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Bastian Schweinsteiger hat sich zu einem unumstrittenen Anführer der Nationalmannschaft entwickelt.

© dpa/picturealliance

WM-Qualifikation: Weg zurück nach vorn

Bastian Schweinsteiger soll im 99. Länderspiel wieder in die zentrale Rolle rücken. Beim FC Bayern wurde er in dieser Saison meistens offensiver eingestellt.

Ach ja, das Briefgeheimnis. Alles nicht mehr so sicher in diesen Tagen von NSA und Whistleblowern. Bastian Schweinsteiger aber hat die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben und das auf bemerkenswert schlagfertige Weise zu Protokoll gegeben. Das war am Dienstag in Düsseldorf, kurz bevor er im Training für das WM-Qualifikationsspiel gegen Irland zum ersten Mal seit gut einem halben Jahr im Kreis der Fußball-Nationalmannschaft gegen den Ball trat. Wegen allerlei Verletzungen musste der Mittelfeldmann vom FC Bayern München aus der Ferne verfolgen, wie sein Klubkollege Philipp Lahm vor ein paar Wochen sein 100. Länderspiel machte. Zum Jubiläum hat er dem Klubkollegen einen offenen Brief geschrieben und ihn als großartigen Kapitän mit 360-Grad-Blick gerühmt. Wenn beim 99. Länderspiel gegen Irland nun alles gut geht, wird auch Bastian Schweinsteiger am Dienstag im übernächsten Länderspiel in Stockholm in den Hunderter-Klub aufgenommen. Auf die Frage, ob er denn von Lahm nun auch einen offenen Brief erwarte, hat Schweinsteiger geantwortet: „Nein, einen geschlossenen!“

Damit soll es auch schon gut sein, was die zuletzt öffentlich und intensiv geführte Debatte betrifft, ob der eine Münchner dem anderen die Position im zentralen defensiven Mittelfeld wegnimmt. Philipp Lahm, der vielleicht beste Außenverteidiger der Welt, hat sich beim FC Bayern in den vergangenen Wochen ein Stück weiter nach vorn und innen verändert. Dorthin, wo Schweinsteiger seit Jahren höchste Wertschätzung genießt. Seitdem nun Pep Guardiola die Kommandos gibt, ist beim FC Bayern alles neu, mal abgesehen vom Erfolg. Guardiola preist Lahm als den „most intelligent Spieler I have ever trainiert“ und hält ihn draußen am Kreidestrich für überqualifiziert.

Mit dem zentralen Mittelfeldspieler Lahm klappt das ganz ausgezeichnet in München. Kein Problem, sagt Schweinsteiger. Er empfindet die Diskussion um die Münchner Rollenspiele als wenig zielführend, denn auch für ihn haben sich die Dinge keineswegs zum Schlechten entwickelt. Unter Guardiola spielt er weiterhin im Zentrum, nur eben sehr viel offensiver. „Auch im vergangenen Jahr haben wir bei den Bayern im Mittelfeld mit einer sechs und einer acht gespielt“, also einer defensiveren und einer offensiveren Kraft. Schon damals hat Schweinsteiger den vorderen Part eingenommen und Javier Martínez den weiter hinten. Nur ist das nicht so recht aufgefallen, weil das Münchner Spiel unter Jupp Heynckes trotz aller Brillanz nicht ganz so angriffslustig angelegt war wie unter Guardiola. „Da ist es doch nur logisch, dass meine Rolle jetzt offensiver ausfällt“, sagt Schweinsteiger. Wenn denn einer ein Problem haben könnte mit Lahms neuer Rolle, dann ist es der Spanier Martínez, der nach auskurierter Leistenverletzung um eine Wiederaufnahme in die Stammbesetzung des FC Bayern kämpfen muss.

In der Nationalmannschaft geht es wieder ein Stück in die Vergangenheit. Bundestrainer Joachim Löw mag auf den Außenverteidiger Lahm nicht verzichten und auch nicht auf den defensiven Mittelfeldspieler Schweinsteiger. Löws System ist in dieser Hinsicht näher an Heynckes dran denn an Guardiola. „Kann man schwer vergleichen“, sagt Schweinsteiger, „aber ich bin ja nun schon lange genug dabei und weiß, was ich zu tun habe.“ Seit neun Jahren zählt er zum Kreis der Nationalmannschaft, die ersten beiden Tore hat er 2005 geschossen. Bei einem 2:2 gegen Russland in Mönchengladbach, gar nicht weit weg vom derzeitigen Trainingsquartier in Düsseldorf.

Damals, das war die Zeit von Schweini-Poldi, der wesensverwandten Fußballzwillinge Bastian Schweinsteiger und Lukas Podolski. Heute sagt kaum noch einer Schweini zu Schweinsteiger. Er selbst spricht ausdrücklich vom Lukas, der ja wegen einer Verletzung leider nicht dabei sein könne, wenn es am Freitag gegen die Iren um die vorzeitige Qualifikation für den kommenden Fußball-Sommer in Brasilien geht.

Es ist ein anderer Bastian Schweinsteiger, der sich in München und der Nationalmannschaft etabliert hat. Vor ein paar Wochen hat er seinen 29. Geburtstag gefeiert, an den Schläfen scheint das Haar schon leicht grau zu schimmern und für große Sprüche ist er auch nicht mehr zu haben. Wenn es etwa um die WM in Brasilien geht, merkt er höflich und bestimmt an, dass es dazu nichts zu sagen gebe. Vor dem Abflug nach Rio hat der Weltverband Fifa einen Pflichttermin in Köln angesetzt, „und das wird nicht leicht am Freitag, denn die Iren kämpfen unermüdlich für ihr Vaterland, das sieht man in diesem Ausmaß ganz selten, die haben alle das Herz am rechten Fleck, wenn sie auch fußballerisch vielleicht nicht so stark sind wie Spanien oder Argentinien“.

Oder wie die Deutschen, was Schweinsteiger nur indirekt erwähnt. Auch dabei geht es um Veränderungen, sie betreffen die Qualität des deutschen Fußballs. Ob nun Mesut Özil, Mario Götze, Thomas Müller, Sami Khedira oder Marco Reus – „es gibt wenige Nationen, die so viele Klassespieler haben wie wir“, sagt Schweinsteiger, „das war 2004 anders.“

Doch Qualität setzt sich nicht zwangsläufig durch. Bastian Schweinsteiger hat es gerade erst im Kreis der Münchner Kollegen erfahren. Am Samstag in Leverkusen, als die Bayern auf die sagenhafte Quote von 78 Prozent Ballbesitz kamen und doch mit einem 1:1 zufrieden sein mussten. Die Iren werden am Freitag kaum offensiver spielen. „Ein paar Tore mehr als in Leverkusen könnten es schon sein“, sagt Schweinsteiger und dass er dann auch gern über Brasilien reden könne. Oder über den geschlossenen Brief, den der Kollege Lahm ihm zum 100. Länderspiel noch schreiben muss.

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