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Sport: WM-Qualifikationsspiel: Nichtangriffspakt auf Zeit

Das ganze Leben ist ein Strafraum. So in etwa muss Oliver Kahn denken.

Das ganze Leben ist ein Strafraum. So in etwa muss Oliver Kahn denken. Der beste deutsche Torwächter der Gegenwart greift neuerdings oft ein, wenn es um Wohl und Wehe des deutschen Fußballs geht. Er verteidigt, was zu verteidigen übrig geblieben ist, und sagt, was es zu erreichen gilt: "Die deutsche Nationalmannschaft muss ein, zwei Jahre lang überzeugenden Fußball bieten, wenn sie wieder ernst genommen werden will in der Welt."

Mit dem heutigen WM-Qualifikationsspiel in Hamburg gegen Griechenland (Beginn 19 Uhr, live in der ARD) beginnt für die deutsche Fußballnationalmannschaft eine neue Zeitrechnung. Knapp zweieinhalb Monate nach dem desaströsen Abschneiden der Deutschen bei der Europameisterschaft geht es für die Mannschaft von Teamchef Rudi Völler um mehr als nur um (Plus-)Punkte auf dem Weg zur WM 2002 in Japan und Südkorea. Es geht um Wiedergutmachung nach einem gemeinschaftlich verübten Anschlag auf die Volksseele. "Für uns zählt nur ein Sieg." Kahn sagt das ungefragt, und dabei kneift er seine Augenlider immer mal wieder zusammen. So, als wolle er den Blick schärfen für Künftiges. Wie das aber genau aussehen wird, sieht auch Kahn noch nicht.

Der Deutsche Fußball-Bund hat einen Tag vor dem WM-Qualifikationsspiel den Kapitän seines "Flaggschiffs Nationalmannschaft" (DFB-Wortschatz) und gleichzeitig unanfechtbarsten Spieler an die Schnittstelle zur Öffentlichkeit geschoben. Kahn vertritt Oliver Bierhoff, solange der nicht zur Stammbesetzung zählt. Vor rund 100 Journalisten thront der 31-Jährige auf dem Podium einer Turnhalle in Reinbek, unweit von Hamburg, wo sich die Nationalmannschaft seit Dienstag auf den Sonnabend vorbereitet. Viele Fragen kriegt Kahn nicht gestellt. So bleibt Zeit für einen Keks. Und während er diesen langsam zermalmt, fragt einer, was sich niemand in den vier zurückliegenden Tagen zu fragen traute: Was wird sein, wenn es gegen die Griechen nicht läuft?

Auf diese Frage ist auch Kahn nicht vorbereitet. Erst nimmt er einen Schluck Mineralwasser, dann sagt er, dass "ich darüber noch nicht nachgedacht habe". Einige Tage vor der bunten Terrassennacht im holländischen Städtchen Vaals, die die grauenhafte Vorstellung der deutschen Nationalspieler bei der EM abrundete, hatte Kahn davon gesprochen, doch bitte nicht die typisch deutsche "Selbstzerfleischungsmaschinerie" anzuwerfen. Das sagt er dieses Mal nicht, obwohl auch er weiß, dass das neue Selbstvertrauen der "Rumpelfußballer" (Franz Beckenbauer) nach dem hoffnungsvollen 4:1 gegen Spanien vor zweieinhalb Wochen in Hannover so stabil noch nicht ist. "Wenn es nicht laufen sollte gegen Griechenland", sagt Kahn, "kommt vieles wieder hoch." Aber daran möchte er nicht denken. "Wir müssen konstant auf hohem Niveau spielen. Das weiß und will die Mannschaft auch."

Die Ernennung Rudi Völlers zum Übergangsteamchef ist bisher ein Glücksgriff, ein Publikumserfolg allemal. Noch heute hallt sein Antrittssatz "Die Zeit der Ausreden ist vorbei" in den Ohren der Spieler nach. Völler steht für die neue Rolle als Tugendwächter des deutschen Fußballs. Einsatz und Willen "bis zur Besinnungslosigkeit" hat er gefordert und ausgemacht. Gewichen scheint die allgemeine Verunsicherung innerhalb des Kaders. "Er strahlt Ruhe aus, er spricht viel mit den Spielern und nimmt somit ein wenig den Druck", sagt Kahn. Die meisten Spieler hätten die Kritik angenommen. Ein gutes Spiel aber reiche lange nicht aus. Frühestens nach drei, vier Spielen könne man von einem wirklichen Neuanfang sprechen.

Noch ist das Nervenkostüm dünn. Heikle Fragen bleiben weitgehend ungestellt. Es herrscht eine Art Nichtangriffspakt. Die Mannschaft habe gezeigt, dass sie es besser kann, die Fangemeinde hat es registriert. So sieht es Kahn: "Jetzt ist in den Köpfen drin, dass wir gewinnen wollen. Denn Ziel kann es nicht sein, sich mal wieder durch eine Qualifikation durchzuschummeln."

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