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Sport: Zufriedener Verlierer

Radprofi Erik Zabel muss an einem Tourtag zwei Grüne Trikots abgeben – und bleibt gelassen

Le Grand-Bornand - Wie ein geschlagener Mann sah Erik Zabel nicht aus, als er am Freitag den Schlussstrich der vorläufig letzten Sprintetappe der Tour überquerte. Die Hand auf die Schulter seines italienischen Sprinterkollegen Daniele Bennati gelegt, lachend, flachsend, rollten die beiden in Bourg-en-Bresse die verlängerte Zielgerade entlang. Dabei hatte Zabel an diesem Tag nicht nur eines, sondern gleich zwei Grüne Trikots verloren.

Das eine büßte Zabel im Rennen ein. Erst am Vortag hatte er jenes Hemd erobert, das seine Karriere definiert hat, das für den schnellsten Sprinter bei der Tour de France, das er sechsmal gewonnen hat, so oft wie niemand sonst. Auf der letzten Flachetappe vor den Bergen musste er es jedoch an den Belgier Tom Boonen weitergeben, der den Zwischen- sowie den Endspurt gewann. Das andere Trikot verlor Zabel am Freitag im Sitzungssaal der Sportfunktionäre. Die Tourorganisation Amaury Sports entschied, Zabel das Grüne Trikot von 1996 abzuerkennen. In jenem Jahr hatte sich Zabel, wie er zugegeben hat, mit dem Dopingmittel Epo einen Vorteil verschafft.

Aber Zabel nahm beides gelassen. Dass er im Sprint mit 37 Jahren nicht mehr der Schnellste ist, hat er längst akzeptiert. Er ist nach seinem Dopinggeständnis vor allem dankbar, bei der Tour noch einmal dabei sein zu dürfen. Und dass die Tourorganisatoren den Eintrag für das Maillot Vert von 1996 aus ihren Annalen streichen, überraschte ihn nicht. „Nachdem sie Bjarne Riis nach seinem Geständnis gestrichen haben, habe ich das erwartet“, sagte er.

Zabel sprach sich in einem Interview mit der „Welt am Sonntag“ für eine Generalamnestie für geständige Doper aus. „Ich sehe eine Amnestie als Chance für den Radsport. Internationales Olympisches Komitee, der Radsport-Weltverband UCI und die nationalen Verbände könnten einen Stichtag vorschlagen, bis zu dem jeder die Chance hat, ohne Konsequenzen und im Sinne einer Vergangenheitsbewältigung Doping zu gestehen“, sagte Zabel.

Die Entfernung Zabels aus den Siegerlisten bedeutet kein Zerwürfnis zwischen Zabel und der Tour de France. Im Gegenteil. Amaury-Chef Patrice Clerc machte klar, dass der bürokratische Akt nach Zabels Geständnis zwar unausweichlich gewesen sei, dass er sonst aber von sporthistorischem Revisionismus nicht allzu viel halte. „Wo fängt man da an, und wo hört man auf?“, fragte er. Wenige Tage zuvor hatte Tour-Direktor Christian Prudhomme ausdrücklich betont, dass Zabel bei der Tour willkommen sei. Man brauche im Kampf gegen Doping dringend Männer, die dazu beitragen, das Dopingsystem zu begreifen, sagte Prudhomme. Wie Erik Zabel.

Er ist auch nach seinem Coming-out ein Sympathieträger und Idol geblieben. Und er trägt gerne dazu bei zu erklären, was einen Rennfahrer zum Doping treibt. „Ich formuliere es mal mit Bertolt Brecht: Erst kommt das Fressen, dann die Moral“, sagt er. „Wenn man mit dem Rücken zur Wand steht, trifft man eben falsche Entscheidungen.“ 1996 war Zabel noch kein Radsport-Millionär. Er fuhr, wie bis heute die meisten seiner Kollegen, um den Fortbestand seines Vertrags, um seinen Lebensunterhalt. Deshalb bittet Zabel darum, Doping nicht als fundamentale moralische Verfehlung zu begreifen. Er weist darauf hin, dass an den Sport moralische Maßstäbe angelegt werden, an denen der Rest der Gesellschaft nicht gemessen wird. „Man sollte uns nicht bis ans Ende unserer Tage verteufeln, wenn wir einen Fehler gemacht haben.“

Man merkt, dass Erik Zabel sich um das Fressen keine Sorgen mehr machen muss. Die Aberkennung des Grünen Trikots von 1996, sagt er, sei für ihn kein Anlass, noch einmal darum zu kämpfen. Inzwischen kann er an einem Tag sogar zwei Grüne Trikots verlieren – und am Abend trotzdem zufrieden über die Saone blicken. Sebastian Moll

Sebastian Moll

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