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Sozialministerin Andrea Nahles (SPD).

© Daniel Naupold/dpa

Betriebsrenten: Lücke im System

Sozialministerin Andrea Nahles will die betriebliche Altersvorsorge ausbauen. Dabei sollen Arbeitgeber und Gewerkschaften mithelfen. Doch das Rentenprojekt steckt fest - denn Geld kosten soll die Reform eigentlich nicht.

Wir schreiben das Jahr 2012. Die Bundestagswahl liegt noch ein Jahr vor ihm, da hat Sigmar Gabriel, Chef der damaligen Oppositionspartei SPD, eine visionäre Idee. Gemeinsam mit den Gewerkschaften entwickelt er ein Konzept, das die Menschen davor bewahren soll, im Alter zum Sozialfall zu werden. Weil im Jahr 2030 das gesetzliche Rentenniveau nur noch bei 43 Prozent des Durchschnittslohns liegen wird, sollen die Menschen künftig stärker über ihren Arbeitgeber vorsorgen. Jeder Arbeitnehmer soll bereits bei der Einstellung obligatorisch in eine betriebliche Altersvorsorge einzahlen und nur auf seinen Widerspruch hin befreit werden, schlägt Gabriel vor. Das Thema bleibt auch nach der Wahl aktuell. Im Koalitionsvertrag bekräftigt Schwarz-Rot den Willen, die betriebliche Altersvorsorge auszubauen.

Doch das Projekt kommt nicht so recht voran. Dabei besteht durchaus Handlungsbedarf. Zwar ist die Zahl der Beschäftigten, die in eine Betriebsrente einzahlen, seit 2001 um eine halbe Million auf 17,8 Millionen gestiegen, aber noch immer sind 40 Prozent der Beschäftigten unversorgt. "In großen Unternehmen ist fast jeder versorgt", sagt Ergo-Vorstand Frank Neuroth, der bei dem Versicherungskonzern für die betriebliche Altersvorsorge zuständig ist. "In kleinen und mittleren Betrieben haben aber nur 30 Prozent der Beschäftigten eine Absicherung über den Arbeitgeber."

Das will Sozialministerin Andrea Nahles ändern. Beraten wird die SPD-Politikerin dabei von einer Arbeitsgruppe, in der sich Vertreter der Arbeitgeber, Gewerkschaften, Mitarbeiter des Arbeits- und Finanzministeriums sowie Altersvorsorgeexperten treffen. Die Gruppe, einst klein gestartet, ist im Laufe der Zeit stetig gewachsen. Zuletzt diskutierten die Teilnehmer das "Neue Sozialpartnermodell Betriebsrente", das Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände stärker einbinden soll. Sie sollen Pensionsfonds oder Pensionskassen ("gemeinsame Einrichtungen") gründen können, von denen die Betriebsrenten in Form von Beitragszusagen verwaltet werden. Das Modell lohne sich für beide Seiten, argumentiert das Ministerium. Für Arbeitgeber bestehe der Anreiz darin, dass Haftungsrisiken entfallen würden. Wenn die gemeinsame Einrichtung die zugesagte Leistung nicht erbringen kann, soll der Pensions-Sicherungs-Verein als Ausfallbürge eintreten, es gelte das Prinzip "pay and forget" (zahlen und vergessen). Für die Gewerkschaften bestehe der Anreiz darin, dass mehr Beschäftigte als bisher arbeitgeberfinanzierte Betriebsrenten erhielten.

Die Tarifpartner sind skeptisch

Doch bei den Tarifpartnern sieht man die Vorschläge mit Skepsis. "Wir fürchten, dass es bei den Betriebsrenten einen Unterbietungswettbewerb geben wird", sagt Jean Abel, Referatsleiter beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Arbeitgeber, die heute eine gute Altersvorsorge anböten, würden sich künftig wahrscheinlich nur noch für das abgespeckte Modell entscheiden. "Wir sehen die Gefahr, dass mittelfristig das Versorgungsniveau für alle Neuverträge sinkt." Eine Sorge, die auch die Arbeitgeber umtreibt. "Für Arbeitgeber würde es sich nicht mehr lohnen, eigene Betriebsrentensysteme zu unterhalten. Oft sind es aber gerade diese Systeme, die in den einzelnen Unternehmen mit besonders viel Herzblut betrieben werden", sagt Alexander Gunkel, Mitglied der Hauptgeschäftsführung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Die Bereitschaft der Unternehmen, sich überhaupt für betriebliche Altersvorsorge zu engagieren, würde damit geschwächt. "Wenn wir am Ende nicht mehr, sondern weniger betriebliche Altersvorsorge hätten, wäre das Gegenteil dessen erreicht, was das Ministerium wollte", sagt Gunkel.

Nicht nur Gewerkschaften und Arbeitgebern wird inzwischen mulmig. Das Sozialpartnermodell würde die Probleme nicht lösen, meinen auch die Versicherer. Um die betriebliche Altersversorgung flächendeckend auszubauen, seien grundsätzliche Umbauten nötig. Für Geringverdiener beispielsweise ist die Förderung der Betriebsrente bislang kaum attraktiv. Zwar sind die Einzahlungen in einem bestimmten Rahmen steuerfrei. Beschäftigte mit niedrigen Einkommen haben davon aber kaum etwas. Für sie wären staatliche Zuschläge attraktiver, wie sie bei der privaten Riester-Rente gezahlt werden. "Aus dem Ministerium gibt es Signale, dass man bereit ist, über die steuerliche Begünstigung nachzudenken", berichtet Kerstin Schminke, politische Sekretärin beim IG-Metall-Vorstand und Mitglied der Experten-Arbeitsgruppe. Das Problem ist nur: "Gleichzeitig heißt es, dass die Reform möglichst nichts kosten darf", sagt Schminke.

Der begrenzte finanzielle Spielraum erschwert auch andere Änderungen, die zu einem echten Schub bei den Betriebsrenten führen könnten. So müssen nach derzeitigem Recht Betriebsrentner für ihre Renten nicht – wie sonst üblich – den halben Beitragssatz an die Kranken- und Pflegeversicherung zahlen, sondern den vollen Beitrag aus eigener Tasche abführen. "Um die Verbreitung der betrieblichen Altersvorsorge wirklich zu verbessern, müsste die Belastung der Betriebsrenten mit Steuern und vollen Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung geändert werden", sagt Klaus Stiefermann, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersvorsorge (aba). Vier Milliarden Euro zahlen Betriebsrentner derzeit im Jahr an die Kranken- und Pflegeversicherung, bei einer Halbierung der Beiträge müssten zwei Milliarden Euro aus anderer Quelle, also steuerfinanziert, aufgebracht werden. "Doch dazu ist der Bundesfinanzminister bisher nicht bereit", sagt Stiefermann.

Soll der Arbeitnehmer verpflichtet werden?

Stattdessen spielt man auf Zeit. Die Universität Würzburg ist beauftragt, die bisherige Förderung der betrieblichen Altersvorsorge zu untersuchen. Mit einem Zwischenbericht wird nicht vor Herbst gerechnet. Für Reformen wird es dann schon knapp. Vor allem, wenn es um grundsätzliche Weichenstellungen geht. Zum Beispiel die Frage, ob Arbeitnehmer nicht am Ende doch verpflichtet werden, in eine Betriebsrente einzuzahlen. In der Schweiz gibt es ein solches Obligatorium bereits per Gesetz, in den Niederlanden per Tarifvertrag. Großbritannien kennt eine Opting-out-Regelung, wie sie einst auch Gabriel vorschwebte: Jeder Arbeitnehmer ist versichert, es sei denn, er oder sie widerspricht.

Ein gesetzliches Opt-out-Modell lehnen die Arbeitgeber allerdings ab. BDA-Vertreter Gunkel erklärt, was die Folge wäre: "Dann müsste man in den Betrieben auch eine Beratungspflicht einführen. Opt-out-Modelle funktionieren nur, wenn in der Belegschaft intensiv aufgeklärt wird", sagt er. Den Gewerkschaften wäre zumindest eine stärkere Verpflichtung der Arbeitgeber lieb. "Wenn betriebliche Altersvorsorge sich lohnen soll, müssen Arbeitgeber verpflichtet werden, eine Betriebsrente anzubieten, an der sie sich auch mit einem nennenswerten finanziellen Beitrag beteiligen", fordert DGB-Experte Abel.

Verbindliche Regelungen würden zu einer schlagartigen Ausweitung der Vorsorge führen. Arbeitsrechtlich gelten solche Modelle aber als nicht unproblematisch, zumindest für bestehende Arbeitsverträge. Im Sozialministerium finde man außerdem das Sozialpartnermodell so charmant, dass man es gerne weiterverfolgen würde, ist aus der Arbeitsgruppe zu hören. Ob sich absehbar eine Variante finden lässt, mit der alle Beteiligten leben können, ist daher offen. Und 2017 wird schon wieder gewählt.

Dieser Text erschien in Agenda, dem Politik-Journal des Tagesspiegels.

Welche Vorsorge-Optionen es gibt, sehen Sie hier.

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