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Brandenburg: Stadt, Land, Wahl

Von Potsdam bis zum kleinsten Dorf: Ärger und Hoffnungen am Tag der Entscheidung

Potsdam. Genau in dem Moment, als Matthias Platzeck die Hofeinfahrt zum Wahllokal 5204 in PotsdamBabelsberg betritt, beginnen Kirchenglocken zu läuten. „Passt doch!“, scherzt der Regierungschef. Und sagt, was ein Wahlkämpfer bis zur Schließung der Wahllokale um 18 Uhr sagen muss: „Ich habe ein ganz gutes Gefühl.“ Dann appelliert er noch einmal in die aufgebauten Fernsehkameras an die Brandenburger, zur Wahl zu gehen. Zumindest hier, im Babelsberger Wahllokal, in seinem Kiez, sieht es ganz gut aus. Um 12 Uhr haben bereits 300 von 1300 Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben, weit mehr als bei den letzten Wahlen. Und so ist der Trend allgemein in der Landeshauptstadt. Kurz nach 11 Uhr ist besonders großer Andrang in der Plattenbau-Grundschule 45 am Pappelhain, überwiegend ältere Leute kommen und gehen. Sie haben fast alle missmutige Gesichter. „Richtig gewählt?“, begrüßt ein Ehepaar das andere. „Na klar, wie gewohnt“. Die Frage nach der Partei ist fast überflüssig. Die Gegend gilt als Hochburg der PDS. Der Wahlvorstand im Klassenzimmer wirkt so mürrisch und versteinert wie einst das Personal in den DDR-Passierscheinstellen. Die simple Frage, wie hoch die Wahlbeteiligung ist, bringt den Vorstandsleiter, der über die Wahllisten Buch führt, fast in Rage. „Sage ich nicht“, heißt es schroff.

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Kleinmachnow. Entspannt ist dagegen die Stimmung in den Kleinmachnower „Kammerspielen“, hart an der Zehlendorfer Grenze. Das Kino wurde zum Wahllokal 9, sehr viele junge Leute kommen und geben freimütig Auskunft. „Widerwillig SPD“, heißt es, oder „ich mache einen Ausflug ins Grüne“. Die Mienen sind freundlich. Vor dem Kino steht eine Gruppe Rentner, die über Politik diskutiert. Auf die Frage, was sie gerade gewählt haben, sagte einer nur: „Hier wird gemischt gewählt, aber nicht die PDS.“ Geschimpft wird ein wenig auf die „Eingebürgerten“ aus Berlin, „bornierte junge Leute mit Ellenbogen“, die unter sich bleiben wollten. Die kleine Gruppe vorm Kino verübelt vielen Zuzüglern auch, dass sie, obwohl seit Jahren in Kleinmachnow, noch immer mit „B“-Kennzeichen an ihren Autos herumfahren – statt „PM“ für Potsdam-Mittelmark.

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Brandenburg/Havel. Auf den Seen um Brandenburg blinken die Segel, an den Autowaschanlagen herrscht Hochbetrieb, in den Dörfern rattern die Rasenmäher. Viele, die das Wahllokal in der Heinrich-Heine-Schule in der Nähe des früheren Stahlwerks, das nach dem Mauerfall stillgelegt und verschrottet wurde, verlassen, haben PDS oder SPD gewählt. Auffällig viele sagen auch: „DVU!“ Auf der vierspurigen Bundesstraße haben die Rechtsextremen die Oberhand. Bis zu zehn „Schnauze-voll-Plakate“ hängen übereinander an einem Fahnenmast, Plakate anderer Parteien sieht man fast nicht. Nachmittags verdunkeln sich die Wolken. In Potsdam fallen erste Regentropfen.

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Papenbruch. Im Norden Brandenburgs hat es schon am Morgen geregnet. Doch die drei Frauen im kleinen Wahllokal des Dörfchens Papenbruch lassen sich die Laune nicht verderben. Selbstgebackener Kuchen steht auf dem Tisch, Kaffee duftet aus der Thermoskanne. „Wenn wir Glück haben, werden wir heute eine fast doppelt so hohe Wahlbeteiligung haben wie beim letzten Urnengang“, freut sich die Ortsbürgermeisterin: „Wir könnten am Ende auf 35 Prozent kommen“. An der Europawahl im Juni haben sich nur 19 Prozent der Papenbrucher beteiligt. Die Wahl-Frauen wissen auch schon, wer gewinnen wird: „Haushoch die PDS.“ Am wichtigsten sei, dass die DVU nicht so stark wird. „Rechtsextremismus lehnen wir ab. In Papenbruch soll es menschlich zugehen.“

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Wittstock. Im Marktcafé von Wittstock sitzt ein Mann, der – glaubt man den Meinungsforschern – fünfzig Prozent der Brandenburger Wähler repräsentiert. Es ist elf Uhr und der Mann weiß immer noch nicht, ob er wählen geht. Schon gar nicht, wen er wählen soll, wenn er denn wählt. Er kann auch nicht sagen, wovon es abhängt, ob er noch wählen wird. Der Mann ist 33 Jahre alt und nicht arbeitslos. Auch nicht enttäuscht, betont er: „Das Enttäuschtsein habe ich mir abgewöhnt. Beim Studium hat mich Politik noch interessiert, aber ich habe erkannt, dass am Ende die Wirtschaft entscheidet, wo’s lang geht.“ Der Mann trinkt Lübzer Pils aus der Flasche. 50 Meter von dem Café entfernt sitzt Jörg Gehrmann im großen Beratungssaal des Rathauses. Hier ist das Wahllokal 1 von Wittstock. Gehrmann sitzt immer als Vorsteher hier, wenn Wahlen sind. Ein Landwirt hat es eilig, in die Wahlkabine zu kommen, die Weizensaat muss in die Erde: „Ich wähle immer CDU, aber nicht wegen Schönbohm“, sagt er.

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Frankfurt (Oder). Das größte Lokal der Stadt hofft für den Sonntagabend auf das Geschäft des Jahres. Denn die PDS hat sich für ihre Wahlparty den Oderspeicher ausgesucht. Die direkt am großen Gasthaus vorbei fließende Oder hat sich in den vergangenen Monaten stetig der Stimmung in der Stadt angepasst. Sie sank immer weiter ab. Am Sonntag schwankt der Pegel um die Ein-Meter-Marke, normal wäre in dieser Jahreszeit die doppelte Wassermenge. Die Unterhaltungen vor den Wahllokalen führen meist gleich zur gescheiterten Chipfabrik. „Schämen müssten sich Politiker, die uns das Blaue vom Himmel versprochen haben“, schimpft ein Mann im mittleren Alter vor dem Oderturm. Seine Begleiterin macht kein Hehl aus ihrer Entscheidung. „Platzeck auf jeden Fall nicht und Junghanns gleich gar nicht. Als CDU- Wirtschaftsminister hat der doch versagt. Es bleibt nur die PDS.“ Im Stadtpark sitzen einige Senioren auf den Bänken. „Wir werden immer älter und bestimmen schon das Stadtbild“, stellt eine hochbetagte Dame traurig fest. „Wenn in der Woche nicht die Studenten der Europa-Uni unterwegs wären, würde es ganz trübe aussehen.

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Basdorf. Frisches Obst und einen Handschlag für jeden Wähler gibt es wohl nur hier: in Basdorf zwischen Neuruppin und Rheinsberg. Ganze 27 Wahlberechtigte zählt der kleine Ort mit dem kleinsten Wahllokal Brandenburgs. Auf die lediglich rund zehn Quadratmeter große Fläche des Pausenraumes der Freiwilligen Feuerwehr passen gerademal die Wahlurne und der Tisch für die Ausgabe der Stimmzettel. Die Wahlbeteiligung dürfte wie jedes Mal bei 85 Prozent liegen. Es wären diesmal vielleicht sogar 100 Prozent geworden, heißt es im Dorf. Aber einige Einwohner seien nicht zu Hause.

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Rathenow. Ab 15 Uhr begann überall die Auswertung der Briefwahl. Auch in Rathenow – wo Unbekannte in der Nacht zum Sonnabend den Briefkasten am Landratsamt aufgebrochen und den Inhalt zerrissen und verstreut haben. Die Polizei hat den Kreiswahlleiter für die Wahlkreise 5 und 6 im Havelland informiert, dass darunter auch zehn Wahlbriefe waren. „Acht davon sind so zerrissen, dass man sie nicht mehr zuordnen kann“, sagt er. Die zuständigen Briefwahlleiter müssen entscheiden, ob sie zugelassen werden.“ Der Kreiswahlleiter glaubt aber nicht, dass dies noch möglich ist. „Wollen mal hoffen, dass das Ergebnis am Ende nicht von diesen acht Stimmen abhängt“, sagt er. C. v. L./das/Ste./thm

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