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Kurze Wege. Der ehemalige Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Fritz Berg (links), im Gespräch mit dem damaligen Bundeskanzler Konrad Adenauer. Was 1956 noch funktionierte, ist heute deutlich schwieriger.

© picture-alliance / dpa

BDI bleibt außen vor: Firmen und Konzerne nehmen Lobbyarbeit selbst in die Hand

Zahlreiche Konzerne eröffnen eine Dependance nahe den Machtzentralen und betreiben selbst Lobbying – ohne ihren Verband. Gerade für den BDI eine bittere Erfahrung.

Fritz Berg war sich seiner Sache ziemlich sicher. Ein Termin beim Chef, sagte er einmal in kleiner Runde, und schon sei die Sache geritzt – in seinem Sinne. „Ich brauche nur einmal zum Kanzler zu gehen“, tönte er, und die Frage sei „endgültig vom Tisch“. Tatsächlich: Die Aufwertung der D-Mark wurde von Kanzler Konrad Adenauer alsbald gekippt. Berg, ein Draht-Fabrikant aus dem Sauerland und damals Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), hatte sich durchgesetzt.

1960, vor einem halben Jahrhundert, war der BDI noch eine der mächtigsten Stimmen im Land. Ulrich Grillo, Bergs aktueller Amtsnachfolger, kann heute von einem solchen Einfluss nur träumen. Zwar kommen, wenn er ruft, alle Spitzenpolitiker der Republik zu seinem Branchengipfel, wie kürzlich beim Tag der deutschen Industrie in Berlin. Doch der einst unangefochtene Verband hat Konkurrenz bekommen: Immer mehr Unternehmen zieht es in die Hauptstadt. Manche eröffnen ein kleines Büro, andere eine pompöse Repräsentanz. Alle eint eins: Allein auf Verbände wie den BDI mögen sie sich nicht mehr verlassen. Sie nehmen die Politik-Kontakte lieber selbst in die Hand.

Allein in den vergangenen Monaten haben zahlreiche Konzerne von Rang eine Dependance nahe den Machtzentralen eröffnet: die Ölfirmen Statoil und Exxon, die Bank ING-DiBa, der Einzelhändler Rewe, der Rüstungs- und Infrastrukturkonzern Thales, die Hightech-Schmieden Microsoft und Huawei. Schätzungsweise 150 Unternehmen sind mittlerweile in Berlin präsent. Die Spezialisten sind meist direkt der Konzernspitze unterstellt. „Man kann hier keine relevante Rolle spielen, wenn der Vorstand nur alle paar Wochen vorbeischaut“, heißt es bei einem der neuen Unternehmen. „Einfluss gewinnt man nicht im Vorbeigehen.“ Wer sich nicht festlegen oder Geld sparen will, lässt sich von einer Kommunikationsagentur oder einer Anwaltskanzlei vertreten – in Sachen Lobbying, PR und Gesellschaftspolitik. „360-Grad-Kommunikation“ heißt das im Fachjargon.

Streit um die Energiewende

Zu Bonner Zeiten regierte noch der Korporatismus die Republik. Allenfalls Siemens oder Daimler waren in dem Städtchen am Rhein vertreten. Das Lobbygeschäft überließen die meisten den Verbänden. Die tarierten zusammen mit den Gewerkschaften die Interessen aus, die Claims waren abgesteckt.

Das klappt heute oft nicht mehr, zu vielfältig sind die Interessen geworden. Das zeigt der Streit um die Energiewende. Unter dem Dach des BDI sind stromhungrige Betriebe aus der Schwerindustrie ebenso vertreten wie große Energieversorger. RWE oder Eon etwa, wichtige Beitragszahler des Verbands, wollen defizitäre Kohlemeiler als Reserve für sonnen- und windarme Tage vorhalten. Die Mehrheit beim BDI, vom Maschinenbauer bis zur Pizzafabrik, fürchtet indes steigende Strompreise – und ist gegen diesen Plan.

Selbst die Autohersteller liegen untereinander oft über Kreuz. Geht es um Grenzen für den Kohlendioxidausstoß, bleiben Massenproduzenten wie Ford oder Opel oft gelassen – für BMW, VW und Daimler sind zu strikte Regeln aber ein Problem. „Der Branchenverband VDA schafft in einer Stellungnahme meist nur den kleinsten gemeinsamen Nenner“, heißt es in der Berliner Vertretung eines Premiumkonzerns. „Sobald die auf dem Tisch liegt, müssen wir ran und das Beste für uns herausholen.“

Viele Unternehmen rüsten mit Ex-Spitzenpolitikern auf

Andere Branchen sind per se zersplittert. In der Geldbranche ringen neben den Privatbanken Sparkassen und Genossenschaftsinstitute um Aufmerksamkeit, jeweils mit eigenen Spitzenorganisationen. Auf deren Durchschlagskraft mögen sich die Institute nicht verlassen. Die ING-DiBa etwa will ihren Kunden durch gesenkte Überziehungszinsen Gutes tun. Doch viele andere Institute wollen davon nichts wissen. Deshalb sucht die niederländische Bank den direkten Draht zu Beamten und Ministern.

Die schwindende Macht der alten Lobbyisten hat auch mit der Globalisierung zu tun. Selbst Mittelständler machen heute einen großen Teil des Geschäfts im Ausland. Die meisten Verbände indes denken allenfalls in europäischen Dimensionen. „Wenn es um Weltmärkte geht, Interessen in Südostasien etwa, sind Verbände heillos überfordert“, sagt der Lobbyismusforscher Rudolf Speth von der Freien Universität.

Wie sehr viele Unternehmen aufrüsten, zeigen die Wechsel von Ex-Spitzenpolitikern: Daimler sicherte sich die Dienste Eckart von Klaedens, die Deutsche Bahn verpflichtete Ronald Pofalla, Rheinmetall warb Dirk Niebel an und die Allianz Daniel Bahr. Vergleichbares konnten Verbände nicht vermelden.

Die Lobby-Offensive der Wirtschaft hat allerdings einen Haken: Die vielen Einflüsterer müssen bei den Parlamentariern auch Gehör finden. Und deren Zeit ist begrenzt. Zwar rede er gerne mit Unternehmen, ob klein oder groß, sagt Wolfgang Tiefensee, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD. „Wenn man eine abgestimmte Position aus einer Branche bekommt, ist es für die Politik natürlich einfacher.“

Unternehmen zeigen, was sie haben

Die Verbände selbst wollen von einem Bedeutungsverlust nichts wissen. „Seit Beginn der Finanzkrise hat es enorm viele Krisengipfel und Spitzengespräche gegeben, bei denen unser Rat gefragt war“, heißt es beim BDI. Für Themen, die alle Industriebetriebe betreffen, von der Erbschaftsteuer bis zur Rohstoffversorgung, gebe es keine wichtigere Stimme. Da mag eine namhafte Konzernmanagerin nicht einmal widersprechen. „Die Industrie braucht ja ein Gesicht, etwa im Fernsehen, um die üblichen zehn Gebote der Wirtschaft herunterzubeten – weniger Steuern, weniger Regulierung und so.“

Die Unternehmen gehen mit ihren Büros derweil einen Schritt weiter. Man will zeigen, was man hat. Volkswagen baut seinen Showroom Unter den Linden derzeit aufwendig um. Noch mehr Glamour, eine noch bessere Inszenierung sind das Ziel.

Das ist auch der Plan von Rewe. Vorvergangene Woche eröffnete die Supermarktkette eine neue Repräsentanz in Berlin, im edelsten Abschnitt der Friedrichstraße. „Wir wollen keine Konzernvertretung im klassischen Sinn sein“, sagt Bürochefin Tanja Schüle. Nicht nur mit der Politik, auch mit Nichtregierungsorganisationen will sie sich austauschen. Die Fenster sind riesig, die Räume offen. Um auf die Praxis verweisen zu können, haben die Rewe-Leute sogar eine Filiale hingebaut, samt Restaurant. „Oh Angie“ heißt es hintersinnig. Und in ein paar Jahren vielleicht „Oh Uschi“ oder „Oh Siggi“, wer weiß.

Dieser Text erschien in der "Agenda" vom 07. Oktober 2014 - einer neuen Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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