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Straßenprivatisierung in Briest: Brandenburger fühlen sich verkauft

Die Stimmung im kleinen Ort Briest kocht: Ein Berliner hat die Dorfstraße gekauft. Nun fürchten die Anwohner, abkassiert zu werden. Und fragen sich, wie das passieren konnte.

Im kleinen Ort Briest in der Nähe der Havelstadt Brandenburg kochte am Dienstagmittag die Volksseele. Rund 20 Einwohner diskutierten wild über einen im Land bislang einmaligen Verkauf einer Straße und sprachen von „Erpressung“, „Ausbeutung“, „Strohmännern“ und „linken Geschäften“. Spontan griffen sie zur Kreide und schrieben ihre Botschaft auf die Asphaltdecke: „Keine Straßenbenutzungsgebühr!“ Eigentümer und Mieter von Häusern in dem vor 15 Jahren gebauten Wohnpark verlangten Klarheit und eine Rücknahme der Privatisierung. „Zuerst die Wälder, dann die Seen und jetzt die Straßen. Was ist bloß los in diesem Brandenburg?“ schimpfte eine Einwohnerin – und die Nachbarn applaudierten. Vor allem die Ungewissheit über die Folgen des Verkaufs an einen Privatmann raubt den rund 100 Anrainerfamilien die Nerven. „Jetzt wird wohl alles teurer: die Abwassergebühren, die Straßenreinigung, der Winterdienst, vielleicht auch das Parken“, meinte Ulli Walter aus der Straße Am Mühlenberg. „Auch die große Fläche am See ist schon verkauft.“

Der Grund für die Aufregung sind die Umstände des Straßenverkaufs. „Ich habe sie ganz normal bei einer Zwangsversteigerung erworben“, sagte der Libanese Wassim Saab dem Tagesspiegel, der in Berlin ein Übersetzungsbüro betreibt. Genau 1 000 Euro hat er für sein neues Eigentum bezahlt. Das Mindestgebot lag bei einem Euro. Die asphaltierte Straße, unter der alle notwendigen Frisch- und Abwasserrohre verlaufen, gehörte zur Insolvenzmasse des Wohnparks, mit dem ein Investor pleitegegangen war. Dieser liquidiert selbst das ehemalige Eigentum. In Briest werden „enge Absprachen“ zwischen dem Liquidator und dem neuen Eigentümer vermutet. „Woher sollte denn sonst ein Übersetzer aus Berlin von dem Angebot erfahren haben?“ fragte Anwohner Ulli Walter im Namen der betroffenen Briester. Doch weder Wassim Saab noch der Liquidator wollten sich über die genauen Umstände äußern. Saab, der sich am Nachmittag noch sehr einsilbig geäußert hatte, sagte am frühen Abend, er wolle die Straße „am liebsten in die kommunale Hand geben“ – allerdings für mehr als 1000 Euro. Einen genauen Kaufpreis nannte er jedoch nicht.

Bürgermeister Günter Noack wettert nun gegen die Amtsverwaltung. Die habe sich klassisch hinters Licht führen lassen, meint Noack. Tatsächlich waren zum Versteigerungstermin auch zwei Angestellte der zuständigen Amtsverwaltung Am Beetzsee anwesend. Die sollen aber beauftragt gewesen sein, lediglich für einen einzigen Euro um die Straße zu bieten. Offensichtlich hatte das Amt nicht damit gerechnet, dass beim Zwangsversteigerungstermin ein weiterer Interessent um die Straße bietet.

Die Amtsdirektorin Simone Hein äußerte sich gestern sichtlich erstaunt. „In einer Einwohnerversammlung werde ich die Menschen beruhigen. Sie werden nicht zur Kasse gebeten“, versicherte sie. Claus-Dieter Steyer

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