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Xavi Hernández, mit feinem Passspiel ausgestatteter Welt- und Europameister, glänzt mit seiner Ballsicherheit, die es ihm erlaubt, sich mit dem Ball am Fuß auch gegen mehrere Gegenspielern zu behaupten.

© dpa

Xavi Hernández im Gespräch: Warum der FC Barcelona den Weltfußball beherrscht

Xavi Hernández gilt als einer der besten Spieler unserer Zeit. Im exklusiven Tagesspiegel-Interview erklärt er das Geheimnis der Dominanz des FC Barcelona im internationalen Fußball.

Xavi Hernández, seit einer gefühlten Ewigkeit dominiert Ihr Klub, der FC Barcelona, den internationalen Fußball. Niemand hat bisher das Geheimnis Ihres Erfolges ergründen können. Es muss also ein ganz besonderes sein.

Nein, es ist ein ganz einfaches: Wir versuchen alles, was wir tun, gut zu machen. Darauf beruht die ganze Philosophie. Die kleinen Details, auf die es im Fußball ankommt, können den Unterschied ausmachen.

Das hört sich wenig spektakulär an. Ist das wirklich alles?

Sehen Sie, wenn der Abstand unter den Spitzenspielern nicht allzu groß ist, wird es umso wichtiger, den noch so kleinsten Details Aufmerksamkeit zu schenken. Die machen dann den Unterschied aus. Außerdem entsteht dadurch eine Kultur, in der nichts dem Zufall überlassen wird. Jedes Detail ist ausgeleuchtet, um Perfektion zu erreichen.

Ist es im Fußball überhaupt möglich, Perfektion zu erreichen?

Schwer zu sagen, aber auf dem Weg dorthin hilft es auf jeden Fall zu wissen, warum man etwas tut. Ein Beispiel: Es ist eine Sache, Spieler anzuweisen, sie sollen eine sehr hoch stehende Verteidigung spielen, wo die Außenspieler nach vorn drängen und die Gegner überlaufen. Aber den Spielern zu erklären, warum sie das genau auf diese Art und Weise tun sollen, ist viel effektiver. Wenn Spieler verstehen, warum sie etwas auf eine bestimmte Art und Weise machen, dann kann das den Unterschied ausmachen gegenüber denen, die nur strikt irgendwelchen Anweisungen folgen. Auf dem Feld verläuft nie alles nach Plan. Erst wenn Spieler das Denken hinter der Taktik verstehen, können sie eigenständig auf bestimmte Situationen reagieren.

Welche Rolle spielt Ihr Trainer Pep Guardiola dabei?

Er erklärt uns die Gründe hinter allem und verlangt, dass wir verstehen, warum wir es tun. Wir haben so viele talentierte Spieler hier. Das sind alles Charaktere, die hart arbeiten und mit ihrer Einstellung dazu beitragen, dass wir diese Ideen auf dem Feld umsetzen.

Also ist die Liebe zum Detail der Grund, warum auch in dieser Woche in der Champions League wieder alle dem FC Barcelona hinterherlaufen werden?

Auch. Ich weiß gar nicht, wie in anderen Klubs gearbeitet wird. Ich weiß nur, was hier in Barcelona passiert und da läuft alles sehr gut.

Unter anderem, weil der Klub über einen Kader verfügt, wie ihn nur wenige Vereine ihr Eigen nennen können. Selbst auf der Ersatzbank sitzen Weltstars. Sind Siege da nicht vorhersehbar?

Sicher, wir haben hier eine äußerst talentierte Gruppe zusammen. Aber das Wichtigste ist: Wir sind alle schnelle Denker. Das ist bei einer so großen Anzahl an Spielern einmalig auf diesem Niveau.

Nicht nur sportlich, auch menschlich scheint es im Team zu passen. Man hört im Gegensatz zu Ihrem großen Rivalen Real Madrid beinahe nie von irgendwelchen Unstimmigkeiten.

Die Solidarität, die Kameradschaft – das ist alles wunderbar. Niemand kann sich vorstellen, was es heißt, Teil dieser Mannschaft zu sein.

Erklären Sie es uns!

Wir haben fantastische Jungs hier. Ich liebe es, mit ihnen zu reden und Witze zu machen und wenn das Spiel mal nicht so läuft, dann versuche ich sie instinktiv aufzurichten.

Sie sind unumstritten einer der Anführer. Das hört sich nach dem, was Sie erzählen, wie ein einfacher Job an?

Ich habe eine Menge Erfahrung gesammelt und schon so manche Situation erlebt. Da ist es klar, dass ich den anderen helfe. Momentan sind wir einfach nur überglücklich zu erleben, wie eine Gruppe von Spielern, die hier das komplette Jugendsystem durchlaufen hat und schon lange zusammenspielt, ihren sportlichen Höhepunkt erreicht.

Lesen Sie auf der folgenden Seite, wie die Ausbildung beim FC Barcelona aussieht und wodurch sich der Verein laut Xavi von Real Madrid unterscheidet.

Bis auf wenige Ausnahmen hat fast der komplette aktuelle Kader die Jugendakademie „La Masia“ des Vereins durchlaufen. Was macht die Ausbildung dort so besonders?

Wir haben großartige Trainer im Jugendbereich. Und noch etwas zählt: Die Arbeitsmoral dort in der Akademie ist unglaublich. Man wird jeden Tag bis auf ein Maximum gefördert, psychisch und physisch.

Können Sie sich noch an Ihre ersten Tage in der Akademie erinnern?

Ich war elf, als ich hier ankam. Die Philosophie des Klubs wurde mir von Beginn an eingeimpft. Das Wichtigste in diesem Alter ist die Bereitschaft zu lernen. Die Philosophie beinhaltet, dass das Ergebnis unwichtig ist. Wichtig ist nur, das Konzept, welches sie dir hier beibringen, zu verstehen und zu lernen.

Wie sah das konkret aus?

Wir wurden angehalten, Dreiecke zu bilden und den Ball schnell zu passen. Als junger Spieler nimmt man noch schneller etwas Neues an und lernt, die Stärken seiner Mitspieler zu beachten oder den Kopf ständig oben zu behalten. Man lernt, seine Mitspieler auf dem richtigen Fuß anzuspielen, Rechtsfüßler auf rechts und Linksfüßler auf links. Und ganz wichtig: Bevor du den Ball bekommst, musst du schon wissen, was du mit ihm anstellst.

Sie liegen mit Ihren Mitspielern also automatisch auf einer Wellenlänge, weil alle dieselbe Ausbildung genossen haben?

Ja, das ist der Schlüssel. Zu wissen, was man mit dem Ball macht ist um einiges einfacher, wenn deine Mitspieler auf derselben Wellenlänge liegen. Die Prinzipien unserer Jugendausbildung waren nie ertragreicher als jetzt.

Ist es hilfreich, dass Trainer Pep Guardiola ebenfalls die Jugendausbildung durchlaufen hat?

Klar, weil Pep aus „La Masia“ kommt, versteht er es hervorragend, die Jugend hier einzubauen. Ich kenne Pep seit der Zeit, als wir noch Mannschaftskollegen waren. Er ist eine engagierte, akribische und enthusiastische Person. Und er kann einen ungeheuer von seinen Ansichten überzeugen. Außerdem ist er in der Lage, all seine Energie auf dich zu übertragen.

Als sich der Klub für Guardiola als Nachfolger von Frank Rijkaard entschied, gab es viel Kritik. Was dachten Sie damals darüber?

Ich weiß, dass es zu Beginn einige Zweifel aufgrund von Peps fehlender Erfahrung gab. Aber es ist doch so: Wenn jemand von außerhalb hier nach Barcelona kommt, dann musst du ihm zeigen, wie alles funktioniert. Pep dagegen weiß genau, was er zu tun hat. Er weiß, wie sich die Spieler fühlen und unter welchem Druck sie stehen. Er ist also genau der Richtige für den Job. Obwohl ich gerne auch zugebe: Nicht einmal der Optimistischste unter uns hätte je gedacht, dass es mal so gut läuft wie jetzt.

Ist es richtig, dass Pep Guardiola geradezu besessen davon ist, im Spiel immer seine Philosophie durchzusetzen und sich überhaupt nicht darum kümmert, was der Gegner macht?

Unabhängig vom Gegner liegt Peps Augenmerk immer auf Ballbesitz und darauf, den Ball schnell zu passen. Er gibt uns drei oder vier Kernpunkte zum Gegner mit auf den Weg; wie der spielt und was wir machen müssen, um darauf zu reagieren.

Der FC Barcelona steht wie kaum ein anderer Klub im Fokus der Öffentlichkeit. Allein in der Stadt gibt es zwei Sportzeitungen, die sich täglich hauptsächlich mit dem Verein beschäftigen. Machen es die vielen Siege einfacher, mit Kritik von außen umzugehen?

Man muss auf Kritik vorbereitet sein, das ist normal. Aber du solltest immer dein eigener Richter sein. Wenn du nach dem Spiel denkst, dass wir gut gespielt haben und am nächsten Tag liest du dann, dass es schlecht war, dann musst du dich damit nicht beschäftigen. Ich versuche immer, mich nach meinen eigenen Kriterien zu richten. Also: Was sagen meine Mitspieler, Trainer, Freunde, Familie? Die Leute aus dem Klub stehen da über allen anderen. Es gibt so viele verschiedene Sichtweisen im Fußball, aber das ist ja normal. Du musst einfach lernen, damit zu leben.

Wie lange kann es so mit Barcelona noch weitergehen? Ist diese Mannschaft schon dem Ende ihrer so erfolgreichen Epoche nahe?

Ich weiß es nicht. Regeln und Statistiken sind dazu da, um gebrochen zu werden. Wir haben eine Mannschaft, die in der Lage ist, in den nächsten drei, vier Jahren Titel zu gewinnen. Es spielt keine Rolle, was in der Vergangenheit war. Was in den nächsten Jahren passiert, hängt ganz und gar ab von unserem Team und den Spielern, die nachkommen.

Es gibt Mannschaften, die versuchen, das Spiel des FC Barcelona zu zerstören und dann gibt es welche, die versuchen es zu kopieren. Real Madrid hat das mal probiert und ist im Stadion Camp Nou grandios mit 0:5 gescheitert. Ist es unmöglich, besser zu sein als das Original?

Ach, ich denke, im Fall von Madrid ist das nicht so ausgegangen, weil sie uns kopieren wollten. Sie haben uns früh attackiert, weil sie so schon seit vier oder fünf Jahren spielen, egal ob unter Manuel Pellegrini oder nun unter José Mourinho. Reals Spieler sind individuell alle außerordentlich talentiert und in der Lage, ein Spiel zu ihren Gunsten zu drehen.

Trotzdem versucht Real momentan erfolglos, an Barcelona vorbeizuziehen.

Der größte Unterschied ist die Betonung der Individualität. Das macht sie momentan zum Gegenteil von dem, was wir in Barcelona spielen. Sehen Sie, wir haben einen großartigen Einzelkönner wie Lionel Messi. Der kann ein Spiel locker im Alleingang umdrehen, aber wir kommen trotzdem viel mehr über unsere Geschlossenheit und unsere Kombinationen zum Erfolg. Madrid versucht dagegen, über die individuelle Klasse Spiele zu gewinnen, bei uns geht es ums Kollektiv.

Kann man sagen, dass Mourinhos Ankunft bei Real Madrid sogar noch dazu beigetragen hat, Barcas Spiel noch mehr von dem Reals abzugrenzen?

Nein, unsere Ideologie ist unabhängig vom Trainer eines Gegners. Barcelona hat eine klare Vorstellung davon, wie ein Spiel gespielt werden müsste – das setzen wir auf dem Feld um. Keine andere Person kann das beeinflussen.

Kann sie denn auch nicht zusätzlich motivieren?

Oh doch, natürlich. Aber das sind wir, weil unser größter Konkurrent eben Madrid ist. Real Madrid gibt uns diese Extramotivation: Es geht in den Duellen um alles – eben darum, wofür Barcelona steht, was wir symbolisieren. Diese Rivalität mit Madrid ist uns genug. Mourinho gibt dem natürlich eine zusätzliche Dimension, weil er mal hier beim FC Barcelona war und manchmal sehr streitbar sein kann, aber die wahre Motivation beziehen wir aus der historischen Rivalität zu Real.

Ihnen zuzuhören lässt den Eindruck entstehen, mit einem zukünftigen Coach des FC Barcelona zu sprechen. Können Sie sich nach Ihrem Karriereende diese Arbeit vorstellen?

Ich hoffe, dass bis dahin noch einige Zeit vergeht. Ich genieße Fußball mehr als alles andere im Leben und liebe es außerdem, in Barcelona zu leben und Teil dieser Gruppe zu sein. Ich liebe Fußball und ich mag die Vorstellung, weiterhin Teil des Spiels zu sein, auch wenn ich nicht mehr auf dem richtigen Niveau spielen kann. Ich habe keine Ahnung, ob ich mal privilegiert genug sein werde, um einen Job im Fußball zu erhalten, wenn ich zurücktrete. Eine Menge Leute wollen im Fußball arbeiten und nur wenige haben das Glück, das auch tun zu können. Aber natürlich, ich würde es mögen, auf die eine oder andere Art dem Fußball erhalten zu bleiben.

Wie fühlt es sich eigentlich an, mit Spanien Weltmeister geworden zu sein?

Unbeschreiblich. Du wächst auf und verehrst all diese Spieler, die es geschafft haben, Weltmeister zu werden. Und dann bist du einer von ihnen und gesellst dich dazu in die Ruhmeshalle dieses Sports. Du bist dann Teil einer kleinen, privilegierten Gruppe und das erfüllt dich mit Stolz. Du erinnerst dich in solchen Momenten an die ganz Großen wie Frankreichs Team mit Zinedine Zidane, an Brasilien 2002 mit Ronaldo, natürlich an Maradona in Mexiko und daran, wie du sie verehrt hast und dir nie vorstellen konntest, einmal dazuzugehören. Nun kann Spanien stolz behaupten, Weltmeister zu sein. Und außerdem haben wir uns zu einer Bezugsgröße entwickelt, an der sich nun viele orientieren. Ich versuche es einfach zu genießen und jeden Moment aufzusaugen.

Kann Spanien weiterhin an dieses Niveau anknüpfen?

Auf jeden Fall! Der spanische Fußball ist momentan auf einem sehr hohen Niveau. Es gibt so viele technisch starke Spieler und der Konkurrenzkampf ist groß. Alles basiert auf dem Passspiel. Dafür braucht man vor allem eine Vielzahl von technisch begabten Spielern. Und Spanien bildet genau diesen Typ aus, um weiterhin auf diesem hohen Level spielen zu können. Wir wissen, wie wir spielen wollen und haben eine klare Idee. Das macht uns so stark.

Das Gespräch führte Guilhelm Ballague. Es wurde übersetzt von Sebastian Stier.

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