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Sport: Zeichen von Größe

Michael Phelps hat mehr Goldmedaillen gewonnen als jeder andere. Ist er damit auch der beste Athlet?

Es muss ein einzigartiges Gefühl für den 23-jährigen Michael Phelps sein, jetzt, da der Schwimmer als „größter Olympionike aller Zeiten“ genannt wird. 14 Goldmedaillen hat der Amerikaner nach dem Staffelerfolg über 4x100 Meter Lagen nun insgesamt geholt – mehr als ein Sportler bei Olympischen Spielen jemals zuvor. Acht davon hat Phelps in Peking erschwommen. Doch macht ihn das automatisch zum bedeutendsten Olympioniken? Keine Frage: Phelps ist ein Ausnahmeschwimmer – vorausgesetzt natürlich, alles geht mit rechten Dingen zu. Er gilt als der kompletteste Schwimmer der Gegenwart. Doch kann man nicht auch fragen, wie viel mehr eine Goldmedaille etwa im Marathon oder im Zehnkampf zählt als eine über 100 Meter Schmetterling, die bei Phelps schon nach rund 50 Sekunden vorbei sind?

Karl Lennartz, ehemaliger Präsident der „International Society of Olympic Historians“, glaubt jedenfalls nicht an einen dauerhaften Ruhm von Phelps. „Falls er an den Olympischen Spielen in vier Jahren nicht mehr teilnimmt, ist er schnell vergessen“, sagt der Kölner Sporthistoriker. „Die meisten amerikanischen Helden gehen sehr schnell unter“ – es sei denn, sie seien Charaktere wie Muhammad Ali, Jesse Owens oder Carl Lewis. „Die Zahl der Medaillen alleine ist nicht ausschlaggebend, immerhin hat Muhammad Ali nur eine gewonnen.“

Die Vergabe des Titels „größter Olympionike aller Zeiten“ an Phelps sei eine „typische Übertreibung der Amerikaner, die Größe anhand von Zahlen messen“, sagt der Sportphilosoph Gunter Gebauer. „Dabei haben sie mit einem Jesse Owens, Muhammed Ali oder Carl Lewis doch die wahren Großen im eigenen Land.“ Diese Sportler hätten Größe, weil sie einen bestimmten Stil pflegten. „Da treffen sportliche Leistung und Persönlichkeit zusammen.“ Gebauer, der an der FU Berlin lehrt, nennt etwa Ästhetik oder Eleganz als Kriterien für einen olympischen Helden, wie sie ein Carl Lewis auch außerhalb des Wettbewerbs ausgestrahlt habe. „Steigt Phelps aus dem Pool, ist von Ästhetik nicht viel zu spüren“, spottet Gebauer. Wichtig sei auch das Überraschungsmoment, wenn etwa ein weitgehend unbekannter Athlet wie der US-Weitspringer Bob Beamon mit einem Schlag zum Star werde. „Das bleibt unvergesslich“, sagt Gebauer. Bei Phelps dagegen fehle jede Überraschung. Bei ihm gebe es keinerlei „mythische Dimension“. Vielmehr findet Gebauer solche Erfolge in Serie irgendwann „ermüdend“.

Dem britischen Sporthistoriker Richard Holt dagegen missfällt die Debatte. „Es ist unfair, eine Sportart mit einer anderen zu vergleichen, in der die Medaillenchancen viel geringer sind“, sagt Holt. Möglicherweise machten erst die Widerstände, gegen die ein Athlet zu kämpfen habe, einen wahren olympischen Helden aus. Anders als Phelps, der enorme Unterstützung erfahren habe, sei etwa Jesse Owens 1936 in Berlin wegen seiner schwarzen Hautfarbe angefeindet worden. „Phelps ist sicher der größte Schwimmer, aber er hat keine darüber hinausgehende Bedeutung. Wie er selbst über sich sagt: Er isst, schläft und schwimmt – vergleichen Sie das einmal mit dem Boxer Cassius Clay.“ Clay alias Muhammad Ali setzte sich gegen den Vietnamkrieg und für die Rechte der Schwarzen ein.

Welchen Platz in der olympischen Ahnengalerie Phelps selbst für angemessen hält, bleibt offen: „Ich schwimme einfach nur“, sagt er. „Über so etwas denke ich nicht nach.“

Wer ist der Größte? Stimmen Sie ab auf www.tagesspiegel.de/olympia2008. Mehr zu Phelps’ Rennen lesen Sie auf Seite 3.

Juliane Schäuble

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