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Zehnkampf: Michael Schrader: Auf der Welle

Der deutsche Zehnkämpfer Michael Schrader muss nach seinem Sieg in Götzis die neuen Erwartungen reduzieren - auch im Hinblick auf die Leichtathletik-WM in Berlin.

Claus Marek, der Bundestrainer, legt erst mal die Maßstäbe fest, nur so kann man ja erkennen, was da in Götzis wirklich passiert ist. „Vor zwei Jahren hat er mit Ach und Krach die 8000-Punkte-Grenze erreicht. Und im vergangenen Jahr erzielte er 8248 Punkte.“ In Götzis, an Pfingsten, katapultierte sich nun der Zehnkämpfer Michael Schrader vom LAV Bayer Uerdingen/Dormagen auf 8522 Punkte. Der 21-jährige Aufsteiger gewinnt in Götzis, da ist auch Marek überrascht. 8522 Punkte, das ist eine neue Weltjahresbestleistung, das ist fast so viel, wie Frank Busemann ebenfalls in Götzis erreichte (8531). Seinen größten Triumph feierte Busemann als Olympiazweiter von 1996.

Dabei hatte sich Schrader bei fast jedem Schritt seines 400-Meter-Laufs noch überlegt, warum er sich das alles antut. Und ob er bei der fünften Disziplin nicht lieber aufgeben soll. Denn seit dem Hochsprung, der vierten Disziplin, plagten ihn heftige Wadenkrämpfe. „Nach dem ersten Tag waren wir nicht sicher, ob es überhaupt weitergeht“, sagte sein Trainer Torsten Voss in Götzis. Voss hatte 1987 selbst WM-Gold im Zehnkampf gewonnen.

Doch Schrader kämpfte weiter. Sieben Einzelrekorde stellte der Olympia-Zehnte auf, darunter herausragende 8,05 Meter im Weitsprung. „Er war wie ein Surfer auf der Welle“, sagte Voss. Vor allem die 8,05 Meter sind exzellent. Nur wenige Zehnkämpfer auf der Welt waren jemals weiter, einer davon war Busemann, der mal auf 8,07 Meter gekommen war.

Seinen Sieg sicherte sich Schrader erst beim 1500-Meter-Lauf. Bis dahin hatte der US-Amerikaner Trey Hardee geführt. Der Deutsche lag 133 Punkte zurück, und Voss sagte ihm lakonisch, dass er 20 Sekunden schneller als der US-Amerikaner sein müsse. Schrader schaffte es. Und danach war er restlos erledigt. Doch den Kampf gegen die Krämpfe, gegen den Gedanken, aufzugeben, hatte er gewonnen.

Aber was sind schon Krämpfe? Vor einigen Monaten hatte es ihn schlimmer erwischt. Ein Ermüdungsbruch im rechten Fußgelenk zum Jahreswechsel bremste Schrader kurzzeitig, hielt ihn aber nicht auf. Erst im März konnte er wieder in das gewohnte Training einsteigen, nachdem davor Krafttraining, Aqua-Jogging und Radfahren auf dem Programm gestanden hatten.

Er hatte auch mit der Schulter Probleme. Und wie er diese Probleme bewältigte, das zeigt für Marek, dass Schrader ein echter Zehnkämpfer ist. Ein echter Zehnkämpfer füllt diese Rolle auch im Kopf aus. „Es genügt nicht bloß, dass du mit dieser Schulter 60 Meter wirfst“, hatte Marek ihm eindringlich gesagt. „Du musst auch mal 65 Meter werfen und deine Konkurrenten einschüchtern.“ Also arbeitete Schrader verbissen und kontinuierlich daran, diese Schulterprobleme in Griff zu bekommen. Mit Erfolg.

„Er hat noch überall Reserven“, sagt Marek auch noch. Die 8,05 Meter in Götzis hat er natürlich hoch zufrieden registriert. Aber auch dieser Sprung – unterstützt von 1,9 Meter Rückenwind – war technisch nicht sauber. Ohne Mängel hätte er sogar 15 Zentimeter weiter gehen können. Marek wusste, dass Schrader gerade im Weitsprung enormes Potenzial hat. Im Training sprang er mal weit vor dem Balken ab und landete trotzdem bei 7,40 Meter. Hochgerechnet auf einen optimalen Absprung wären das wohl 7,80 Meter gewesen.

Es wäre fatal, die 8522 Punkte nun als Schraders neues, übliches Leistungsniveau zu betrachten. In Götzis stellte Schrader sieben neue persönliche Bestleistungen auf, das ist selbstverständlich kaum wiederholbar.„Wir arbeiten daran, dass er sich bei 8250 oder 8300 Punkten stabilisiert“, sagt der Bundestrainer. Und mit diesen Punktzahlen komme man bei der Weltmeisterschaft in Berlin zumindest in die Nähe einer Bronzemedaille. Das optimale Leistungsniveau, so lautet der Plan, soll der 21-Jährige bei den Olympischen Spielen 2012 in London erreichen.

An seine Leistungsgrenze kam Schrader in Götzis noch einmal, lange nach Wettkampfende. Als er, umringt von jungen Zuschauern, immer wieder Autogramme schrieb, sagte er irgendwann lächelnd: „Ich glaube, jetzt kriege ich auch noch Krämpfe im Unterarm.“

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