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Sport: Wo der Wind weht

Bei den Weltmeisterschaften vor Cadiz segeln erstmals alle olympischen Klassen gemeinsam – und bleiben doch für sich allein

Cadiz. Still sitzen die älteren Herren auf Plastikstühlen vor der sonnengelben Fassade des örtlichen Altersheims von Rota in der spanischen Provinz Cadiz. Sie schlürfen ihren Café con leche, knabbern an ihren Tostadas mit Marmelade und lassen sich den leichten Wind um die Nase wehen. 200 Meter Luftlinie von ihnen entfernt herrscht dagegen ein anderes Tempo.

Im Hafen von Rota laufen viele Menschen auf Hochtouren, verladen Boote, hissen Segel, spannen Leinen. Und auch der Wind hat hier einige Stärken mehr zu bieten als oben in den Gassen. Die Menschen am Hafen rufen sich Kommandos in vielen verschiedenen Sprachen zu, bis es schließlich ins Wasser geht und alle Boote der 470er-Klasse gemeinsam hinaus aufs Meer fahren, wo der Startschuss zur ersten Wettfahrt des Tages fallen wird. Erst dann wird es im Hafen so still und friedlich wie bei den alten Männern in der Stadt.

In der Bucht von Cadiz finden zurzeit die Segel-Weltmeisterschaften aller neun olympischen Bootsklassen mit ihren elf Disziplinen statt – mehr als 50 Nationen mit über 1800 Seglern in mehr als 1000 Booten segeln hier seit vergangener Woche und noch bis Mitte nächster Woche um die Wette. Dass alle Klassen an einem Ort starten, hat es erst einmal, bei der WM 1999 in Melbourne, gegeben. Normalerweise werden Welt- und Europameisterschaften in einzelnen Bootsklassen an verschiedenen Orten ausgetragen. „Selbst in Melbourne lagen die Regattastrecken aber so weit voneinander entfernt, dass von einer gemeinsamen WM kaum die Rede sein konnte“, sagt Hans Sendes, Sportdirektor des Deutschen Segler-Verbandes (DSV). Deshalb ist Cadiz für Sendes ein „Riesenfortschritt und Gewinn“ für den Segelsport.

Die Zusammenlegung der Bootsklassen soll dem Segelsport in erster Linie mehr Öffentlichkeit und Medienpräsenz verschaffen. „Leider ist alles etwas unglücklich umgesetzt worden“, sagt Sendes und meint die Verteilung der Regatten auf zwei Wochen. So haben die Seglerinnen der Europe-Klasse vergangene Woche am Freitag den Anfang gemacht und ihre Regatta am Donnerstag beendet, als es bei den 470ern, den 49ern, den Lasern und den Tornados gerade erst losging. Die anderen Klassen haben ihre Regatten gestaffelt in den Tagen dazwischen begonnen. „Der Donnerstag war der einzige Tag in diesen zwei Wochen, an dem wirklich alle Klassen Regattatag hatten“, sagt Sendes. „Ich sehe es schon kommen, dass sich die weniger erfolgreichen Segler hinterher bei mir beklagen, dass die allgemeine Unruhe und Aufbruchstimmung schuld gewesen sei.“

Auch die Verteilung der Regatten auf drei Häfen, die alle ungefähr eine halbe Autostunde voneinander entfernt liegen, hält Sendes noch immer für zu weitläufig. So starten die Männer und Frauen der 470er-Klasse in Rota, die Laser in Puerto Elcano und alle anderen Klassen in Puerto Sherry. „Man hätte das ganze Programm sehr gut in fünf Tagen unterbringen können und es auch nicht auf drei Häfen verteilen müssen“, sagt DSV-Präsident Dierk Thomsen. Das wäre vor allem für die Präsenz der WM in den Medien besser gewesen. So wollte die ARD laut Sendes ein Team nach Cadiz schicken, entschied sich dann aber doch dagegen. „Wenn alle Finals an zwei bis drei Tagen gewesen wären, hätten sie alles auf einmal im Kasten gehabt“, sagt der Sportdirektor. „Aber wer schickt ein Kamerateam für zwei Wochen zum Segeln?“ Für die meisten Segler ist das alles nebensächlich, sie schauen hauptsächlich auf die eigene Klasse.

Das ist vor allem deshalb so, weil es für einige deutsche Segler neben den WM-Medaillen um die Qualifikation für die Olympischen Spiele in Athen 2004 geht. Sie müssen bei hochwertigen Regatten, zu denen Welt- und Europameisterschaften zählen, vom DSV vorgegebene Platzierungen erreichen. Und das nicht nur einmal. In der Europe- Klasse sollte die WM in Spanien ursprünglich ebenfalls eine Qualifikationsregatta sein. Doch nur wenige Tage vor der WM entschied sich der Verband dagegen. „Aber man gibt trotzdem alles“, sagt die Berlinerin Petra Niemann. Deshalb war sie auch zufrieden mit ihrem fünften Platz, mit dem sie ursprünglich die Qualifikationsnorm erfüllt hätte. Noch dazu lag sie zwei Plätze vor ihrer größten Konkurrentin, Christiane Petzke aus Neumünster. Beide sind Anwärterinnen auf den einzigen Olympia-Startplatz. Wer das deutsche Boot 2004 in Athen segeln darf, wird sich nun erst bei den Frühjahrsregatten entscheiden.

Für die Europe-Seglerinnen hat die WM damit nicht alle Erwartungen erfüllt. Wenn oben in Rota die Sonne untergeht, die Alten ihren Milchkaffee ausgetrunken haben, hat Petra Niemann schon ihre Sachen gepackt. Gemeinsame WM? Olympiaqualifikation? Von wegen. Jetzt sind die anderen dran.

Jutta Meier

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