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Tagebau-Seen: Lausitz: Auf zu neuen Ufern

Wo einst Tagebaubagger Braunkohle förderten, kann man bald an Lagunen wohnen. Die Lausitzer Seenlandschaft nimmt Form an.

Von Sandra Dassler

Großräschen - Der Ilse-See glitzert, der Wind formt kleine Wellen, die sanft ans Ufer schlagen, wo die Villen stehen und das wunderschön sanierte Seehotel. „Hier bin ich groß geworden“, sagt Petra Deutsch: „Damals war das hier aber noch kein Hotel, sondern ein Wohnheim.“

Vor allem war hier damals kein See, sondern „die Grube“, wie sie in der Lausitz zu den Braunkohletagebauen sagen. Am Rande der Grube, wo die Schaufeln der Riesenbagger ächzten und die Luft getränkt war von Rußpartikeln, lebte man nur, wenn man selbst „in der Kohle“ – wieder so ein Ausdruck – arbeitete.

Petra Deutsch, deren Eltern im Bergbau beschäftigt waren, hat zeitlebens „in der Kohle“ gearbeitet. Heute ist die 56-Jährige bei der Lausitzer und Mitteldeutschen Bergbau-Verwaltungsgesellschaft (LMBV) für die Vermarktung und den Verkauf von Immobilien zuständig. Die LMBV kümmert sich im Auftrag des Bundes um Sanierung und Nachnutzung stillgelegter DDR-Tagebaue.

Den Plan, die sogenannten Restlöcher in Seen zu verwandeln und mit schiffbaren Kanälen zu verbinden, gab es schon 1965. Seit einigen Jahren laufen die Gruben nun voll und die Wirklichkeit übertrifft alle Visionen: 21 Seen werden spätestens 2020 die mit 14 000 Hektar Wasserfläche umfangreichste künstliche Seenlandschaft Europas bilden. Neben dem Tourismus, der schon jetzt Zehntausende in die Region lockt, überlegen auch immer mehr Menschen, auf Dauer an den, im wahrsten Sinne des Wortes, neuen Ufern zu leben.

An einigen Orten ist das schon möglich. Am Rande Großräschens beispielsweise stehen schon die ersten grünen Straßenlaternen einer neuen Siedlung, Wege werden befestigt, Grenzsteine gesetzt. Rund 40 Meter weiter unten wächst im einstigen Tagebau Meuro der Ilse-See. „Wir haben hier rund 100 Einfamilienhäuser geplant“, sagt Großräschens Bürgermeister Thomas Zenker (SPD): „Gerade hat wieder ein Berliner ein Grundstück gekauft. In der ersten Reihe, wo man einen wunderbaren Blick auf den See haben wird.“

Der Bürgermeister hat vorausgedacht, Flächen für die Siedlung, die nach einer ehemaligen Brikettfabrik „Alma“ genannt wird, bereits in den 90er Jahren von der LMBV gekauft und einen Bebauungsplan erarbeitet. Anderswo geschieht dies erst jetzt, nachdem sich Brandenburg und Sachsen bereit erklärten, die meisten Seen in ihre Hoheit zu übernehmen. Am benachbarten Sedlitzer See ist beispielsweise eine Art Lagunenstadt mit Wohnungen und Ferienwohnungen geplant. Am Partwitzer See soll eine Siedlung schwimmender Häuser entstehen (siehe Kasten), eines kann man schon mieten.

Am Geierswalder See, an der Grenze ins Sächsische, ist die Flutung weit fortgeschritten, im Sommer gehen die Ersten hier schon baden, man kann surfen, segeln, Tretboot, Kanu, Wasserski, Wakeboard oder Jetboot fahren. Man kann auch in einem kleinen runden Etwas bei Sonnenuntergang auf den See schippern und grillen. Oder sich auch hier im ersten schwimmenden Haus einmieten.

Ein solches Objekt für rund 400 000 Euro zu erwerben ist fast die einzige Möglichkeit, im Lausitzer Seenland einen ganz privaten Zugang zum Wasser zu haben. Denn die Seen sollen öffentlich bleiben, genau wie die Wander-, Rad- und Skaterwege um sie herum. Die gelten bei manchen Berlinern und Dresdnern als Geheimtipp, weil sie teils so breit sind, dass man auch mit Frau und zwei Kindern noch gemütlich nebeneinander fahren kann.

Das liegt daran, dass viele Wege von der LMBV für die Sanierungsarbeiten mit großen Fahrzeugen angelegt wurden. Noch werden sie genutzt, denn es dauert Jahrzehnte bis die „Landschaft vom Reißbrett“ fertig ist. Und während Naturschützer gespannt beobachten, wie sich Flora und Fauna die Mondlandschaft zurückerobern, nutzen andere die Canyons und Krater für illegale Motocrossrennen.

Ungefährlich ist das nicht, sagt LMBV-Sprecher Uwe Steinhuber und empfiehlt legale Crossstrecken und geführte Touren. Spätestens nach dem Erdrutsch von Nachterstedt in Sachsen-Anhalt, bei dem im Juli ein gewaltiger Erdrutsch Menschen, Häuser und Straßen in einen See riss, wird er wieder öfter nach der Sicherheit im Seenland gefragt. Auch Großräschens Bürgermeister Zenker hat nach Nachterstedt Anrufe von Hausbesitzern in der neuen „Alma-Siedlung“ erhalten. „Alles sicher“, sagt er. „Hier ist kein aufgeschüttetes Kippengelände, sondern gewachsenes Erdreich, das außerdem gründlich untersucht wurde.“

Viele neue Hausbesitzer arbeiten selbst „in der Kohle“. „Die haben uns von Anfang an vertraut“, sagt LMBV-Sprecher Steinhuber: „Und darauf, dass die Seen entstehen – entgegen den Unkenrufen, dass das Wasser nicht ausreichen oder die Flüsse rückwärts fließen würden. Aber das ist alles geregelt. Die Flutungszentrale in Senftenberg entscheidet jede Woche nach strengen Vorgaben, wie viel Wasser genutzt werden darf. Wenn es trocken ist, darf nichts entnommen werden. Aber selbst in den zwei Dürrejahren seit Beginn der Flutung im Jahr 2000 blieb Wasser für uns übrig.“

Probleme gibt es, so hört man in den Kommunen, natürlich auch. Sie betreffen vor allem die künftige Nutzung der Flächen. Viele davon haben Naturschutz- und Umweltvereine erworben, andere Agrargenossenschaften, die auf den noch kargen Böden auch Solaranlagen aufstellen wollen. Gewerbegebiete und Werften sind geplant, auch Windparks – und alles muss am Ende irgendwie miteinander und mit dem Tourismus harmonieren.

Denn die Nachfrage nach Zimmern, Campingplätzen und Ferienwohnungen wächst stetig. Von Berlin aus ist man in gut einer Stunde Autobahnfahrt im Lausitzer Seenland, wo die Grundstückpreise noch moderat sind. Auch in Pritzen, einem kleinen Künstlerdorf, das neuerdings auf einer Halbinsel im Altdöberner See, dem einstigen Tagebau Greifenhain, liegt. Hier hat die LMBV selbst die Parzellen verkauft, sagt Petra Deutsch. Erfolgreich: nur drei am See gelegene Grundstücke haben noch keinen Besitzer.

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