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EU-Kommissionschef Juncker legt dar, welche neuen Gesetzesinitiativen im Folgejahr eingebracht werden und welche alten Richtlinienvorschläge in der Versenkung verschwinden.

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Arbeitsprogramm der EU-Kommission: Jean-Claude Juncker setzt auf Jobs, Jobs, Jobs

Am Dienstag will EU-Kommissionschef Juncker sein Arbeitsprogramm für 2015 vorstellen – die Schaffung von Arbeitsplätzen steht im Vordergrund. Ein Projekt für den Umweltschutz könnte wieder im Papierkorb landen.

Er ist die Führungsfigur der EU-Kommission und rüstet sich gerade für den zweiten Sturm. Den ersten Sturm gegen Jean-Claude Juncker hatten Reporter aus mehreren Ländern mit ihren Nachforschungen zur Steueraffäre „Luxemburg Leaks“ ausgelöst, und er ist für den Kommissionschef aus dem Großherzogtum noch nicht zu Ende. Die zweite Empörungslawine könnten Lobbyisten und Fachpolitiker lostreten. Für sie ist dieser Dienstag in Straßburg entscheidend. Einmal im Jahr legt die Kommission dar, welche neuen Gesetzesinitiativen sie im Folgejahr einbringen und welche alten Richtlinienvorschläge sie in der Versenkung verschwinden lassen will. An diesem Dienstag will Juncker nun sein Arbeitsprogramm für 2015 präsentieren. Es soll nach dem Willen von Juncker und seinem Vize Frans Timmermans, der in Brüssel für den Bürokratieabbau zuständig ist, möglichst schlank gehalten werden. „Pet projects“, wie die Steckenpferde einzelner Lobbygruppen in der Kommission spöttisch genannt werden, sollen möglichst aus dem Arbeitsprogramm für 2015 herausfliegen. Doch darüber, welche Projekte im Brüsseler Pflichtenheft für das kommende Jahr unverzichtbar sind und welche eher entbehrlich, tobt gerade ein heftiger Streit in Brüssel.

Vergleichsweise einfach ist für Juncker und seine 27 Kommissarskollegen die Festlegung darauf, was im kommenden Jahr ganz oben auf der Tagesordnung stehen soll. Die Brüsseler Agenda folgt vor allem dem Motto „Jobs, Jobs, Jobs“ – keine Überraschung angesichts der rund 25 Millionen Arbeitslosen in der EU. Dabei will die Kommission in jedem Quartal unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Im ersten Quartal stehen unter anderem die Finanzierung der geplanten Projekte in Junckers 315-Milliarden-Investitionsprogramm und die Vertiefung des Energie-Binnenmarktes an.

23 neue Gesetzesvorhaben für nächstes Jahr

Der deutsche Digitalkommissar Günther Oettinger hat dann im zweiten Quartal seinen großen Auftritt, wenn er sein Paket zum digitalen Binnenmarkt vorlegt. Nach der Sommerpause soll es um weitere Schritte zur engeren politischen und wirtschaftlichen Verzahnung der Staaten in der Euro-Zone gehen. Und im vierten Quartal will die Kommission unter anderem eine neue Initiative starten, welche die Mobilität von Arbeitnehmern über die Grenzen hinweg verbessern soll.

Nicht mehr als 23 neue Gesetzesvorhaben listet die Kommissions-Agenda für das kommende Jahr auf. Zum Vergleich: Im Arbeitsprogramm für das laufende Jahr, das noch auf Junckers Vorgänger José Manuel Barroso zurückgeht, waren 29 neue Brüsseler Initiativen aufgezählt.

Der politische Sprengstoff verbirgt sich indes unter den 80 Gesetzgebungsvorhaben, die ebenfalls im Anhang des Entwurfs des Arbeitsprogramms auftauchen. Es sind jene Projekte, die in Brüssel als „kill list“ bezeichnet werden – also Initiativen aus der Zeit vor Junckers Amtseinführung im vergangenen November. Ausgeheckt hat diese Liste von Vorhaben, die entweder aufgeschoben, überarbeitet oder ganz eingestampft werden sollen, Junckers Vize Timmermans. Der Niederländer soll dafür sorgen, dass Brüssel künftig weniger Richtlinien erlässt. Zur Begründung heißt es im Entwurf des Arbeitsprogramms, die Bürger verlangten nach „weniger Einmischung der EU bei Belangen, in denen die Mitgliedstaaten eher in der Lage sind, die richtige Antwort auf nationaler und regionaler Ebene zu geben“.

Protest gegen geplante Versenkung des Kreislaufwirtschafts-Pakets

Dass dabei nun einige Initiativen aus der Zeit der Barroso-Kommission wieder im Papierkorb landen sollen, ist den betroffenen Interessengruppen aber gar nicht recht. So fordert „Food Drink Europe“, ein Dachverband der Lebensmittelindustrien in der Europäischen Union, die Kommission auf, an den Zielen des geplanten Recycling-Pakets festzuhalten. Die Verringerung der erzeugten Lebensmittelabfälle sei ein „wichtiges Thema für die Lebensmittel- und Getränkeindustrie“, sagt Verbandssprecherin Florence Ranson. Juncker und Timmermans glauben allerdings nicht an die Zukunft des Abfall-Pakets. Sie befürchten, dass vor allem süd- und osteuropäische Staaten das Vorhaben im Ministerrat blockieren könnten. Für diese Staaten ist eine Wiederverwertung der Siedlungsabfälle im großen Stil kaum zu erreichen.

Aber nicht nur Interessenvertreter laufen Sturm gegen die geplante Versenkung des sogenannten Kreislaufwirtschafts-Pakets. Auch im Europaparlament hat sich eine breite Phalanx von Abgeordneten von der Grünen-Fraktionschefin Rebecca Harms bis zum CDU-Umweltpolitiker Karl-Heinz Florenz formiert, die an dem Recycling-Vorhaben festhalten wollen. Schützenhilfe erhielten die Parlamentarier von Umweltministern aus elf EU-Ländern. Die Minister, darunter die deutsche Ressortchefin Barbara Hendricks, verlangten von Juncker zu Beginn des Monats, „sehr genau die Chancen zu analysieren, die das Kreislaufwirtschaftspaket bietet“. Weil durch das Projekt auch zahlreiche neue Arbeitsplätze geschaffen würden, passe das Paket auch gut zu Junckers Prioritätenliste für das kommende Jahr, argumentierten die Umweltminister.

Zu ihren Verbündeten dürften Hendricks und ihre Amtskollegen den Brüsseler Umweltkommissar Karmenu Vella zählen, der nach Angaben aus EU-Kreisen gegen eine Streichung des Abfall-Pakets ist. Allerdings hat nicht Vella das letzte Wort zum Arbeitsprogramm, sondern Juncker und Timmermans. Der Luxemburger und sein Stellvertreter wollen an diesem Dienstag gemeinsam mit ihren 26 Kommissarskollegen letzte Hand an die Arbeitsliste für 2015 anlegen, bevor die Agenda am Nachmittag vorgestellt wird.

Automatischer Informationsaustausch zu Steuerabsprachen für Konzerne

Während Umweltkommissar Vella in seinem Bereich auf mehr Regulierung setzt, möchte der britische EU-Finanzmarktkommissar Jonathan Hill offenbar genau das Gegenteil erreichen. Stein des Anstoßes ist dabei ein Plan von Hills Vorgänger Michel Barnier. Der Franzose hatte zu Beginn des Jahres einen Verordnungsentwurf vorgelegt, der gewährleisten soll, dass die spekulativen Geschäfte von Großbanken die Finanzmärkte kein zweites Mal in Turbulenzen stürzen. Barnier wollte die Geldhäuser zu einer strikteren Trennung riskanter Finanzgeschäfte von den Spareinlagen ihrer Kunden zwingen. Trotz der Bedenken seines Nachfolgers, der damit den Widerstand der Finanzbranche gegen das „TrennbankenSystem“ artikuliert, soll Barniers Vorschlag laut dem Entwurf des Arbeitsprogramms weiter auf dem Tisch bleiben.

Junckers politisches Schicksal dürfte sich indes mit einem anderen Abschnitt der Kommissions-Agenda für das kommende Jahr entscheiden. Der Luxemburger, dessen Reputation seit dem Beginn der „Luxemburg Leaks“-Enthüllungen gelitten hat, will in der ersten Jahreshälfte 2015 vorschlagen, dass die EU-Mitgliedstaaten künftig einen automatischen Informationsaustausch zu Steuerabsprachen für Konzerne organisieren. Spätestens dann, so das Kalkül des früheren Ministerpräsidenten des Großherzogtums, soll die Affäre ausgestanden sein.

Dieser Text erschien in der "Agenda" vom 16. Dezember 2014 - einer neuen Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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