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Zinedine Zidane: Unwürdiger Abgang

Für Sekunden auf den Straßen von Marseille: Zinedine Zidanes Karriereende hat einen bitteren Beigeschmack.

Berlin - Da war er wieder. Dieser Jähzorn. Eine Provokation - ausgegangen von Marco Materazzi, eine Beleidigung vielleicht. Geschehen am Sonntag in der 109. Minute des Finales der Fußball-Weltmeisterschaft zwischen Italien und Frankreich. Und Zinedine Zidane, einer der größten Fußballspieler seiner Zeit, vergaß wieder einmal, dass er auf dem Rasen stand. «Zizou», der im Finale den krönenden Abschluss seiner Karriere feiern wollte, wähnte sich für Sekunden nur auf den Straßen von Marseille. Ein Kopfstoß war die Antwort auf Materazzis Worte - der sank K.o. zu Boden. Als Jugendlicher in der südfranzösischen Hafenstadt wäre Zidane jetzt der Sieger gewesen. Doch beim Fußball heißt es folgerichtig: Platzverweis.

Dabei hatte das Finale für den Sohn algerischer Einwanderer so gut begonnen. Bereits in der 7. Minute sorgte ein von ihm verwandelter Elfmeter für die 1:0-Führung der Franzosen. Auch nach dem Ausgleich durch eben jenen Materazzi (19.) ließ der Kapitän der «Equipe Tricolore» sein Können immer wieder aufblitzen, wenn auch die Zaubertricks nicht mehr so wie in alten Zeiten funktionierten. Doch als er nach einer guten Stunde seinen Gegenspieler Gennaro Gattuso alt aussehen ließ, feierte ihn die französische Fankurve mit «Zizou, Zizou»-Rufen. In der Verlängerung hätte er zudem alles klar machen können. In der 104. Minute setzte er den Kopf noch regelkonform ein. Erinnerungen an das Finale 1998 wurden wach, als er mit zwei Kopfballtoren in der ersten Halbzeit die Brasilianer im Alleingang bezwungen und Frankreichs zum Weltmeistertitel geführt hatte. Doch Gianluigi Buffon - als bester Torhüter des Turniers ausgezeichnet - verhinderte den absoluten Triumph für «Zizou».

Nur wenig Trost wird der 34-Jährige daraus ziehen, dass er am Montag noch die Wahl zum besten Spieler der WM gewann. Nach seiner Herausstellung traute er sich nicht mehr in die Öffentlichkeit, den Spießrutenlauf durch die Mixed Zone in den Katakomben des Berliner Olympiastadions ersparte er sich ebenso wie die Siegerehrung für den zweiten Platz.

Er selbst wird wissen, was er sich und seiner Mannschaft angetan hat. 1972 wurde der Ausnahmekönner in einem Marseiller Problemviertel geboren. Hier lernte er das Gesetz der Straße kennen, das er so oft leider auch auf dem Platz anwendete: Der Geschlagene schlägt zurück. Mehr als zehn Platzverweise zählt die Statistik und schon bei der WM 1998 hatte er sich in einem Vorrundenspiel gegen Saudi-Arabien zu einer Tätlichkeit hinreißen lassen. Diesen Fehler machte er durch seine folgenden Auftritte und besonders durch die Tore im Finale mehr als wett.

Jetzt gelang ihm als vierten Spieler jeweils ein Tor in zwei WM-Endspielen und doch wird nur noch der unwürdige Abgang des Genies im Gedächtnis der Zuschauer haften bleiben. Dabei hätte für den dreimaligen Weltfußballer schon 2004 Schluss mit der Nationalelf sein sollen. Nach der verkorksten Europameisterschaft in Portugal wollte er nur noch für seinen Arbeitgeber Real Madrid spielen. Aber die schlechten Auftritte seines Teams in der WM-Qualifikation ließen ihn nur ein Jahr später in die Nationalelf zurückkehren. Ein Glücksfall für den umstrittenen Domenech: Freunde wurden er und Zidane aber nie. Als er im zweiten Vorrundenspiel gegen Südkorea erneut wegen einer Unbedachtheit seine zweite gelbe Karte des Turniers sah und für das entscheidende Spiel gegen Togo gesperrt war, wechselte Domenech den Star kurz vor Ende der Begegnung aus. Eine Demütigung.

Was der Auslöser für den unfassbaren Ausraster war, ließ sich in der Nacht zum Montag nicht mehr rekonstruieren. Zidane versteckte sich in der Kabine, Materazzi zog es vor, lieber nicht mit der wartenden Pressemeute zu reden. Der Präsident des französischen Fußballverbandes, Jean-Pierre Escalettes, zeigte am Ende Verständnis für den gestürzten König: «Es gibt Emotionen auf dem Platz, das ist menschlich.» Er habe in der Kabine einen traurigen und unglücklichen Mann gesehen, berichtete Escalettes. Für den Trainer Raymond Domenech war der Platzverweis das Ende des Spiels.

Zidanes Karriere-Ende bekommt durch die Tragik des Abgangs einen faden Beigeschmack. Dennoch war er es, der seine Mannschaft durch dieses Turnier bis ins Finale trieb. Schon nach dem Achtelfinale sagte sein Mannschaftskamerad Willy Sagnol: «Ein motivierter Zidane reißt die Mannschaft natürlich mit.» Ein übermotivierter hingegen stürzt sie in tiefe Trauer, wie der Finalabend bewies. (tso/ddp)

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