zum Hauptinhalt
Im Berliner Winter angekommen. Zuletzt boten Ronny und Kollegen wenig Erwärmendes für die Fans.

© Ottmar Winter

Zweite Liga: Hertha BSC und die Holzfäller-Frage

Kann man Mentalität lernen? Vor dem Spiel gegen den MSV Duisburg wird Herthas Trainer Markus Babbel mit der Einstellung seines Personals konfrontiert.

Berlin - Jetzt kommt auch noch Vettel. Auf einer einen Kilometer langen Schleife, was recht bescheiden ist für Formel-1-Verhältnisse, aber genug Aufmerksamkeit absorbiert von Hertha BSC. Und das vor dem Spitzenspiel gegen den MSV Duisburg, zur immer noch ungewohnten Zweitligazeit um 13 Uhr. Wo in sonnigeren Zeiten und zu größeren Anlässen die Fußballfans feiern, auf der Fanmeile zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule, wird zur selben Stunde Sebastian Vettel das tun, was eigentlich Herthas Domäne ist, nämlich „Berlin rocken“. Vor zwei Jahren, als die Zweckgemeinschaft um Marko Pantelic und Andrej Woronin um die Meisterschaft mitspielte, hätte Vettel es sich zweimal überlegt, ob er in direkte Konkurrenz tritt zu Berlins führendem Fußball-Unternehmen.

Nun liegt es gewiss nicht allein am jüngsten Formel-1-Weltmeister aller Zeiten, dass der Vorverkauf so schleppend angelaufen ist wie in dieser Saison sonst nur beim ungeliebten Montagsspiel gegen den VfL Bochum. Duisburg ist trotz Platz drei eben immer noch Duisburg und damit nah am Idealtypus einer grauen Maus. Das angekündigte Schneetreiben wird den Aufenthalt im Olympiastadion kaum heimeliger gestalten. Und, entscheidender noch: Die jüngsten drei Niederlagen in der Provinz und der Verlust der Tabellenführung waren keine Argumentationshilfe für einen Besuch bei der Mannschaft, die sich mit einem schweren Vorwurf konfrontiert sieht. Am späten Donnerstagabend, bei einer vom Vorstand organisierten Fragerunde, kleidete ein Vereinsmitglied das wachsende Unbehagen in die Frage: „Warum schaffen wir es nicht zu kämpfen, wenn der Gegner mit elf Holzfällern antritt?“

Der geerdete Herthafan verzeiht viel und verklärt Misserfolge gern mit einer bundesweiten Schiedsrichter-Verschwörung und dem perfiden Doppelspiel von Verrätern (als solcher wurde am Donnerstagabend der nach Wolfsburg verzogene Arne Friedrich beschimpft). Eines aber mag der geerdete Herthafan überhaupt nicht: Wenn die da unten auf dem Platz glauben, sie könnten ohne kämpfenspuckenbeißen ihr Tagwerk verrichten. Höhere Weihen erfahren Spieler bei Hertha nur, wenn Schlammspuren ihre blau-weißen Trikots um einen graubraunen Ton bereichern.

Markus Babbel sagt, er habe eine hohe Erwartungshaltung an die Einstellung seiner Spieler, „der eine verinnerlicht das halt früher, der andere später“. Für die Woche nach Osnabrück hatte der Trainer seinem Assistenten Rainer Widmayer aufgetragen, Ansprache und Tempo zu verschärfen, „die Spieler sollen schon merken, dass wir hier keine Beschäftigungstherapie machen“.

Kann man Mentalität lernen? Babbel glaubt, das sei für einen Fußballspieler durchaus möglich, auch im höheren Alter, „aber einfacher ist es natürlich, wenn man sich die Mentalität von außen dazukauft“. Als mannschaftsinterne Vorbilder dienen Peter Niemeyer, Fanol Perdedaj, Sebastian Neumann, Andre Mijatovic oder Pierre-Michel Lasogga, keiner von ihnen war beteiligt am sanft und leidenschaftslos ertragenen Abstieg unter dem sanften und leidenschaftslosen Trainer Friedhelm Funkel. Als dessen Nachfolger hat Babbel in seiner Retrospektive das Mentalitätsproblem als das entscheidende bei Hertha ausgemacht – „ich persönlich hatte ja das Glück, in einem Verein großzuwerden, der dir von Anfang an die richtige Einstellung einimpft“.

Von eben diesem FC Bayern München hat er im Sommer Christian Lell nach Berlin geholt, von dem man alles sagen kann, nur nicht, dass er sanft und leidenschaftslos ist. Seit ein paar Wochen führt Lell die Mannschaft als Kapitän aufs Feld, und wie es sich für einen guten Kapitän gehört, hat er viel Druck von der Mannschaft genommen mit der unkonventionellen Idee, sich in den Dunstkreis einer gehobenen Wirtshausschlägerei zu begeben. Es ist sein Verdienst, dass der Berliner Boulevard in den vergangenen Wochen so wenig breitzutreten hatte über Herthas missratenen Ausflug nach Osnabrück. Die Dankesbekundungen im Kollegenkreis hielten sich in Grenzen.

Lell lässt ausrichten, dass er dazu nichts mehr sagen möchte. Sein Trainer behauptet, „dass es für mich ohnehin nie ein Thema war“ und ebensowenig für die Mannschaft, „ich bin zwar kein Spieler mehr, aber in der Kabine ist das nicht vertieft worden“. Das ist nett formuliert und verantwortungsbewusst geflunkert.

In der Kabine musste Christian Lell eine kurze Rede halten und geloben, dass sich derartiges nicht wiederholt. Was im Übrigen auch für den von ihm und seinen Kollegen gespielten Fußball bei den jüngsten Auswärtsspielen in Koblenz, Paderborn und Osnabrück gilt. Schon um die Wiedergutmachungsgelüste seines Personals zu bedienen, dürfte Markus Babbel heute erneut die Besetzung von Osnabrück aufbieten, wenn denn der malade Innenverteidiger Neumann rechtzeitig fit wird. „Ich bin überzeugt, dass wir gegen Duisburg gewinnen werden“, sagt der Trainer.

Diese Zuversicht teilt er offenkundig mit der Anhängerschaft. Beim Rencontre zwischen Vorstand und Fans gab es am Donnerstag zur sportlichen Qualität der Mannschaft keine kritische Nachfrage. Die mit dem zweiten Tabellenplatz immer noch ausreichend befriedeten Fans hatten andere Sorgen. An der Spitze der Prioritätenliste vor dem im Foyer verteilten Streuselkuchen stand der Zustand der Stadiontoiletten, und einer wollte wissen: „Wann spielen wir endlich wieder in der Champions League?“

Heute kommt erstmal Sebastian Vettel.

Zur Startseite