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Brandenburg: Staatsanwalt sichtet jetzt Akten im Ministerium

Vorermittlungen wegen des Verdachts der Untreue. Speer stellt ein Büro in seinem Haus zur Verfügung

Potsdam - Brandenburgs Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg hat sich in die Enteignungsaffäre eingeschaltet. Nach Tagesspiegel-Informationen hat Rautenberg Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) in einem Brief gebeten, die Potsdamer Staatsanwaltschaft bei ihren Vorermittlungen wegen des Verdachts der Untreue offensiv mit Informationen zu unterstützen – es geht um die vom Bundesgerichtshof als „sittenwidrig“ gerügte Inbesitznahme von 10 000 Bodenreformgrundstücken durch das Land. Der Brief, der Platzeck während der Sitzung des Kabinetts am Dienstag zugeleitet worden war, verfehlte dem Vernehmen nach seine Wirkung in der Regierung nicht.

Finanzminister Rainer Speer (SPD), der zuvor für ein ungefragtes Übersenden von relevanten Akten an die Ermittler keinen Grund sah, nahm umgehend Kontakt mit der Anklagebehörde auf. Es wurde vereinbart, dass der Staatsanwalt ein Büro im Finanzministerium bezieht, um dort Akten anzufordern und einzusehen. „Wir machen von dieser Möglichkeit Gebrauch“, sagte Sprecher Christoph Lange gestern. Wann die Entscheidung falle, ob ein offizielles Ermittlungsverfahren eingeleitet werde, sei offen. „Wir sind beschleunigt dran“.

Im Kern geht es um den Verdacht, dass das Land Brandenburg bei der systematischen Inbesitznahme der 10 000 Grundstücke unbekannter Erben das Vermögen der Mündel veruntreut hat, als es sich als deren „gesetzlicher Vertreter“, also als Treuhänder, einsetzen ließ – und als sofortige Amtshandlung die Umschreibung der Grundbücher in Landeseigentum veranlasste. Für Strafrechtler ist der Fall kompliziert, weil es um den Verdacht der „uneigennützigen Untreue“ von Regierungsbeamten geht, die von der Operation keinen persönlichen Vorteil hatten. Für Untreue muss überdies Vorsatz nachgewiesen werden. Die Hürden gelten spätestens seit dem Untreue-Verfahren gegen die frühere Führungsetage des Brandenburger Sozialministeriums unter der damaligen Ministerin Regine Hildebrandt (SPD) als hoch. Es endete mit einem Freispruch für ihren Staatssekretär Detlev Affeld und die anderen Angeklagten. Ein Vorsatz konnte damals nicht nachgewiesen werden.

Wie berichtet, soll ein Untersuchungsausschuss des Landtages die Affäre aufklären. Ins Zwielicht gerät jetzt aber auch die bisherige Informationspolitik der Landesregierung. So beruft sich das Finanzministerium darauf, dass die praktizierte Landnahme der damals „vorherrschenden Rechtsauffassung“ entsprochen habe. Es verweist explizit auf ein Urteil des Oberlandesgerichts Jena aus dem Jahr 1996. Das Urteil vom 10.4.1996 des OLG Jena betrifft jedoch keine Bodenreformflächen und berührt in keiner Weise das vom Land Brandenburg praktizierte „In-Sich-Geschäft“ eines Treuhänders, das der Bundesgerichtshof rügte. Der Jena-Fall regelt in einer privaten Erbenangelegenheit lediglich, wie gesetzliche Vertreter bestellt werden können – nicht aber, was sie dürfen.

Der Potsdamer Anwalt Thorsten Purps glaubt bei solch regierungsamtlicher Fehlinterpretation eines Urteils nicht an einen Zufall. „Das ist gezielte Desinformation“, sagte Purps. „Es ist nicht versucht worden, irgendetwas zu verschleiern“, sagte dagegen Finanzminister Rainer Speer (SPD).

In einigen Landkreisen hatte es damals – Teltow-Fläming machte nicht mit – Bedenken gegen die Landnahme gegeben. Wie berichtet, stellte das Finanzministerium Landkreise und kreisfreie Städte im Jahr 2000 sogar von allen Haftungsrisiken frei. Wie Speer gestern sagte, gehe er davon aus, dass dies generell so geschehen sei. Betroffen wäre somit womöglich auch die Stadt Potsdam, als der heutige SPD-Ministerpräsident Matthias Platzeck 1999/2000 Oberbürgermeister war.

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