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Die Tempomacher. Autopräsident Matthias Wissmann (r.) war beim Thema Lobbyarbeit in Berlin und Brüssel stets mit Vollgas unterwegs – flankiert von den Konzern-Repräsentanten Thomas Steg (VW), Eckart von Klaeden (Daimler), Nicola Brüning (BM), Michael Jansen (VW) sowie Monica Berg vom ADAC.

© Fotos: Fotolia, dpa (3), Promo, picture alliance/Eventpress, Montage: Daniel Streuber

Auto-Lobbyisten nach dem VW-Skandal: Vollgas war gestern

Der VW-Skandal um gefälschte Abgaswerte stört das dichte Netzwerk von Autolobby und Politik. Gute Kontakte allein werden den Vertrauensschaden nicht beheben.

Vor knapp drei Wochen freuten sich Angela Merkel, Matthias Wissmann und Dieter Zetsche noch auf ein Wiedersehen. Die Bundeskanzlerin eröffnete die Internationale Autoausstellung (IAA) in Frankfurt am Main, sie traf ihren Duz- und Parteifreund, den Autopräsidenten Wissmann, sowie VW-Chef Martin Winterkorn und Daimler-Boss Zetsche. Überall war von der Zukunft des Autos die Rede, von Vernetzung, Digitalisierung, autonomem Fahren. Und von den vielen technischen Assistenten in den neuen Fahrzeugen deutscher „Premiumhersteller“. „Hoffentlich verbünden sie sich nicht gegen den Fahrer“, scherzte Merkel im vertrauten Gespräch mit Dieter Zetsche. „Das wäre auch schlecht.“

Drei Tage später erfuhr die Kanzlerin von einem Bündnis ganz anderer Art, einem wahren Komplott gegen Millionen Autofahrer: Am 20. September gab VW zu, Dieselmotoren manipuliert zu haben, um deren Abgaswerte zu fälschen. Der größte Autohersteller der Welt, der mächtigste deutsche Industriekonzern – ein Betrüger? Schnell verbreiteten BMW und Daimler, bei ihnen werde nicht getrickst. Doch die Nachricht aus Wolfsburg schlug ein, als sei die deutsche Automobilindustrie kollektiv gegen die Wand gefahren.

Seither ist die Unordnung groß. Nicht nur bei den Unternehmen mit ihren hunderttausenden Beschäftigten. Auch in Berlin steht viel auf dem Spiel. Das engmaschige Netz der Autolobbyisten, Verbände und Politiker steht vor einer Zerreißprobe. „Alle schauen entsetzt auf uns“, sagt ein einflussreicher Konzernrepräsentant in der Hauptstadt. Nicht nur die für unantastbar gehaltene Ingenieurskunst deutscher Autobauer sei mit dem VW-Skandal in Verruf geraten. „Auch politisch befinden wir uns jetzt in einer sehr, sehr heiklen Situation.“ Offen sprechen wollen in diesen Tagen nur wenige. Es ist zu heiß. Man bitte um Verständnis, „dass es in der aktuellen Situation nicht möglich ist – auch nicht im Hintergrund“, heißt es auf Nachfrage bei einem Autozulieferer.

"Die Automobilproduktion steht unter Generalverdacht"

Selbst die großen Wettbewerber der deutschen Hersteller, die Importeure aus Frankreich, Italien oder Japan, sind vorsichtig: „Es gibt keine Veranlassung für Häme oder Schadenfreude“, sagte Volker Lange, Präsident des Verbands der internationalen Kraftfahrzeughersteller, dem Tagesspiegel. „Leider steht die Automobilproduktion gerade unter Generalverdacht.“ Alle Hersteller würden beleuchtet – da seien die ausländischen Marken nicht ausgenommen. Der Präsident des europäischen Autoverbands ACEA, Renault- Chef Carlos Ghosn, warnte vorsorglich in einem Brief an den EU-Industrieministerrat: „Wir sollten Maßnahmen vermeiden, die die Wettbewerbsfähigkeit unserer Branche untergraben.“ Und dann führt Ghosn ein Argument an, das immer hilft, wenn die Industrie etwas von der Politik will: Die Autoindustrie stehe für gut zwölf Millionen Arbeitsplätze in Europa.

Die Furcht der Branche ist groß, dass das Vertrauen, das die Lobby bei politischen Entscheidungsträgern seit Jahrzehnten genießt, nach dem VW-Skandal verloren gehen könnte. Vor allem für die starke deutsche Autoindustrie ist die Nähe zur Regierung – welcher politischen Couleur auch immer – so wichtig wie technische Patente und Marktanteile. Wenn es in der Vergangenheit um Regulierungsfragen ging – sei es beim Sicherheitsgurt, dem Tempolimit, dem Katalysator oder CO2 –, fanden VW, BMW, Daimler & Co. immer ein offenes Ohr bei den relevanten Politikern. Beim „Autokanzler“ Gerhard Schröder genauso wie bei Angela Merkel.

Etliche Lobbyisten kommen direkt aus der Politik

Besonders kurz sind die Wege, seitdem etliche Lobbyisten der Branche aus dem Politikbetrieb in die Industrie gewechselt sind. Sie wissen, wie Politik geht und wie Politiker ticken. Allen voran natürlich Matthias Wissmann, seit 2007 Präsident des Autoverbands VDA und in den 1990er Jahren Forschungs- und Verkehrsminister – zusammen mit Merkel im Kabinett von Helmut Kohl. Auch Volkswagen hat sich mit Politprofis verstärkt: Seit diesem Frühjahr leitet Michael Jansen die VW-Repräsentanz in Berlin – nur ein paar Kilometer von seinem früheren Arbeitsplatz, dem Büro von Angela Merkel, entfernt. Thomas Steg, Jansens Chef, kennt die Kanzlerin auch sehr gut. Der Generalbevollmächtigte des VW-Konzerns für Außen- und Regierungsbeziehungen war früher stellvertretender Regierungssprecher. Direkt aus dem Kanzleramt wechselte 2013 der CDU-Politiker Eckart von Klaeden zu Daimler. Dort leitet er die Hauptstadtrepräsentanz des Stuttgarter Konzerns. Der ehemalige Cheflobbyist des Daimler-Konzerns, Martin Jäger, ist heute Sprecher des Bundesfinanzministeriums. BMW lässt sich seit 2008 in Berlin von Nicola Brüning politisch vertreten. Die ehemalige Journalistin arbeitet mit BMW-Kommunikationschef Maximilian Schöberl zusammen, früher Sprecher von Theo Waigel. Bei Abgeordneten und Ministern bestens bekannt ist auch Monica Berg, die das Berliner Präsidialbüro des ADAC leitet, der eine ähnliche Vertrauenskrise wie Volkswagen durchlebte.

Doch so gut die persönlichen Beziehungen der Auto-Lobbyisten auch sein mögen – der VW-Skandal dürfte die Bereitschaft vieler Politiker, den Herstellern bei den anstehenden Regulierungsfragen entgegenzukommen, deutlich schmälern. Nicht nur in Berlin, sondern vor allem auch in Brüssel. Es geht um viel für die Branche. Um realistischere Prüfmethoden bei der Abgasmessung. Um strengere CO2-Grenzwerte nach 2020. Um mögliche Strafzahlungen in Milliardenhöhe.

Die Branche wird sich auf strengere Klimanormen einstellen müssen

So muss die Branche fürchten, dass wegen des Abgas-Skandals die gerade verhandelten Vorgaben zum neuen Messverfahren „Real Driving Emissions“ (RDE) verschärft werden. Mit dem Verfahren sollen die Schadstoffwerte auch im Straßenbetrieb und nicht nur auf dem Rollenprüfstand gemessen werden. Bisher ist die gemessene Schadstoffbelastung nur im Labor unter den Grenzwerten, während Autos im Fahrbetrieb ein Mehrfaches des Erlaubten ausstoßen. Mit RDE soll diese Kluft verringert werden. Die EU-Kommission will die neuen Messverfahren außerdem schneller, nämlich schon bis Ende des Jahres verabschieden. Sie sollen dann für alle Neufahrzeuge ab Herbst 2018 gelten. Zugleich will die EU die Labormessungen realistischer gestalten. Der sogenannte WLTP-Test könnte ab September 2017 für neue Typzulassungen und ein Jahr später für Neufahrzeuge gelten. Die Hersteller müssten sich dann auf höhere Messwerte einstellen – mit dem Ergebnis, dass sie die vorgeschriebenen CO2-Grenzwerte für ihre Neuwagenflotten nicht mehr so einfach erreichen. Noch im April hatte sich die Bundesregierung in Brüssel für eine Verzögerung des neuen Testverfahrens bis zum Jahr 2021 eingesetzt, wie ein Positionspapier zeigt, das die Organisation Lobbycontrol veröffentlichte.

"Der Fall ist vergleichbar mit Fukushima"

Derlei Interventionen der Deutschen dürften jetzt nicht mehr so einfach sein. Nicht wenige Beobachter glauben, dass der VW-Skandal und der Imageschaden für die Autoindustrie insgesamt eine Zeitenwende einläuten könnten: „Der Fall ist vergleichbar mit Fukushima“, sagt Harald Linné, Partner und Automobilexperte bei der Managementberatung Atreus. „Nach dem Atomunfall kam in Deutschland die Energiewende. Nach dem VW-Skandal wird jetzt die Autowende kommen.“

Mehr Nachhaltigkeit, weniger Nachsichtigkeit. Strengere Klimavorschriften, weniger PS-Wahn. „Die Lobbyarbeit der Branche wird nicht mehr die gleiche sein können wie vor der VW-Krise“, meint auch Willi Diez, Direktor des Instituts für Automobilwirtschaft der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen. Der Druck auf die Branche werde noch wachsen. Die beste Strategie sei deshalb: Angriff. Der VDA und die großen Hersteller müssten nun „die Speerspitze der Bewegung“ werden. „Sie müssen Tempo machen und von sich aus klarstellen, dass die Industrie strengere Klimanormen und CO2-Grenzwerte mitträgt.“

Der Text erschien in der "Agenda" vom 6. Oktober 2015 - einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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