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Ist mir ja auch peinlich. Jürgen Klinsmann hat als Glücksfee einen perfekten Job gemacht: Er ersparte den Deutschen Italien. Foto: p-a/dpa

© picture-alliance/ dpa

Sport: Wo das Glück zu Hause ist

Nach den Erfahrungen der Vergangenheit muss die deutsche Fußball-Nationalmannschaft keine Angst vor der EM-Auslosung haben.

Jürgen Klinsmann machte ein Gesicht, als hätte er gerade in eine Zitrone gebissen. In seiner Hand hielt er einen Zettel mit dem Wort Italy. Klinsmann schien das wirklich peinlich zu sein. Italien, der Weltmeister also auch noch! In einer Gruppe mit Holland und dem Vizeweltmeister Frankreich. Und nicht in der Gruppe der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Den Deutschen bescherte Klinsmann, der frühere Bundestrainer, stattdessen Kroatien als Gegner.

Vier Jahre ist das jetzt her, dass den Deutschen als Gruppengegner für die Europameisterschaft 2008 Gastgeber Österreich, dazu Kroatien und Polen zugelost wurden. Von einer schweren, einer Hammer- oder einer Todesgruppe gar konnte keine Rede sein. „Wir waren vor der Auslosung relaxed“, sagte Joachim Löw damals. „Und wir sind es jetzt auch noch.“ Selbst der Bundestrainer, der in solchen Fällen ein wenig Diplomatie walten lassen muss, um die künftigen Gegner nicht durch Geringschätzung zu reizen, konnte seine Erleichterung kaum zügeln. „Wir haben ein bisschen durchgeatmet, als wir in diese Gruppe gelost wurden“, sagte Löw. Es hätte alles auch sehr viel schlimmer kommen können.

Heute Abend ist es wieder so weit: Ab 18 Uhr (live in der ARD und bei Eurosport) werden im Kunstpalast Ukrainia in Kiew die Vorrundengruppen für die EM im kommenden Sommer ausgelost. Die Deutschen finden sich diesmal in Topf zwei (gemeinsam mit England, Italien und Russland) wieder, und seit Wochen ist zu lesen, dass ihnen eine Hammergruppe droht, mit Weltmeister Spanien, Portugal und Frankreich zum Beispiel. Aber glaubt das wirklich jemand? Wird es nicht doch eher auf Polen, Griechenland und Irland hinauslaufen, was ebenfalls möglich ist? „Ich habe weder Wunschgegner noch Angstgegner“, sagt Joachim Löw. „Ich lasse ich mich einfach überraschen.“

Vor vier Jahren fanden sich die Deutschen sogar in Topf drei wieder. Doch gerade das erwies sich am Ende als Vorteil – weil Löws Team in der Gruppe mit dem Gruppenkopf Österreich landete, der bei Weitem schwächsten Mannschaft im Teilnehmerfeld. Man kann also fast darauf wetten, dass die Meldungen der Nachrichtenagenturen aus Kiew heute wieder mit dem Satz beginnen werden, mit dem sie auch vor vier Jahren, vor zwei Jahren oder gerade erst wieder, nach der Auslosung der Qualifikationsgruppen für die WM 2014, begonnen haben: „Der deutschen Nationalmannschaft bleibt das Losglück treu.“ Seit Jahrzehnten führen Losglück und deutsche Nationalmannschaft eine harmonische Ehe. Die Verbindung besteht inzwischen so lange, dass auch gerne vom „traditionellen Losglück“ die Rede ist. Es ist ja wirklich so: Viele schöne Länder buhlen um das Losglück, doch die rassige Schönheit hat nur Augen für die Deutschen.

Das war schon 1970 bei der WM in Mexiko so, als dem DFB-Team Marokko, Bulgarien und Peru zugelost wurden. „Die Deutschen haben das große Los gezogen“, befand Fifa-Generalsekretär Helmut Kaeser. Widersprechen wollte ihm niemand. In einer repräsentativen Umfrage direkt nach der Auslosung trauten 79 Prozent der Bundesbürger der Nationalmannschaft den Titel zu. Was sollte bei so viel Glück auch schiefgehen? Und so ging es weiter: 1974 kommentierte DFB-Präsident Hermann Neuberger die deutsche Gruppe (DDR, Chile, Australien) mit den Worten: „Alle unsere Wünsche sind in Erfüllung gegangen.“ Nach der Auslosung für die WM 1978, die den Deutschen Polen, Mexiko und Tunesien als Gegner bescherte, behauptete der Fernsehjournalist Hanns Joachim Friedrichs: „Der Bundestrainer ist ein Sonntagskind. Besser, als es kam, hätte es gar nicht kommen können.“ Und 1982, vor der WM in Spanien, musste sich Jupp Derwall ob so viel Glücks fast schon Vorhaltungen gefallen lassen. „Was kann ich denn dafür?“, fragte der Bundestrainer patzig, nachdem Algerien, Chile und Österreich in der deutschen Gruppe gelandet waren. „Manchmal hat man den Eindruck, als mache man sich schuldig, wenn man Glück hat.“

Das Glück erwies sich dann ohnehin als flatterhafter Geselle. Gegen Algerien startete Derwalls Elf mit einer 1:2-Niederlage in die WM. Auch die Außenseiter Tunesien (0:0) oder Lettland (0:0 bei der EM 2004) fügten sich nicht in die ihnen zugedachten Rollen. Überhaupt ist das Glück des einen immer auch das Pech des anderen, und vielleicht empfinden die Deutschen ihre Gruppen nur deshalb als so leicht, weil sie selbst immer so stark waren. In diesem Jahr, da Löws Mannschaft als heißester Anwärter auf den EM-Titel geführt wird, gilt das vielleicht mehr denn je. „Wir sind gut, wir sind stark“, sagt Matthias Sammer, der Sportdirektor des DFB. „ Ich denke, dass sich eher die anderen Gedanken machen sollten, ob sie uns kriegen oder nicht.“ (mit sid)

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