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Der Tagesspiegel war die Modeberichterstattung schon immer sehr wichtig.

© dpa

70 Jahre Tagesspiegel - unsere Zeitung: Ein perfekter Schnitt

Bei der Berichterstattung über Mode war der Tagesspiegel selbst in den wirtschaftlich schlechten Nachkriegsjahren ein Trendsetter.  Sogar einen eigenen Modezeichner hatte die Redaktion.

Zum ersten Mal berichtete der Tagesspiegel im Januar 2003. Anita Anic, die heute Tillmann heißt, schwärmte von Berlin als weißer Leinwand, Christian Geyr, damaliger Kompagnon von Karl-Heinz Müller und Mitbegründer der Bread & Butter, vom unendlichen Platz, dem rauen Charme Berlins. Kurze Zeit später fanden zum ersten Mal die Berliner Modemessen Premium und Bread & Butter statt, die eine in einem leeren U-Bahn-Tunnel unterm Potsdamer Platz, die andere in alten Fabrikhallen draußen in Spandau.

Alle waren überrascht, dass da so viele Menschen aus der ganzen Welt kamen, die sehen wollten, was Neues passierte. Und sie kamen wieder. Das war ein großer Spaß, als Philipp Plein im Sommer 2006 eine Geisterbahn auf die Bread & Butter stellte. Damals war er jung und unbekannt, heute verdient er Millionen mit seinen Bling-Bling-Kleidern und hat Läden von Hongkong bis Beverly Hills.

Der Tagesspiegel berichtete

Auch wenn es die Bread & Butter nicht mehr gibt – Mode hat sich in Berlin etabliert, rund 20 000 Arbeitsplätze hatte die Berliner Modebranche bei der letzten Erhebung 2012, zweimal im Jahr kommen mehr als 200 000 Besucher, um auf mehr als zehn Messen und vielen Modenschauen neue Kleider zu sehen. Viele Schauen werden von Berliner Designern ausgerichtet. Einige haben sich einen Namen gemacht wie Lala Berlin, Perret Schaad und, ganz aktuell, Marina Hoermanseder.

Über sie alle berichtete der Tagesspiegel auf seinen Modeseiten. Wie Leyla Piedayesh mit selbst gestrickten Pulswärmern begann, wie Berliner Labels erst international Preise gewannen und dann aufgeben mussten, weil sie einfach nicht von ihrer Arbeit leben konnten. Und wie trotzdem alle nach Berlin kommen, weil es die offenste, kreativste und günstigste Stadt ist, um Ideen zu verwirklichen.

Modestadt wurde nicht aus dem Nichts gebaut

Doch aus dem Nichts wurde die neue Modestadt Berlin nicht aufgebaut. Es gibt ein Fundament, das weit mehr als 100 Jahre alt ist. Berlin war die Stadt der Konfektion, schon im 19. Jahrhundert gab es Modehäuser am Hausvogteiplatz.

Der Tagesspiegel berichtete von seiner Gründung an jeden Sonntag auf einer Modeseite. Die ersten Modenschauen nach dem Krieg fanden in Ruinen bei dünnem Tee und fettarmen Keksen statt, und Cordula Moritz, die von 1946 bis 1980 als Redakteurin für den Tagesspiegel über Mode schrieb, war dabei. Der Hausvogteiplatz lag in Trümmern, ein und ein halbes Haus standen noch vom ehemaligen Zentrum der Konfektion.

In Salons kleideten sich die Damen ein

Aber nachdem die Nähmaschinen aus den Trümmern gezogen waren, nähten die Schneiderinnen neue Kleider, zuerst vor allem für die Offiziersgattinnen der Besatzungsmächte. In kleinen, oft privat geführten Salons kleideten sich die Damen ein. Aber es dauerte nicht lange, und die ersten großen Häuser machten wieder auf. Das neue Zentrum war der Kurfürstendamm von der Gedächtniskirche bis zum Olivaer Platz; Susanne Erichsen, Miss Germany 1950, spazierte dort mit ihren zwei Windhunden an der langen Leine.

Die 50er Jahre waren sicher die Hochzeit der Berliner Konfektion – alle kamen zweimal im Jahr für zehn Tage zur „Durchreise“ nach Berlin, um in eleganten Salons Modenschauen der Couturiers anzuschauen. Mehr als 100 Moderedakteurinnen der großen Magazine kamen nach Berlin, auch die junge Redakteurin Cordula Moritz war dabei.

Einer, der von Anfang an an der Modeseite mitarbeitete, war der Modezeichner Gerd Hartung. Hartungs Zeichnungen waren fester Bestandteil der Modeseite. Mit schnellem Strich hielt er fest, was sich Berliner Modellhäuser wie Staebe-Seger, Albers, Schwichtenberg, Gehringer & Glupp ausdachten, ergänzt durch die Berichte von Cordula Moritz. Er zeichnete elegante Damen in schwingenden Mänteln, korrekt geschnittenen Kostümen und fließenden Abendkleidern. Damals galt als Gesetz, was in den Salons gezeigt wurde. So und nicht anders hatte die Silhouette in der nächsten Saison auszusehen.

"60er waren für mich die wichtigste Dekade"

Die Damenoberbekleidungsindustrie war damals der drittgrößte Industriezweig der Stadt, mehr als 500 Betriebe konkurrierten miteinander. Berlin besaß die größte Produktion von Konfektion in Europa mit mehr als einer halben Million Mitarbeiterinnen. Der Fotograf F. C. Gundlach, der damals für die großen Magazine arbeitete und dessen Bilder auch im Tagesspiegel erschienen, erinnert sich an die fünfziger Jahre: „Deutsche Mode – das war doch Berlin!“

Zwei Ereignisse haben die weitere Entwicklung der Mode in Berlin bestimmt: der Bau der Mauer – und ihr Fall. 1961 waren die Zwischenmeistereien im Osten plötzlich abgeschnitten von ihren Auftraggebern im Westen.

Die Gäste wollten nicht mehr nach Berlin, in Düsseldorf gab es die Modemesse Idego, und auch in München wurde Mode gezeigt. F. C. Gundlach erinnerte sich: „Die 60er waren für mich die wichtigste Dekade des ganzen Jahrhunderts. Was gab es da alles: politische Diskussion, Studentenunruhen, die Emanzipation. Der Begriff ,Madame trägt’ verschwand.“

Cordula Moritz trennte noch scharf zwischen den verschiedenen Genres. Sie sah schon im Oktober 1967 die Vorherrschaft der Berliner Couturiers in Gefahr: „Es ginge der Berliner Mode etwas Entscheidendes verloren, wenn im Laufe der Zeit den Modellhäusern der Boden für ihre Arbeit entzogen würde. Gewiss, auch die Firmen des sogenannten Mittelgenres verstehen ihr Handwerk und ihr Geschäft, sie ziehen ja gemeinsam mit dem Massenverkaufsgenre die Frauen an“, schrieb sie.

Die Schultern wurden breiter

Im Berlin der sechziger Jahre wurde der Kreis der Couturiers immer kleiner. Anfang der Siebziger hatten acht Häuser aufgegeben. Doch selbst auf der Modeseite des Tagesspiegels musste man bereits 1964 feststellen, dass „die jungen Leute heute auch fast die Einzigen sind, die noch Mode machen und Mut haben, etwas Außergewöhnliches zu tragen.“

Die Redakteurin Hannelore Hünnebeck, eine Nachfolgerin von Cordula Moritz, hielt an Hartung und seinen Zeichnungen fest. Bis Anfang der 90er Jahre zeichnete Hartung für den Tagesspiegel, die Schultern wurden breiter, Männer waren nicht mehr nur Beiwerk für die Dame. Das wirkte am Schluss ein wenig aus der Zeit gefallen. Die Zeichnungen waren immer noch großartig, aber die Mode wirkte gesetzt – mit dem, was auf der Straße, zumal in Berlin, passierte, hatte das wenig zu tun.

Was bedeutet Mode für uns

Heute funktioniert Mode nicht mehr nach starren Regeln. Der Massenmarkt wirft im Minutentakt neue Kleidung auf den Markt. Deshalb geht es auf der Modeseite des Tagesspiegels schon längst nicht mehr um die richtige Rocklänge, sondern darum zu zeigen, wer wie Mode macht, warum sie getragen wird und was das für uns bedeutet.

Aber eine Parallele zu den frühen Modeseiten gibt es. Es sind wieder die deutschen Designer, die die Mode in Berlin bestimmen. Gerade wurde hier das Fashion Council Germany gegründet, um die deutsche Mode wieder ganz groß rauszubringen. Wir werden das auf der Modeseite genau im Blick behalten.

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