zum Hauptinhalt

WM Verhaltensforschung: Lieber nicht auf vier Pfoten

Der Mensch ist, wie er geht: Sogar Arne „Hängeschulter“ Friedrich war der Stolz bei der WM anzusehen, wenn er nach getaner Arbeit vom Feld spazierte. Und wie sich Diego Maradona am Ende des WM-Ausflugs, gedemütigt von einem Jungen namens Thomas Müller, in die Kabine schleifte, rief die menschliche Vergangenheit auf vier Pfoten in Erinnerung.

Der Mensch ist, wie er geht: Sogar Arne „Hängeschulter“ Friedrich war der Stolz bei der WM anzusehen, wenn er nach getaner Arbeit vom Feld spazierte. Und wie sich Diego Maradona am Ende des WM-Ausflugs, gedemütigt von einem Jungen namens Thomas Müller, in die Kabine schleifte, rief die menschliche Vergangenheit auf vier Pfoten in Erinnerung.

In der Antike zeigte der besonders aufrechte Gang die Nähe zum Göttlichen. Heute meinen Wissenschaftler profan: Der Gang auf zwei Beinen ist der Anpassung des Frühmenschen ans Savannenleben geschuldet. Im Erdmännchenstil konnte er sich Überblick verschaffen – und später, angeregt durch das, was er in der Weite sah, die Philosophie erfinden. Und den Fußball.

Irgendwann kam das Public Viewing – und die Evolution machte eine Pause. Wer heute nämlich den aufrechten Gang vor eine der Leinwände praktiziert, kann hören, wie viel Schimpanse noch im Homo sapiens steckt: Kreischen, Jaulen und hysterisches Gezeter in unterschiedlichen Heiserkeitsgraden. Zu Recht? Ein bisschen zumindest.

Man fragt sich, was in jemandem vorgehen muss, der sich beim Elfmeterschießen aufmacht, um eine Bratwurst zu holen. Doch gibt es auch zwingende Gründe dafür, aufzustehen. Und weil der Mensch seit jeher überlebt, indem er sich seiner Umwelt anpasst, versucht er auch vor der Leinwand, dem Groll seiner Mitmenschen zu entgehen.

Die beliebteste Variante: halbherziges Ducken, dabei einen Buckel formen und die Hände wie ein Känguru auf Kopfhöhe abknicken. Bringt rein gar nichts, signalisiert der lauernden Meute aber: Tut mir leid, Leute, ich bin schon weg. Die Geste zählt. Ähnlich bei der Leichtathletik-Variante: dem Versuch, die Leinwand mit einem großen Sprung zu passieren – auch wenn sich dabei der Becher Bier in der Hand über die erste Reihe verteilt und noch mehr Ärger auslöst.

Mehr Hass zieht eigentlich nur der selbstbewusste Homo erectus auf sich. Aufrecht schreitet er vor der Leinwand entlang, als stünde ihm aller Platz ganz selbstverständlich zu. Und obwohl die Sicht nur kurz eingeschränkt ist: Jeder im Publikum hasst ihn für sein erhobenes Haupt.

Als neulich einem würstchentragenden Blickbehinderer beim Public Viewing auf dem Astra-Gelände die volle Wucht der Abneigung entgegenschlug, stellte er sich einfach noch aufrechter vor die Leinwand und rief: „Sorry, ihr Affen!“ Damit hat er es wohl ganz gut getroffen. Markus Langenstraß

Zur Startseite