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Schwieriger Ausblick: Auf Miriam Gössner ruhen nun die Hoffnungen.

© dpa

Zum Biathlon-Auftakt in Östersund: Die Erben von Magdalena Neuner warten auf den Volltreffer

Seit den Olympischen Winterspielen in Sotschi sind die Biathletinnen in der Krise. In diesem Winter soll ein neues, junges Team an alte Erfolge anknüpfen.

Von Johannes Nedo

Diese Bilder passten nicht. Die Startläuferin der deutschen Staffel, Franziska Preuß, stürzt am ersten Anstieg und liegt neben ihrem gebrochenen Stock im Schnee. Später, als sie ihren Teamkolleginnen beim einsamen Hinterherlaufen zuschaut, kullern dicke Tränen über ihre Wangen. Und neben ihr steht, wie paralysiert, Andrea Henkel. Kurz zuvor war sie mit hängendem Kopf ins Ziel gekommen. Nein, diese Bilder von den olympischen Winterspielen im vergangenen Februar in Sotschi passten nicht zu denen, die deutsche Biathletinnen jahrzehntelang bei diesem Großereignis produziert hatten.

Zu Olympia aus deutscher Sicht gehörten stets jubelnde Siegerinnen mit schwarz-rot-goldener Fahne. Und die Zuschauer waren verzückt von ihren goldigen Lieblingen: von Magdalena Neuner, Kati Wilhelm, Uschi Disl, Petra Behle und natürlich auch von Andrea Henkel.

Doch bei den Wettkämpfen in Russland enttäuschten die deutschen Frauen vollends. Keine Medaille gewannen sie, zum ersten Mal überhaupt. Hinzu kam der verheerende Dopingfall Evi Sachenbacher-Stehle. Henkel, die als letzte erfolgreiche deutsche Biathletin ihre Karriere nun ebenfalls beendet hat, wählt sehr euphemistische Worte, wenn sie rückblickend sagt: „Olympia in Sotschi war nicht so schön.“

Die schlechten Ergebnisse und Sachenbacher-Stehles Betrug (ob nun bewusst oder unbewusst) haben einiges aufgewirbelt im Deutschen Ski-Verband (DSV). Dabei sind auch so offen wie noch nie Verwerfungen zwischen Athletinnen und Trainern zutage getreten. Rund um den Saisonstart am vergangenen Sonntag im schwedischen Östersund, bei dem die deutsche Mixed-Staffel einen dritten Platz schaffte, wurde deutlich, dass sich vor allem rund um das Frauen-Team viel verändert hat. Und die Zukunftsaussichten sind nicht unbedingt rosig.

Doch der Reihe nach.

Bereits kurz nach Olympia wurde ausgerechnet die erfolgreichste deutsche Biathletin aller Zeiten zur lautesten Kritikerin des DSV. Magdalena Neuner warf den Bundestrainern Gerald Hönig und Ricco Groß fehlendes Einfühlungsvermögen vor. Außerdem sei jungen Athletinnen wie Preuß zu viel zugemutet worden. Und Neuner ging noch weiter. Sie schimpfte über unbewegliche Strukturen im Verband, über veraltete Trainingsmethoden und sagte: „Das ist alles verkrustet. Es wird nicht weitergedacht.“ Volltreffer. Solch emotionale Diskussionen gab es rund um das deutsche Frauen-Biathlon noch nie.

Magdalena Neuner kritisiert Verband und Trainer

Der DSV reagierte prompt. Die neue Sportdirektorin Karin Orgeldinger traf sich mit Neuner in ihrem Heimatort Wallgau und besänftigte sie. Denn Orgeldinger hatte schon gehandelt. Ricco Groß wurde in die zweite Reihe versetzt, er ist nun leitender Trainer des zweitklassigen IBU-Cup-Teams. Für ihn rückt Tobias Reiter auf, bisher Stützpunktcoach in Ruhpolding. Neuner würdigte den Wechsel und verknüpfte dies mit einem Seitenhieb auf Groß: „Die Mannschaft braucht jemand, der ein bisschen mehr Gefühl für die jungen Mädels hat.“

Groß selbst gibt sich auf Fragen zu Neuners Kritik schmallippig. Eigentlich ist der ehemalige Olympiasieger jemand, der etwas zu erzählen hat. Und wenn man ihn während des Abschluss-Trainingslagers in Norwegen anruft, plaudert er bereitwillig über die Leistungstests und das Wetter. Doch angesprochen auf Neuners zackige Aussagen murmelt Groß nur: Das sei ihr gutes Recht. „Sie hat einige zum Überlegen bewegt, aber man denkt sich seinen Teil.“ Die Frage, ob er sich in seiner Arbeit zu sehr von vergangenen Erfolgen hat blenden lassen, beantwortet der 44-Jährige mit „Jein“.

Orgeldinger moderiert all die Biathlon-Umbauten deutlich geschickter. Sie kam im Sommer vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) zum DSV. Die frühere Fechterin weiß also genau, wie ein Verbandsoffizieller solche Personalien kommentieren muss. Im Gespräch formuliert sie geschliffene, abgewogene Sätze. Groß’ neuen Posten sehe sie nicht als Zurückstufung, sagt sie. Ein normaler Umstrukturierungsprozess nach einem Olympia-Zyklus sei das.

Nicht mehr im Rampenlicht: Evi Sachenbacher-Stehle hat ihre Biahtlon-Karriere nach ihrem Doping-Fall beendet.
Nicht mehr im Rampenlicht: Evi Sachenbacher-Stehle hat ihre Biahtlon-Karriere nach ihrem Doping-Fall beendet.

© Imago

Dann geht die 46-Jährige jedoch kurz aus der Deckung – und auch das zeigt, wie groß der Reformstau im Frauen-Biathlon gewesen sein muss. „Wir haben nach Olympia Handlungsbedarf gesehen. Wir müssen die Lücke schließen, die erfolgreiche Athleten hinterlassen haben“, betont sie. „Mut zur Lücke können wir uns nicht mehr leisten. Wir müssen überall perfekt arbeiten.“

Orgeldinger will nun vor allem die Talentförderung forcieren. Sachenbacher-Stehles Rücktritt vom Sonntagabend kommt ihr dabei nicht ungelegen. Und so rückt die DSV-Sportdirektorin den Fokus lieber auf das neue Rahmenkonzept, das sie gemeinsam mit den Trainern erstellt hat. Die Trainingsinhalte wurden modernisiert, es soll mehr auf die individuelle Förderung Wert gelegt werden. Außerdem gibt es mehr psychologische Unterstützung sowie intensive Ernährungsberatung – damit Fälle wie Sachenbacher-Stehle in Zukunft nicht mehr vorkommen. Ihr Dopingmittel war in einem Tee enthalten gewesen. „Die Athleten brauchen ganzheitliche Betreuung. In Sotschi ist offensichtlich geworden: Wir haben das etwas versäumt“, betont Orgeldinger.

Ihre Bestrebungen finden Zuspruch, bei Magdalena Neuner, bei Andrea Henkel. „Veränderungen sind gut“, sagt auch sie. Aber so sehr die 36-Jährige, die nun eine Ausbildung zur Fitness-Trainerin absolviert, die Kritik Neuners nachvollziehen kann, wird an ihren Aussagen dazu ebenfalls deutlich, dass beim DSV zuletzt viele unterschiedliche Sichtweisen aufeinandergestoßen sind. „Vielleicht wurde gerade den jungen Athletinnen zu viel zugemutet, aber wir können auch was ab“, findet Henkel. „Man muss uns nicht immer nur streicheln. Es ist nun einmal Leistungssport, da muss man durch.“

Auf Miriam Gössner und Co. lastet bereits ein gewisser Druck

Für Biathlon gab es in Deutschland bisher nur eine Richtung: nach oben. Unter den Wintersportarten entwickelte es sich zum unangefochtenen TV-König der Deutschen. Die Einschaltquoten stiegen und stiegen, denn die Dauersiegerinnen wie Neuner, Wilhelm oder Disl waren zugleich große Sympathieträgerinnen. Strahlende Schwiegertöchter zum Knuddeln.

Aber jetzt, da die Heldinnen von einst alle aufgehört haben und auch die Erfolge ausbleiben, müssen sich die Verbandsoberen beim DSV mit TV-Ranglisten beschäftigen, die sie in puncto Biathlon zumindest nachdenklich stimmen. Unter den zehn meistgesehenen Wintersportsendungen außerhalb von Olympia in der vergangenen Saison war sechsmal Biathlon, mit starken Einschaltquoten von bis zu fünf Millionen Zuschauern. Aber unter den Top 10 der Olympia-Sendungen war Biathlon nur einmal – stattdessen dreimal Rodeln. Die Deutschen wollen Siege sehen. Das weiß auch Karin Orgeldinger: „Natürlich werden wir Verluste haben, wenn wir nicht mehr die Leistung bringen.“

Auf Henkels Nachfolgerinnen lastet also bereits ein gewisser Druck. Aber die Erfolge, mit denen goldige Biathletinnen die Fernsehzuschauer lange verwöhnt haben, werden die neuen Hoffnungsträgerinnen Miriam Gössner, Franziska Preuß, Laura Dahlmeier und Franziska Hildebrand in diesem Winter kaum erreichen können.

„Es ist ein verdammt junges Team“, sagt Henkel und sendet schon einen Appell hinaus: „Man sollte nicht zu viel von ihnen verlangen und sie bloß nicht mit früher vergleichen, als es ständig Medaillen geregnet hat.“ Henkel setzt deshalb erst einmal „auf unsere Männer“. Die holten in Sotschi immerhin zweimal Silber. Doch werden sich die Biathlon-Fans auf Dauer mit ein paar zweiten Plätzen bei Männern und hinterherlaufenden Frauen zufrieden geben?

Für den Wintersport-Liebling der Deutschen könnte es eine vorentscheidende Saison werden.

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