblöcke warten auf ihre Installation. Bis März muss der 31 Millionen Dollar teure Umbau des PGE Park von einer Mehrzweckarena zu einem schmucken Fußballstadion abgeschlossen sein, dann nämlich starten die Portland Timbers ihre Debütsaison in der Major League Soccer (MLS). Wegen der Renovierung verlieren die hiesigen Baseballfans das Team der Beavers, das umsiedeln muss, voraussichtlich in die Nähe von Diego. Die Fußballgemeinschaft der Stadt hingegen ist überglücklich: Ihre Timbers treten endlich in der höchsten Klasse des nordamerikanischen Profifußballs an. „2011 wird das Land erfahren, warum Portland, Oregon, in der Tat ,Soccer City USA’ ist“, sagt Timbers-Besitzer Merrit Paulson, Sohn des ehemaligen US-Finanzministers Henry Paulson. Auch Geoffrey Arnold, Sportreporter der Zeitung „The Oregonian“, ist überzeugt davon, dass die Timbers und Portland Furore machen werden: „Hier herrschen große Begeisterung und echte Leidenschaft für Fußball.“

Auch die Bewerbung der USA um die Weltmeisterschaft 2022 baut darauf, dass der Fußball endlich in der Neuen Welt angekommen ist. Am 2. Dezember vergibt der Weltverband Fifa das Turnier, die Amerikaner konkurrieren mit Katar, Australien, Japan und Südkorea um ihre zweite WM nach 1994. Auch die MLS darf jubeln, denn sie ist weit gekommen. Als die Liga 1996 den Spielbetrieb aufnahm, wurde sie müde belächelt. Nur zehn Vereine starteten das Projekt, gespielt wurde in riesigen American-Football-Arenen mit verwirrenden Bodenmarkierungen, das Publikum verlief sich im weiten Rund. Obskure Regeln wie der dem Penaltyschießen im Eishockey gleichende „Shoot-out“ nach einem Remis sorgten ebenfalls für heftige Kritik. Vermeintliche Edelimporte wie Hristo Stoitchkow oder Lothar Matthäus erwiesen sich als abgehalfterte Altstars.

Die Lage hat sich inzwischen deutlich gebessert. Die MLS ist professioneller und umsichtiger geworden. Neben Portland stoßen nächstes Jahr auch die Vancouver Whitecaps aus Kanada zur Liga, die somit auf 18 Mannschaften anwächst. 2012 wird ein Klub aus Montreal hinzukommen. „Wir sehen unsere Erweiterung als langsames, bedächtiges Wachstum, nicht als rasantes“, sagt Ligaboss Don Garber. Eine „Salary Cap“ (Gehaltsobergrenze) zwingt die Klubs zum vernünftigen Wirtschaften. Nachdem die MLS lange ein Defizitgeschäft war, schreiben viele Vereine jetzt schwarze Zahlen.

Über die Finanzen macht man sich auch bei den Timbers kaum Sorgen. Kaum eine amerikanische Stadt umarmt Fußball als Lebensstil so sehr wie Portland. Die Timbers spielten schon von 1975 bis 1982 in der legendären North American Soccer League, die Stadt erwarb sich damals dank seiner euphorischen Fans den „Soccer City“-Spitznamen. Bis heute rühmt man sich damit, dass Pelé im PGE Park, der damals noch Civic Stadium hieß, seine letzte Profipartie absolvierte. Selbst während der sportlich tristen Zeit in der zweitklassigen United Soccer League (USL) ließen sich die Portlander nicht in ihrer Begeisterung stoppen. Bei großen Spielen war das Stadion, das vor dem Umbau ein Fassungsvermögen von knapp 15 000 hatte, stets rappelvoll. Auch wenn nach dem Umbau 20 000 Zuschauer hineinpassen, werden kaum einmal Plätze frei bleiben. Die Fans tragen Trikots und schwingen Schals und riesige Fahnen. Und sie singen inbrünstig. Eingeheizt vom Fanclub „Timber Army“, ertönen vor allem aus der Nordkurve Schlachtrufe, die es mit der Sangeskunst britischer Fans aufnehmen können. „Die Timbers kommen von allen US-Klubs in Sachen Faninteresse und echter Leidenschaft dem europäischen Ideal am nächsten“, sagt der Journalist Arnold.

Nicht nur in Portland ist der Publikumszuspruch gewachsen. In der abgelaufenen MLS-Saison, die am vergangenen Sonntag mit dem 2:1-Finalsieg nach Verlängerung von Colorado über Dallas endete, kamen im Schnitt knapp 16 000 Menschen in die Stadien, die mittlerweile überwiegend reine Fußballarenen sind und 20 000 bis 30 000 Zuschauer fassen. Die Besucherzahlen in der NHL (Eishockey) und NBA (Basketball) sind nur geringfügig höher. Allein die Fernsehquote bereitet Sorgen. Bei den MLS-Übertragungen auf dem Sportsender ESPN2 war sie dieses Jahr um gut zwölf Prozent rückläufig – und das, obwohl in dem Franzosen Thierry Henry und dem Mexikaner Rafa Marquez zwei international renommierte Spieler zu Red Bull New York wechselten und von den Medien viel Aufmerksamkeit bekamen.

Um ihr Produkt weiter voranzutreiben, hat sich die Liga nun des pazifischen Nordwestens angenommen. Ausgerechnet diese Region, die landesweit oft vergessen wird und allenfalls für Kaffee, Regen, Wälder und Berge bekannt ist, soll der nächste Katalysator für den US-Fußball werden. „Ich denke, die Aufmerksamkeit wird sich verschieben: Weg von den traditionellen Spielen an der Ostküste, hin zum Nordwesten“, sagt Ligachef Garber. Der Plan ist durchaus vielversprechend, wie das Beispiel Seattle zeigt. Die dort ansässigen Sounders wurden 2009 in die Liga aufgenommen und brechen seitdem sämtliche Zuschauerrekorde. Alle ihre Heimspiele waren bisher ausverkauft, in dieser Saison kamen durchschnittlich 36 173 Fans. Mit dem Beitritt von Portland und Vancouver wird das Interesse noch mehr steigen. Die drei Vereine, die durch die Autobahn I-5 verbunden sind, kennen sich bestens aus gemeinsamen Jahren in der USL – und pflegen eine bittere Rivalität. Der neue Fokus auf den „I-5-Korridor“ ist für die MLS eine wichtige Entwicklungsstufe, weil die beitretenden Klubs Fußball nicht nur als Sport, sondern als Kultur verstehen und zelebrieren. Eine solche Haltung ist in den USA noch immer die Ausnahme.

Portlands Liebe zum Fußball hat auch damit zu tun, dass die Stadt einen europäischen Charakter besitzt. Portland gilt als einer der liberalsten, fortschrittlichsten und grünsten Siedlungsräume der USA, viele junge Menschen ziehen hierher, um Teil einer alternativen, hippen Szene zu sein. Es gibt ein gut ausgebautes, viel benutztes öffentliches Verkehrsnetz. Wer nicht mit dem Bus oder der „Max“, einer Mischung aus S- und Straßenbahn, fährt, setzt sich aufs Rad – Portland steht in dem Ruf, das Fahrradmekka des Landes zu sein. Da der PGE Park zentral in der Innenstadt liegt und einfach zu erreichen ist, trägt auch der Gang zu einem Timbers-Spiel zum urbanen Lebensgefühl bei. Die Liebe zum Soccer wird außerdem dadurch genährt, dass es ansonsten kein großes Sportangebot gibt: Allein das Basketballteam, die Trail Blazers, spielt in einer der großen US-Ligen.

Dass die Jungfernsaison in der MLS für Verein und Stadt eine große Party wird, ist eine sichere Sache. Ungewiss ist hingegen, wie sich der Neuling auf dem Feld schlagen wird. Die Mannschaft ist bis dato ebenso sehr eine Baustelle wie das Stadion. Der neue Trainer John Spencer, ein Schotte, der unter anderem für die Glasgow Rangers und Chelsea kickte, will eine junge, hungrige Mannschaft formen, die sich über Athletik und Konditionsstärke definiert. Eine Ausrichtung, die den Spielstil der MLS widerspiegelt: Bei Technik und Taktik hinkt die Liga im internationalen Vergleich immer noch hinterher. Ob Portland den Erfolg des verhassten Nachbarn Seattle nachahmen kann, ist fraglich, immerhin qualifizierten sich die Sounders gleich im ersten Jahr für die Play-offs und gewannen zudem den Ligapokal.

Das direkte Duell der Rivalen ist allerdings bereits entschieden, das vermeldet zumindest die Anzeigentafel des Modells des neuen PGE Park. „Timbers – Sounders 4:0“, steht dort groß geschrieben. Bei einem solchen Resultat würde Portland lauter denn je jubeln.

Tobias Pox[Portland]

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