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Raif Badawi wurde als Internetblogger in Saudi-Arabien wegen „Beleidigung des Islams“ inhaftiert.

© picture alliance / dpa

Raif Badawi über Freiheit: Denke, was immer du willst

Ausdrucksfreiheit ist ein elementares Menschenrecht, auch wenn arabische Regime und der islamische Klerus dies bekämpfen. Von Raif Badawi.

Meinungsfreiheit ist die Luft, die jeder Denker zum Atmen braucht, der Zündstoff für das Feuer seiner Ideen. Im Laufe der Jahrhunderte haben sich Völker und Gesellschaften einzig durch ihre Denker weiterentwickelt. Unter all den von ihnen hervorgebrachten Philosophien und Ideenwerken konnten die Völker sich dann jeweils dasjenige aussuchen, das sie am besten für sich geeignet hielten und es weiterentwickeln, bis es sie schließlich hin zu den Meeren der Wissenschaft, des Fortschritts, der Zivilisation und des Wohlstands führte.

Überall auf der Welt fordern Gesellschaften und Menschenrechtsorganisationen von den arabischen Regimen mehr Reformen im Sinne der Ausdrucksfreiheit, basierend auf dem Glauben, dass es sich dabei um ein elementares Menschenrecht handelt. Du bist ein Mensch? Dann ist es dein gutes Recht, dich auszudrücken und zu denken, was immer du willst. So wie es auch dein Recht ist, zu sagen, was du denkst, zu glauben oder nicht zu glauben, zu lieben oder zu hassen, ein Liberaler oder eben ein Islamist zu sein. Die abrahamitischen Religionen haben grundsätzlich vehement auf Meinungsfreiheit bestanden.

Herz in alle Ideen und Gedankenrichtungen öffnen

Der arabische Denker hat sich aber, auch wenn er frei denken will, daran gewöhnt, sich in seinen Texten um den Kern seiner Aussagen herumzuwinden, um diese aus der Schusslinie zu nehmen und sie überhaupt durchzubekommen. Besonders wenn das, was er zu sagen hat, als Unglaube und Atheismus betrachtet werden könnte.

Denn die arabischen Gesellschaften sind dahingehend ideologisiert, dass jedes freie Denken einen Abfall oder Austritt vom Glauben und von der Sitte bedeutet. Ist das denn normal? Natürlich nicht. Sowohl der arabische Denker als auch die Gesellschaft verhalten sich wider die Natur.

Der arabische Denker müsste seine Gedanken und seine Philosophie vollkommen ehrlich, mutig und geradeheraus ausdrücken können, selbst wenn diese Fehler beinhalten oder ganz allein gegen den Strom der „religiösen Sitten“ stehen sollten.

Und die Gesellschaft müsste im Gegenzug ihr Herz allen Ideen und Gedankenrichtungen öffnen, und sich selbst die Chance geben, den Meinungen der anderen zuzuhören, um sie anschließend konstruktiv kritisieren zu können; in einem kreativen Dialog, dessen Ziel es ist, Ideen zu verbessern und weiterzuentwickeln und sie nicht einfach pauschal abzulehnen, nur weil man anderer Meinung ist.

Auf der Suche nach frischer Luft

Wer die arabische Gesellschaft beobachtet, dem wird sich auf spektakuläre Weise zeigen, wie diese unter der Last der Theokratie ächzt, stöhnt und leidet, deren Kleriker nichts als den Satz „Ich höre und gehorche“ hören wollen. In der Tat ist es unbestritten, dass die arabischen Gesellschaften eine derartige religiöse Loyalität zum Klerus haben, die es ermöglicht, dass dessen Fatwas und Auslegungen zur absoluten, ja sogar heiligen Wahrheit werden konnten.

Und kaum kommt einmal ein freier Geist daher, sieht er sich auch schon mit einer Woge hunderter Fatwas konfrontiert, die die Kleriker im Wettstreit miteinander erlassen, um ihn zum Ungläubigen zu erklären und zu bedrohen, nur weil er es mit dem Heiligtum aufgenommen hat. Meine größte Befürchtung ist, dass die klugen Köpfe der arabischen Welt eines Tages alle auswandern werden, auf der Suche nach frischerer Luft, irgendwohin, weitab von den Schwertern des religiösen Autoritarismus.

Mit freundlicher Genehmigung aus: Raif Badawi: „1000 Peitschenhiebe. Weil ich sage, was ich denke“, Ullstein-Verlag

Lesen Sie weitere Beiträge zum Tagesspiegel-Geburtstag auf unserer Themenseite.

Raif Badawi

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