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Sport: ZEN ZU NULL Nehmt Abschied, Brüder!

Fußball ist Philosophie. Deshalb heben wir den Ball hier auf eine höhere Ebene.

Fußball ist Philosophie. Deshalb heben wir den Ball hier auf eine höhere Ebene.

Dieses Zen war eines der Abschiede. Alles, was unserem Leben bislang Halt gewährt hatte, löste sich binnen zweier Wochen in Nichts auf. Zuerst erwischte es den Arbeitsalltag, dann Frankreich. Wir vertrauten auf Argentinien, wurden enttäuscht. Gaben soziale Bindungen preis und hofften heilsvergessen auf die spielentscheidende Kraft eines meisterlichen Individuums.

Vom Scheitern Figos gehetzt, konvertierten wir zum Glauben an die neue Macht des Systems. Auch dieser Bewegung jedoch war kein Bestand beschieden. Schon die ersten Spiele besiegelten das Schicksal des 4-4-2. Und sein Nachfolger, das 3-5-2, währte kaum bis ins Achtelfinale.

Mit dem Ausscheiden Trapattonis sehen wir uns heute gezwungen, Abschied vom Systemfußball überhaupt zu nehmen. Soll keiner der Fernsehzuständigen es noch wagen, uns mit so genannten „taktischen Aufstellungen“ zu behelligen. Das war gestern!

Noch suchen wir Begriffe. Es zeichnet sich jedoch ab, dass man sich mit Abgrenzungen wie „Mittelfeld“ oder „Abwehr“ nicht länger behaupten kann. Deutschland bietet hierfür das beste Beispiel. Außer Kahn und Klose erfüllen alle Spieler dieselbe Funktion. Wo genau auf dem Feld sie das tun, ist sekundär geworden.

Die deshalb angezeigte Ablösung des Positions- durch den Funktionsbegriff erzwingt auch die Verabschiedung der Vorstellung von „Reihen“ oder „Blöcken“. Sie wird der laufaufwendigen Variabilität des Geschehens nicht mehr gerecht. Treffender schiene vielmehr die Rede von „lokalen Spielzellen“, die ballorientiert aktiv werden, um sich nach erfolgter Aktion wieder frisch zu sortieren. Abschied nehmen mussten wir ferner von Visionen des Sicherheitsfußballs. Wie die letzten Partien nämlich deutlich zeigten, ist es praktisch unmöglich geworden, sich gegen solch dezentralisiertes Vorgehen dauerhaft zu schützen.

Noch begreifen wir nicht recht, was wir sehen und sind. Ausgesetzt scheinen wir einem Spiel, das paradoxerweise deshalb immer engmaschiger geführt wird, weil es auf dem Feld vollkommen offen anzunehmen ist. Immer bestimmter spüren wir, wie sich unser einst gut eingestelltes Fußball-Subjekt Spiel um Spiel auflöst. Dies ist eine WM der Abschiede. Heute kommt es für uns Deutsche besonders dick. Denn es heißt Abschied nehmen von unseren besten Freunden: den Amerikanern! Schön wird auch das nicht. Wolfram Eilenberger

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