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Sport: Zwischen Titeln und Tragödien

Der Onkel gewann mit England die Fußball-WM, der Neffe siegte nun im Rugby – nur privat haben die Cohens kein Glück

London. Zu nachtschlafender Zeit, am Dienstag früh um 5 Uhr, werden die neuen englischen Rugby-Weltmeister von ihrem Triumph in Sydney zurückkehren. Trotzdem erwartet sie in London ein Empfang, wie ihn die Stadt seit 37 Jahren nicht mehr gesehen hat. So lange mussten die Engländer warten, bis sie im internationalen Mannschaftssport mal wieder global auftrumpfen konnten. Und wenige haben diesen Moment so sehnlichst herbeigewünscht wie George Cohen, der 1966 beim Sieg gegen Deutschland rechter Verteidiger in der englischen Fußball- Weltmeisterschaftself war.

Cohen war nach Sydney geflogen, um seinem Neffen Ben Cohen moralische Unterstützung zu leisten. Ben, einer der Stars der englischen Rugbymannschaft, machte den Kickoff beim Weltmeisterschaftsendspiel im Telstra Stadion in Sydney. Als die Engländer in den letzten Sekunden der Verlängerung den Sieg schafften, war Onkel George den Tränen nahe. „Unheimlich. Das war genau wie 1966“, sagte er immer wieder und schüttelte ungläubig den Kopf. Zusammen mit 48 000 Fans verfolgte der Rentner das bis zum Abpfiff dramatische Spiel. „Ich war wohl ein bisschen ein Held für Ben, als er klein war. Nun ist er ein Held für mich“, sagte Onkel George und hatte auch gleich einen guten Rat für den Neffen. Der lautete: „Genieße den Sieg und pass’ auf, dass er dir nicht durch die Finger gleitet.“

George Cohen weiß, wovon er spricht. Er gehört zu den „vergessenen Fünf“ der Weltmeistermannschaft von 1966. 1000 Pfund Prämie gab es damals für die Spieler des Teams von Sir Alf Ramsey. Während Stars wie Bobby Charlton geadelt wurden, erhielt George Cohen erst vor drei Jahren eine Medaille von der englischen Königin. George Cohen musste wegen einer Verletzung den Fußball früh aufgeben, kämpfte mit Krebskrankheiten, verlor sein Haus im englischen Immobiliencrash der Neunzigerjahre. Britische Boulevardzeitungen wissen jede Menge Tragödien aus dem Leben von George zu berichten: Sein Bruder, der Vater von Ben, starb nach einem Überfall vor einem Nachtclub. Und die Mutter des Fußballers, die Großmutter des Rugbyspielers ist, starb in London bei einem Autounfall.

Ben Cohen schrieb das Vorwort zur Autobiographie von Onkel George: „Zwei Dinge möchte ich im Leben schaffen: Einen World-Cup gewinnen wie George. Und damit so gut fertig werden wie er. Er hat sich nie vor dem gedrückt, was das Leben ihm abverlangte." Vielleicht wird es für Rugbystar Ben Cohen aber einfacher als für seinen Onkel. Die Sportart Rugby, lange Zeit in England im Niedergang begriffen, erlebt derzeit eine wunderbare Renaissance. Nicht nur, weil England nun den Titel gewonnen hat, sondern weil die Spieler einen neuen Heldentypus personifizieren: kraftvoll und ehrlich, stark, aber sauber.

Der englische Fußball ist dagegen durch Geld, Drogen, Klatsch und Kriminelles in Verruf gekommen. Ein Spieler von Leeds United wurde vor kurzem wegen Vergewaltigung verurteilt, in London steht aus ähnlichen Gründen nun ein weiterer Prozess bevor. Werbeträger sehen sich schon nach neuen Sportidolen um. Sie finden sie nun beim Rugby.

Und welche schönere Geschichte könnte es da geben als die von Ben Cohen und seinem lieben Onkel George.

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