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Sport: Zur Rettung verpflichtet

Am Montag startet Jürgen Kohler seine Mission in Leverkusen

Fürth. Es war ein kurzes Kapitel seines Lebens, doch ein paar Minuten musste sich Jürgen Kohler nun noch gedulden. Mit verschränkten Armen stand er zwei Schritte vor seinem Trainerstuhl, als der Uefa-Bedienstete eine Nummerntafel in die Höhe reckte und eine rote Vier aufblinkte. Vier Minuten Nachspielzeit. Nur die Unbeugsamsten unter den 6400 Zuschauern im Playmobil-Stadion konnten Gefallen daran finden, dass dieses Spiel der deutschen U 21 gegen Litauen noch eine Verlängerung erfuhr. „Es war ein schwaches Spiel“, sagte DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder – eine sehr wohlwollende Einschätzung für das Match, in dem Jürgen Kohler letztmals das deutsche Team betreute. Für ihn beginnt am Montag der neue Ernst des Lebens: als Sportdirektor von Bayer Leverkusen – zur Rettung verpflichtet.

Jürgen Kohler hat einen Fünfjahresvertrag unterschrieben, der ihn als Sportdirektor ausweist, doch für Bayer ist er weit mehr als das, was auf seiner Visitenkarte stehen wird. Der 37-Jährige repräsentiert den letzten Versuch der Bayer-Führung, der wuchernden Planlosigkeit im Kampf gegen den Abstieg entgegenzuwirken. Kohler steht für das, woran es beim Konzernklub seit Monaten in erheblichem Maße mangelt: an Tugendhaftigkeit, Gründlichkeit, Kompromisslosigkeit.

Er soll bei Bayer Trainer Thomas Hörster entlasten, dessen unbedarfte bis ungeschickte Selbstdarstellung die Klubführung generös goutiert. Mancher stellt sich die Frage, ob der ebenfalls eher zurückhaltende Kohler genügend Wachrüttel-Qualitäten mitbringt. Überaus vorsichtig ging er am Freitagabend nach dem Spiel mit seiner neuen Aufgabe um. „Ich werde heute nichts über Bayer Leverkusen sagen, der Verein hat mich darum gebeten“, sagte er, und es klang, als konzentriere er sich darauf, einen ersten Fehler zu vermeiden.

Mühsam könnte es für Manager Calmund werden, Kohlers Ressort exakt abzustecken, ohne dass seine Einstellung wie eine schleichende Entmachtung Hörsters erscheint. Welche Rolle ihm zwischen Tribüne und Trainerbank zugedacht ist, wissen nicht einmal die Spieler. „Jürgen Kohler hat eine vergleichbare Situation vor einigen Jahren mit Dortmund erlebt, diese Erfahrungen soll er jetzt an uns weitergeben“, sagt Mittelfeldspieler Hanno Balitsch, der Kohler von der U 21 kennt, doch „inwieweit er Einfluss auf die Mannschaft haben wird, hat uns die Klubführung nicht gesagt“. Nur so viel: „Er soll dem Trainer zuarbeiten und nicht selbst ein Übertrainer sein.“ Er wird sich seine Nische suchen müssen. Bei anhaltendem Misserfolg, vermuten einige aus dem Umfeld des Klubs, wird es allerdings schon bald eine erneute Rochade geben: Jürgen Kohler könnte dann doch seine Trainerkarriere fortsetzen, bei Bayer Leverkusen.

Dass der 105-malige Nationalspieler beim DFB aus seinem noch bis 2007 laufenden Vertrag aussteigen darf, liegt an der Vorleistung, in die Bayer getreten ist. „Wir fühlten uns Leverkusen gegenüber verpflichtet“, sagte Mayer-Vorfelder, da der Werksverein bei den Personalien Daum und Völler seinerzeit die eigenen Interessen hinter die des DFB gestellt hatte. „Damit sind wir jetzt aber quitt, Calli kann jetzt nicht noch mal anrufen“, scherzte der Verbandsoberst.

Mayer-Vorfelder war gut gelaunt, denn die vier Minuten Zusatzarbeit der U 21 hatten sich gelohnt. Mike Hankes Tor zum 1:0 in der Nachspielzeit bescherte der Nachwuchself in der Olympia-Qualifikation den zweiten Sieg im zweiten Spiel – und Jürgen Kohler ein freundliches Abschlusszeugnis, obwohl seine Zeit als U-21-Trainer ein sehr durchwachsenes Kapitel war. Die höchsten Niederlagen seit Gründung des Teams vor 24 Jahren (1:5 gegen Bosnien-Herzegowina, 1:4 gegen Spanien) fielen ebenfalls in seine Amtszeit.

Kohler hat das Kapitel abgehakt, er schaut nach vorn. „Ich bin ein Mensch, der immer Herausforderungen gesucht – und auch gefunden hat“, sagt Kohler zum Abschluss der Pressekonferenz und lehnt sich zurück, ehe er noch einmal das Mikrofon ergreift. „Und bestanden hat“, ergänzt er. Danach lächelt er in die Runde. Ein bisschen verlegen sieht er aus.

Daniel Pontzen

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