zum Hauptinhalt

Sport: Zufrieden ohne Zutun Die Erde bebt in Bremen

Der schwach spielende FC Bayern erreicht ein glückliches 1:1 beim AC Florenz Nach dem 0:3 gegen Panathinaikos wird bei Werder nicht nur die Mannschaft, sondern erstmals auch Trainer Schaaf infrage gestellt

Florenz - Ob jemand gut vorbereitet ist, erkennt man oft an den Kleinigkeiten. Minutenlang stand Bayern Münchens Verteidiger Martin Demichelis gestern Abend Mitte der ersten Halbzeit an der Seitenlinie und wollte wieder auf das Spielfeld. Da er sein Trikot aber vollgeblutet hatte, und die Regeln verbieten, mit einem solchen weiterzuspielen, musste er warten und warten, bis endlich ein neues aus der Kabine herbeigeschafft war. Dabei wurde Demichelis dringend auf dem Feld gebraucht, um ein weiteres Gegentor zu verhindern. 0:1 lag der FC Bayern zu diesem Zeitpunkt im Gruppenspiel der Champions League beim AC Florenz zurück, am Ende gelang den Münchnern aber noch ein glückliches 1:1 (0:1). Die Bayern sind damit nur noch Zweiter in der Gruppe F.

Es waren nicht nur die Kleinigkeiten, an denen es der Mannschaft von Trainer Jürgen Klinsmann gestern mangelte. Nach einem durchaus konzentrierten Beginn verlor sie immer mehr den Faden, mental schien sie an diesem Abend überhaupt nicht vorbereitet zu sein, was sich deutlich in mangelndem Bewegungsdrang äußerte. Nach zehn Minuten ging Florenz in Führung, als die Münchner Abwehr bei einer weiten Flanke von Luciano Zauri nicht im Bilde war und Adrian Mutu mit einer schönen Volleyabnahme erfolgreich war. Torhüter Michael Rensing hatte keine Chance. Schon in den vergangenen Wochen hatten die Bayern bei solchen eigentlich eher harmlosen Flanken immer wieder Schwächen gezeigt, das hatten die Italiener wohl beobachtet.

Nach dem Tor war Florenz die überlegene Mannschaft, bei den Bayern lief nach vorne überhaupt nichts. Dort spielte Lukas Podolski wieder einmal von Beginn an für den verletzten Luca Toni. „Er muss viel mit nach hinten arbeiten“, hatte Jürgen Klinsmann vor dem Spiel gesagt. Davon war aber nichts zu sehen, Podolski trabte durch die Gegend und verspielte eine weitere Chance, seine Ansprüche auf mehr Einsätze mit Argumenten zu unterfüttern. Während Albero Gilardino mit einem Kopfball – wieder nach einer Halbfeldflanke – an Rensing scheiterte und kurz darauf noch einmal, brachten die Bayern in der ersten Halbzeit nichts zustande, was man als Erfolg versprechende Torchance bezeichnen könnte.

Nach der Pause wurde das Spiel etwas offener, die guten Chancen hatte aber zunächst weiter Florenz. Binnen weniger Minuten scheiterte Gilardino mit einem Heber und mit einem Kopfball. Erst nach Podolskis erstem gefährlichen Torschuss 20 Minuten vor dem Ende machten die Bayern mehr Druck. Florenz zog sich nun immer weiter zurück. Das 1:1 fiel dennoch überraschend, weil Tim Borowski bei seinem Tor aus kurzer Distanz von einem Abwehrfehler profitierte. Kurz darauf hatte Miroslav Klose sogar noch eine große Chance, den Siegtreffer für die Münchner zu erzielen.

Die bemerkenswerteste Aktion der letzten Minuten war dann die Auswechslung von Lukas Podolski. Tsp

Vielleicht hätte jemand Klaus Allofs besser eine dieser wärmenden Daunenjacken geben sollen, die jeder Verein im Equipment führt. Sie werden Fußballspielern in verschwitzten Trikots immer dann gereicht, wenn bereits auf dem Rasen nach langatmigen Erklärungen gefahndet wird. Werders Sportchef trat nach dem hochnotpeinlichen 0:3 gegen Panathinaikos Athen nur mit einem luftigen Anzug in die zugige Mixed Zone – und mit dem Wissen, dass es in jeder Hinsicht sehr ungemütlich werden könnte.

Er verspüre Wut, sagte Allofs, das Wort Enttäuschung reiche bei weitem nicht. Allofs kochte innerlich: „Ich kann mich an kein Spiel erinnern, das wir so ohne Gegenwehr, ohne Mumm beendet haben. Das ist das Schlimmste, was man einem Sportler vorwerfen kann.“ Auf der Bühne Champions League habe man so nichts verloren. „Ein katastrophales Spiel. So geht das nicht. Das war nicht Werder Bremen.“ Aber wer war es dann?

Eine Gruppe mit viel zu vielen Schöngeistern, die bei geringstem Widerstand einknicken, allen voran der so hochgelobte Diego. Eine Ansammlung von Einzelspielern, die dem Teamgedanken längst nicht mehr folgen. „Keiner steht dem anderen zur Seite“, sagte Allofs, „da war kein Aufbäumen, kein Engagement, kein Willen.“ Im Grunde könne man sich bei jedem Zuschauer nur entschuldigen, „das Publikum war noch gnädig zu uns“. Sätze, die in Bremen einem Erdbeben glichen.

Das oft beschworene heile grün-weiße Gebilde im Herbst 2008 hat hässliche Risse. Und damit fallen auch die letzten Tabus. Etwa das Werder-Gebot, Thomas Schaaf niemals infrage zu stellen. Es war eine der Besonderheiten dieses entsetzlichen Europapokalspiels, dass Allofs erstmals seit Ewigkeiten auch Fragen nach dem Trainer zu beantworten hatte. Sein Leitsatz lautet zwar: „Wir sollten zuerst den Hebel bei den Spielern ansetzen.“ Aber es gibt auch in Bremen die ersten Heckenschützen, die die vermeintliche Monotonie des Trainingsbetriebs bemängeln, die ständigen Muskelverletzungen – wie beim ein- und gleich wieder ausgewechselten Clemens Fritz – hinterfragen. Und wie flexibel ist das starre 4-4-2-System Schaafscher Prägung? Allofs spielt den Beschützer: „Ich weiß, wie Thomas Schaaf arbeitet, wie er trainiert.“ Aber: Wie viele Ansprachen, Aussprachen will der Trainer eigentlich noch ansetzen, wenn sich die erschreckenden Defensivversäumnisse, die eklatanten Willensschwächen als einzige Konstante durch diese Spielzeit ziehen?

Der Trainer, der im Mai 2009 sein zehnjähriges Dienstjubiläum feiern würde, beklagte erneut die ewig gleichen Fehler: „Wir sind in Passivität verfallen. Wir haben nur im Raum gestanden, sind brav nebenher gelaufen.“ Die Schonzeit für einen stagnierenden, selbstgefälligen Kader ist laut Allofs abgelaufen. Er mache sich Gedanken, ob die Kaderzusammenstellung noch Erfolg verspreche. „Wenn die Spieler einige Dinge nicht verstehen wollen, muss man sich von den Spielern trennen.“ Das klingt nach Reinemachen im Winter oder Sommer.

Erschwerend dazu kommt der mangelhafte Zusammenhalt im Team. „Ich hatte gedacht, wir sind auf einem guten Wege, aber ich bin kein Psychologe und kenne dieses Team wohl nicht gut genug“, musste Frank Baumann zugeben. Auch Per Mertesacker, ein weiterer Führungsspieler, haderte mit der Leistung der vergangenen Wochen: „Wir gehen nicht richtig an die Grenzen. Wir können mit der läuferischen Leistung nicht zufrieden sein. Wir haben wenig Argumente, die für eine Stärke innerhalb der Mannschaft sprechen.“

Gedanken an ein mögliches Weiterkommen – erforderlich sind Siege gegen Anorthosis Famagusta und Inter Mailand – verbieten sich in der derzeitigen Lage. Allein: Der Tiefpunkt in der Champions League war das Spiel gegen Athen nicht. Schaaf erinnerte sogleich an ein schlimmeres Spiel. An das in Lyon, Stade Gerland, 8. März 2005. Ein 2:7. Damals stand ein Novize namens Werder aber bereits im Achtelfinale. Jetzt ist sogar das Überwintern im Uefa-Cup eher unwahrscheinlich.

Zur Startseite