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Sport: Wunden statt Wunder

Spiel verloren, Kahn verletzt: Der FC Bayern rutscht in eine Depression und verbreitet Durchhalteparolen

Mailand. Kurz nach Mitternacht ging nichts mehr. Im Festsaal des noblen Hotels Principe di Savola streikte das Mikrofon. Ein paar Wortfetzen schwirrten durch den Raum, unterbrochen von lästigem Knarren und Knacken. Die Rede von Karl-Heinz Rummenigge blieb einem erlauchten Kreis vorbehalten. Der Vorstandsvorsitzende des FC Bayern München legte den schadhaften Apparat zur Seite, rief nach einem Techniker und sprach schließlich ohne Stimmverstärker. Eine Mischung aus Lethargie und Gereiztheit machte sich beim Bankett des Klubs breit, der zu Beginn der Saison gefeiert wurde und sich nun mit nur einem Punkt aus vier Spielen in der Champions League selbst Mut zusprechen muss.

„Haben Sie ein schlechtes Spiel gesehen?“, fragte Manager Uli Hoeneß nach der 1:2-Niederlage des FC Bayern in der Champions League beim AC Mailand. „Wir haben gehofft, die Situation verbessert sich“, sagte Rummenigge. Stattdessen ist die Lage für die Münchner in der Gruppe G der Champions League immer noch verworren. Nur dank des 3:1-Erfolges des RC Lens über Deportivo La Coruña kann Hoeneß noch sagen: „Alles ist drin: Ausscheiden, der Uefa-Cup und die nächste Runde.“

Nun haben die Bayern im vorletzten Spiel der Vorrunde gegen Deportivo La Coruña erneut noch eine kleine Chance auf das Weiterkommen. „Das ist ein echtes Endspiel, ich freue mich darauf“, sagte Rummenigge und grinste gequält. Niemand freute sich an diesem Abend mit ihm. Die meisten Spieler verschwanden auf ihren Zimmern und hinterließen einen Berg aus Floskeln.

Für Hannover werde es schon reichen, spöttelte Hoeneß im Hinblick auf das nächste Bundesligaspiel, wenn Oliver Kahn fehlen wird. Der Nationaltorhüter humpelte in Mailand kurz vor 22 Uhr mit einem Muskelfaserriss vom Feld. Ob er auch im wichtigen Spiel bei Deportivo La Coruña fehlen wird, ist fraglich. Kahn hofft, dass er bis zum Dienstagabend gesunden wird. Hoeneß glaubt sogar, dass man auch ohne Kahn in Spanien bestehen werde. „Wir werden alles mobilisieren. Und dann volles Rohr.“

Als die Bayern am nächsten Morgen gegen elf Uhr am Aeroporto Malpensa ins Flugzeug kletterten, blieben Vorwürfe an Trainer Ottmar Hitzfeld zurück, der die völlig wirkungslosen Claudio Pizarro und Hasan Salihamidzic viel zu spät vom Feld holte. Das drohende Aus in der ersten Runde könnte nicht nur ein paar Millionen Euro kosten, es würde auch schmerzhafte Wunden hinterlassen. Den Branchenführer befällt die Sinnkrise. Die Münchner werden sich in den nächsten Tagen mit Rechenbeispielen beschäftigen und auf den nächsten Versuch hoffen, ein Wunder zu schaffen. Hoeneß findet, das wäre beinahe auch in Mailand gelungen. „Wir haben nur das Tor nicht gemacht.“

Insgeheim fürchten die Bayern den Tag, an dem sie den DFB-Pokal und die deutsche Meisterschaft zu den letzten noch verbliebenen Zielen ausrufen müssen. „Was soll das alles? Es wird sich wieder ändern. Wir machen bessere Spiele als letztes Jahr, und es kommt nichts dabei heraus", sagte Oliver Kahn. Der FC Bayern pendelt zwischen zwei Extremen: Zweiter und in der nächsten Runde – oder Vierter und raus. „Dazwischen liegt die Wahrheit“, sagt Rummenigge. Als Dritter müssten sie in den Uefa-Cup, was wie ein Abstieg erscheint. Keine verheißungsvolle Perspektive. „Ich habe den Eindruck, die Champions League mag uns nicht“, erklärte Beckenbauer wiederholt.

Doch zuvor blüht noch Hoffnung. „Irgendwann gibt es wieder die kleinen Glücksmomente, die man braucht“, sagte Kahn. Nur einem wie ihm glauben die Kollegen, dass es sich lohnt, bis zur letzten Sekunde zu kämpfen. „Was sollen wir denn machen?“, fragte er. „Wir trainieren weiter, wir arbeiten weiter und dann macht es irgendwann Klick.“

Thomas Schütz

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