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Wolfgang Niersbach, 62, nahm an der Seite von Bundespräsident Joachim Gauck vor einer Woche die Ehrung im DFB-Pokal vor. Seit März 2012 ist Niersbach Präsident des Deutschen Fußball-Bundes. Zuvor war er an der Seite von Franz Beckenbauer verantwortlich für die WM 2006 in Deutschland. Inzwischen ist er Mitglied des Uefa-Exekutivkomitees.

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Wolfgang Niersbach im Interview: "Wo ist denn all das Geld geblieben?"

DFB-Präsident Wolfgang Niersbach spricht im Tagesspiegel-Interview über Finanznöte der Klubs, die Suche nach einem Sportdirektor und Berlin als möglicher EM-Austragungsort 2020.

Herr Niersbach, braucht der Deutsche Fußball-Bund (DFB) unbedingt einen Sportdirektor?

Auf jeden Fall. Denken Sie nur einmal an die Zeit vor 2006 zurück. Damals hatten wir den Bundestrainer als Verantwortlichen für alles, der selbst die Trainersitzungen im Nachwuchsbereich geleitet hat und für die Trainerausbildung zuständig war. So etwas ist heute nicht mehr möglich. Matthias Sammer hat dieser Position mit seinem klaren Bekenntnis zur Eliteförderung Profil und auch Inhalt gegeben.

Nach dem Wechsel von Robin Dutt zu Werder Bremen müssen Sie jetzt zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres einen Sportdirektor suchen.
Das ist ärgerlich, weil man auf dieser Position vom Grundsatz her Kontinuität braucht. Mit Matthias Sammer haben wir die sechs Jahre lang gehabt. Und wir waren zuversichtlich, dass Robin Dutt das fortführt. Er selbst wollte unbedingt einen Fünfjahresvertrag haben.

Waren Sie überrascht, dass er so schnell aufgegeben hat?
Robin ist schon im November zu mir gekommen und hat mich ein Stück an seinem Seelenleben teilhaben lassen. Er hat zu mir gesagt: „Ich bin ganz ehrlich. In meinem Inneren vermisse ich die Seitenlinie, die Mannschaftsführung.“ Ich dachte, genau wie er selbst, das gibt sich mit der Zeit. Es hat sich nicht gegeben. Aber es ist auch ein Zeichen, dass wir gute Leute im DFB haben, wenn sie in der Liga begehrt sind. Was wurde uns denn in der Vergangenheit immer vorgehalten: Beim DFB gibt es nur Rentenverträge, und die Verbandstrainer sind auf dem freien Markt nicht zu gebrauchen.

Es mehren sich die Stimmen, dass der DFB das Jobprofil ändern und nicht wieder einen Trainer engagieren sollte.
Es ist schon erstaunlich, wie viele Leute sich über Dinge den Kopf zerbrechen, die in unsere Zuständigkeit fallen. Aber ich kann sie beruhigen: Wir fühlen uns dem gewachsen. Und wenn ich mir die Liste derjenigen anschaue, die sich bereits bei uns beworben haben, mache ich mir erst recht keine Sorgen. Die Position ist reizvoll und hochwertig.

Das heißt, es gibt keine grundsätzliche Abkehr vom bisherigen Profil?
Das ist die Frage, die wir intern noch einmal ernsthaft besprechen wollen: Ist das Portfolio, wie wir es entwickelt haben, noch das richtige? Bisher war eine Vorgabe, dass der Sportdirektor ausgebildeter Fußballlehrer sein muss. Ich meine, das sollte nach wie vor gelten. Von dieser Position müssen auch sportfachliche Inhalte vermittelt werden. Aber die Diskussion wird bei uns offen geführt. Wir werden das Thema jetzt angehen. Ob wir in drei Wochen jemanden verpflichten, in drei Monaten oder erst in sechs – das ist nicht entscheidend. Wichtig ist, dass die Entscheidung sitzt.

Wie vielen Bewerbern auf Ihrer Liste trauen Sie denn zu, dass sie langfristig arbeiten wollen?
Am Anfang sagen das alle (lacht). In der Theorie hat sich auch Robin Dutt mit der Aufgabe identifiziert; in der Praxis hat sich dann gezeigt, dass er lieber Trainer ist.

Matthias Sammer hat als Sportdirektor entscheidend an der Nachwuchsausbildung mitgearbeitet. Wie wollen Sie den hohen Standard bewahren, den der deutsche Fußball auf diesem Gebiet hat?
Das Nachwuchsprogramm, das wir 2000 begonnen haben und das Matthias Sammer nach 2006 vorangetrieben hat, trägt jetzt die ersten Früchte. Aber wir dürfen uns nicht auf dem ausruhen, was wir erreicht haben. Das tun wir auch nicht. Wir stellen gerade neben den rund 1000 von uns bezahlten Trainern noch einmal 300 neue Honorartrainer ein. Und wir haben den Vorteil, dass wir mit unseren Verbandsstützpunkten schon die 10- bis 14-Jährigen erreichen. Im konkreten Fall heißt das: Bei einem Nationalspieler wie Thomas Müller können wir die Karriere über zehn Jahre zurückverfolgen. Wir wissen zum Beispiel, welche Verletzungen er mit 15 gehabt hat, wo Schwächen und Stärken lagen, wie die Entwicklung lief.

Wolfgang Niersbach über das "Drama" sterbender Traditionsklubs

Neben der Nachwuchsausbildung könnte auch das Financial Fairplay des Europäischen Fußball-Verbands (Uefa) der Bundesliga in die Karten spielen. Wenn es tatsächlich umgesetzt wird, müssten die deutschen Vereine auf Jahre hinaus …
… eine dominierende Rolle spielen. Vielleicht. Es geht vor allem auch darum, kurzfristige Abhängigkeiten der Vereine von Investoren und ein Kommen und Gehen von Geldgebern zu verhindern. Aber Sie dürfen nicht vergessen, dass die Engländer weiterhin unglaublich viel Geld zur Verfügung haben. Wenn Einnahmen und Ausgaben in dem Verhältnis bleiben, das vom Financial Fairplay vorgeschrieben wird, haben sie uns gegenüber immer noch einen Riesenvorteil. Das heißt natürlich noch nicht, dass sie auch besser Fußball spielen.

Dem Uefa-Präsidenten Michel Platini wird vorgeworfen, dass er das Financial Fairplay sowieso nicht durchsetzen werde. Sie kennen ihn gut. Ist er in dieser Frage wirklich wild entschlossen?
Er ist entschlossen, aber er kann dieses schwierige Thema auch nicht im Alleingang lösen.

Warum ist das Financial Fairplay überlebenswichtig?
Um im europäischen Spitzenfußball das zu verhindern, was wir jetzt in der Zweiten, Dritten und Vierten Liga erleben.

Sie spielen auf Vereine wie Duisburg, Aachen, Wuppertal und Offenbach an, Traditionsklubs, die sich wirtschaftlich übernommen haben.
Das ist ein Drama. Und das liegt bei keinem dieser Vereine an den zu hohen Reisekosten. Der MSV Duisburg stand vor zwei Jahren noch im DFB-Pokalfinale. Allein durch die Finalteilnahme hat er außerplanmäßig 2,2 Millionen Euro eingenommen. Ich frage mich: Wo ist denn all das Geld geblieben?

Können DFB und die Deutsche Fußball-Liga (DFL) dieser Entwicklung in irgendeiner Weise gegensteuern?
Wir als Verband können nur kontrollieren und die Zahlen bewerten, die uns vorgelegt werden. Man muss ja auch in einigen Fällen fragen, ob im Lizenzierungsverfahren alles korrekt dargelegt wurde. Grundsätzlich funktioniert unser Lizenzierungssystem sehr gut. In der Ersten, Zweiten und Dritten Liga ist noch nie ein Verein während des laufenden Spielbetriebs ausgestiegen. Ich gebe zu, dass wir bei Alemannia Aachen in diesem Frühjahr Sorge hatten. Mit einem Mal wäre der ganze Wettbewerb verzerrt worden, so wie wir es in der Regionalliga Nord durch die Insolvenz des FC Oberneuland erlebt haben. Das war bedenklich, weil Holstein Kiel vor dem letzten Spieltag – ohne eigenes Zutun – plötzlich von Platz eins auf Platz zwei gefallen ist. Wenn das Schule macht, wenn die Glaubwürdigkeit des Wettbewerbs leidet, müssen alle Alarmglocken schrillen.

Die Regionalliga ist ein anderer Fall. Zuletzt wurde beklagt, dass die Meister der fünf Staffeln nicht automatisch aufsteigen, sondern erst noch durch die Relegation müssen.
Die Organisation der Regionalligen in der Verantwortung der Regionalverbände war genau so gewollt. Und wir haben auch gesagt, dass wir das drei Jahre lang ausprobieren. Das Prinzip, dass der Meister einer Klasse aufsteigt, hat es in den ersten Bundesligajahren übrigens auch nicht gegeben. Da ist sogar Bayern München einmal in der Aufstiegsrunde gescheitert. Es ist also nichts völlig Neues. Aber ich verstehe die Kritik, und die derzeitige Regelung ist für mich in der Tat noch nicht der Weisheit letzter Schluss. Früher oder später werden wir erneut über eine Strukturreform diskutieren. Ich sehe da aber auch noch einen anderen Aspekt.

Nämlich?
Hessen Kassel ist gerade in der Relegation zur Dritten Liga gescheitert. Kassel ist eine Stadt, die mit der Dritten Liga sicher zurechtkäme. Aber wir haben drei Spielklassen mit 54 Profi-Vereinen. Mehr professionellen Fußball verträgt das Land einfach nicht. Alles, was darunter kommt, ist dann Amateurfußball. Uns wird ja immer wieder vorgeworfen: Der Dritten Liga gebt ihr zu wenig Geld. Meine Antwort ist stereotyp: Das ist die am besten vermarktete Dritte Liga der Welt. 12,8 Millionen Euro Fernsehgeld fließen in die Liga.

Wolfgang Niersbach über die Trainerqualitäten von Joachim Löw

Es war einmal. Wolfgang Niersbach muss nach dem kurzfristigen Ausscheiden von Robin Dutt (links) einen neuen Sportdirektor für den DFB finden.
Es war einmal. Wolfgang Niersbach muss nach dem kurzfristigen Ausscheiden von Robin Dutt (links) einen neuen Sportdirektor für den DFB finden.

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Ist die Selbstwahrnehmung und -einschätzung das größte Problem?
Auch die Selbstkontrolle und die Selbstfinanzierung. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen, das bei uns quasi vor der Haustür liegt. Kickers Offenbach und seine immense Schuldenlast sind in den lokalen Medien seit einem halben Jahr ein riesiges Thema. Genauso gibt es im Rhein-Main-Gebiet aber auch Darmstadt 98, ebenfalls ein früherer Bundesligist – und der ist wirtschaftlich völlig gesund. Letztlich ist das die Verantwortung der Vereinsführung. Gerade in der Not werden manchmal unvernünftige Dinge gemacht.

Zurück zum großen Fußball: Welche Chancen kann sich Berlin auf Spiele der Europameisterschaft 2020 ausrechnen?
Jetzt freuen Sie sich doch erst einmal auf das Champions-League-Finale 2015. Ich weiß noch, wie ich vor einem Jahr, vor dem Finale dahoam in München, Michel Platini vom Flughafen abgeholt habe. Auf dem Weg in die Stadt war er ganz begeistert von der Atmosphäre. Da hat er mich noch im Auto gefragt, ob ich mir vorstellen könne, das Endspiel bald wieder in Deutschland auszurichten. Ja klar, habe ich geantwortet, in Berlin!

So einfach geht das also.
Früher gab es ein Bewerbungsverfahren, das für alle Interessenten sehr kostspielig war. Inzwischen besitzt der Präsident der Uefa ein Vorschlagsrecht. Wir hatten die Wahl zwischen 2015 und 2016. Wir haben uns für 2015 entschieden. Am 6. Juni findet in Berlin also das Champions-League-Finale statt, eine Woche zuvor das Pokalfinale.

Berlin würde sich auch über Spiele der EM 2020 freuen. Gibt es eine Tendenz, ob sich der DFB mit München oder Berlin bewerben wird?
Das ist total offen. Ende August wird unser Präsidium eine Entscheidung treffen.

Nach welchen Kriterien?
Bei den Stadien gibt es keine großen Unterschiede. Berlin hat 74.500 Plätze, München 71.000. Entscheidend ist eher das, was ich als weiche Faktoren bezeichnen würde: die Erreichbarkeit, die Hotelkapazitäten. Das Pflichtenheft der Uefa schreibt einen internationalen Flughafen vor. Können Sie garantieren, dass Berlin diese Anforderung bis 2022 erfüllt (lacht)?

Herr Niersbach, kann Joachim Löw Bundestrainer bleiben, selbst wenn er 2014 nicht Weltmeister wird?
Diese Frage verstehe ich nicht. Es gibt doch keine Garantie, dass Sie Weltmeister werden, egal wie gut Sie spielen. Vielleicht verlieren Sie im Achtelfinale durch einen unberechtigten Elfmeter. Wir sind mit der Arbeit von Joachim Löw jedenfalls hochzufrieden, und auch sein Verhältnis zur Mannschaft ist absolut intakt. Da ist vieles eingespielt. Eingespielt, nicht eingefahren.

Joachim Löw ist also ein Meistertrainer?
Joachim Löw ist ein meisterhafter Trainer.

Das Gespräch führten Stefan Hermanns, Michael Rosentritt und Friedhard Teuffel.

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