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WM-Kommentar: Leichtathletik leicht gemacht

Berlin kann die Leichtathletik beleben und die Leichtathletik Berlin. Nicht unbedingt mit Weltrekorden, sondern mit Angeboten zum Mitmachen. Jetzt ist die Sportstadt Berlin gefragt.

Jetzt geht’s los. Oder besser: Jetzt gehen sie los. Die Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Berlin kommen in Tritt, und es trifft sich ganz gut, dass die drittgrößte Sportveranstaltung der Welt heute von den Gehern eröffnet wird. Ein wenig gemächlich nimmt jenes Ereignis also Tempo auf, das Berlin in den nächsten neun Tagen prägen wird. Aber dafür fällt der Startschuss mitten in der Stadt, und jeder kann dabei sein. Schon gestern Abend wurde am Brandenburger Tor vorgefeiert, mit Feuerwerk und Musike auf der Fanmeile light.

Berlin gewinnen – das haben sich die Organisatoren für das erste Wochenende vorgenommen. Diese Strategie, dass die beste Werbung für die WM wohl die WM selbst ist, birgt durchaus ein sportliches Risiko. Für die ersten Wettkämpfe im Olympiastadion gibt es nicht nur noch Restkarten. Vielleicht aber verfängt genau das: Wenn erst mal was los ist, strömt der Berliner schon hin – möglichst kurz vor Toresschluss.

Dabei sein ist noch immer vieles. Die Leichtathletik fasziniert mit ihren vielfältigen Disziplinen, mit ihren Zwei-, Sieben- und Zehnkämpfen um Sekunden und Zentimeter. Aber sie hat an Glanz verloren. Deutsche Helden gibt es nicht mehr, was auch damit zu tun hat, dass man im Hochleistungssport der Neuzeit kaum noch einer Heldengeschichte unvoreingenommen glauben mag. Natürlich ziehen internationale Stars wie Supersprinter Usain Bolt alle Blicke auf sich, doch gleichzeitig wecken die nahezu unglaublichen Leistungen des Jamaikaners und das lasche Vorgehen seines Verbandes gegen Doping viele Zweifel. Ein neuer Weltrekord über 100 Meter am Sonntagabend im Olympiastadion wäre ein Ereignis – aber würde man ihn noch mit unverstellter Leichtigkeit sehen? Die Leichtathletik ist schwerer geworden, zumindest für den Zuschauer.

Gerade deshalb ist die WM in Berlin eine große Chance sowohl für die Stadt als auch für den Sport. Jene Disziplinen, die den Kern der Olympischen Spiele ausmachen, können sich einmal etwas leichter präsentieren: durch spannende Duelle, bei denen nicht jede Rekordmarke gebogen und gebrochen werden muss. Mit Hilfe authentischer Athleten wie der frechen Hochspringerin Ariane Friedrich könnte das Fernsehen neu erobert werden, das auf Sicherheitsabstand zu Springern, Läufern und Werfern gegangen ist. Und mit sympathischen Tagen in Berlin ließen sich womöglich neue Sponsoren für ein Internationales Stadionfest finden, das diesen Namen verdient hat. Sonst wird schon bald die Frage aufkommen, warum im weitläufigen Olympiastadion eigentlich eine ungenutzte blaue Laufbahn den grünen Rasen umrahmen muss. Vielleicht ist die WM die letzte große Chance der Leichtathletik in Deutschland für lange Zeit. Und vielleicht hat sie dafür die richtige Wegstrecke gewählt – in die Stadt hinein.

Berlin ist eine Sportmetropole, die von erfolgreichen Profivereinen im Fußball, Eishockey, Basketball und Handball repräsentiert wird – und die in der neuen Großarena am Ostbahnhof noch mehr Familien in die Eventfanblöcke lockt. Die Basis dieser Spitze aber sind die mehr als 550 000 Amateure, die sich in 2000 Vereinen organisiert haben, sowie die ungezählten Enthusiasten auf den Freizeitplätzen. Diese Sportler, die auch Fans sind, werden von den Leichtathletik-Machern umworben: mit Public Doing statt Public Viewing, mit den Geher- und Marathon- Wettbewerben durch das Herz der Stadt. Mit dieser Art Mitmach-WM kann Berlin zeigen, dass die Stadt auch sportlich in Bewegung ist. Und dass der Traum von einer endlich mal gescheiten Olympiabewerbung nicht ganz illusorisch ist, selbst wenn der organisierte Sport erst einmal auf München setzt. Wenn alles gut klappt in Berlin, gibt’s zur Belohnung womöglich noch ein paar unverhoffte Spiele der Fußball-Europameisterschaft 2012 im Olympiastadion – als Ersatzausrichter für die überforderte Ukraine. Und als Trost dafür, dass Sportereignisse von Welt in den nächsten Jahren anderswo gastieren.

Jetzt darf Berlin sich bewegen lassen – auf der blauen Stadionbahn und draußen auf den Straßen. So schnell kann’s gehen.

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