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Edmund Stoiber ist mit sich als Chefbürokratiebekämpfer der Europäischen Union zufrieden

© imago stock&people

Bürokratie-Bekämpfung in Brüssel: Edmund Stoiber und sein Vermächtnis - was macht die EU daraus?

Am Dienstag übergibt der CSU-Ehrenvorsitzende den Abschlussbericht zum Bürokratieabbau. Einiges hat Brüssel schon in seinem Sinne auf den Weg gebracht.

Am Dienstag gegen 13 Uhr wird es vorbei sein. Dann wird Edmund Stoiber, seit sieben Jahren offizieller Chefbürokratiebekämpfer der Europäischen Union, aus dem Saal Alcide de Gasperi im Brüsseler Charlemagne-Gebäude spazieren und seinen Abschlussbericht hinterlassen haben.

Was wird Brüssel mit diesem Vermächtnis des einstigen bayerischen Ministerpräsidenten machen?

Um diese Frage beantworten zu können, muss man wissen, was die sogenannte Stoiber-Gruppe eigentlich gemacht hat und was an ihrem Auftrag politisch brisant war. Denn eines leugnen weder EU-Parlament, EU-Kommission noch Vertreter der Mitgliedstaaten: Für viele Menschen in Europa ist Brüssel Synonym für Bürokratie. Dementsprechend schlecht sind Zustimmungs- und Sympathiebekundungen.

Ganz praktisch betrachtet hat Stoiber tatsächlich eingespart. Als der nun scheidende EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso Stoiber 2007 beauftragte, sollte von den damals errechneten 120 Milliarden Euro Bürokratielast bis 2012 ein Viertel eingespart werden. Am Dienstag wird Stoiber deshalb erneut einen Satz wiederholen, den er stets stolz vorträgt: „Das Ziel haben wir absolut erreicht.“ Rund 30 Milliarden Euro wurden eingespart, indem konkrete Vorschläge der Gruppe umgesetzt worden sind.

Es ist noch einiges zu tun

Die finanziell erfolgreichste Entscheidung war, dass Unternehmen ihre Rechnungen nicht mehr in Papierform einreichen müssen. Die europäischen Finanzämter akzeptieren nun auch elektronische Rechnungen bei der Umsatzsteuer. Dies allein spart den Unternehmen 18,4 Milliarden Euro, vier Milliarden Euro davon entfallen auf die deutsche Industrie. Insgesamt hat die Gruppe mehr als 300 konkrete Vorschläge zum Bürokratieabbau mit einem Einsparpotenzial von insgesamt 41 Milliarden Euro gemacht.

Es ist also noch einiges zu tun. Doch um dauerhaft erfolgreich einzusparen, müssten Stoibers politische Hauptforderungen umgesetzt werden: Es soll ein unabhängiges Gremium sowie einen dauerhaften – unabhängigen – Beauftragten für das Thema geben. Und die Kommission soll sich ein Nettoabbauziel setzen, um die Bürokratiebelastung durch europäische Vorschriften zu verringern.

Schaut man sich Stoibers erste und wichtigste Forderung an, so ist sie in gewisser Weise erfüllt worden. Der neue Kommissionspräsident, Jean-Claude Juncker, den Stoiber „meinen Freund“ nennt, hat seinen Ersten Vize-Präsidenten, den bisherigen niederländischen Außenminister Frans Timmermans, mit dem Thema Bürokratieabbau betraut, zuständig für „bessere Regulierung“. Das ist auch nicht nur ein Titel: Vielmehr gibt Juncker einen Teil seiner Entscheidungsbefugnisse als Chef an seine „rechte Hand“ ab. Der 53-Jährige erhält ein Vetorecht, um intern Gesetzesvorschläge zu stoppen, wenn etwa die Folgekosten des Gesetzes besonders hoch sind.

Machtkampf zwischen Kommission und Parlament sowie den Mitgliedstaaten

Bei seiner Anhörung im Europaparlament warb der Niederländer leidenschaftlich für das Subsidiaritätsprinzip, wonach Europa eben nur dann tätig werden soll, „um etwas zu erreichen, was auf der nationalen, regionalen oder lokalen Ebene nicht erreicht werden kann“. Das ist ein Satz, den auch Stoiber Wort für Wort so unterschreiben würde.

Der CSU-Ehrenvorsitzende war clever genug, um Timmermans Nominierung als unmittelbare Folge seiner Bemühungen zu deuten: „Diese Ernennung ist der größte Erfolg meiner Arbeit.“ Wenn man ehrlich ist, wollte Stoiber eigentlich einen Beauftragten unabhängig von der EU-Kommission, Timmermans ist herausgehobener Teil dieser.

Der Niederländer wiederum verriet bereits einige Schritte auf dem Weg, den sich Stoiber vorstellt. Große Bedeutung kommt dem Arbeitsprogramm der neuen EU-Kommission zu. Denn traditionell versuchen die mächtigen Fachabteilungen, viele ihrer Ideen dort unterzubringen. Zu Beginn des nächsten Jahres will er eine Liste von laufenden Gesetzgebungsverfahren präsentieren, welche die Kommission stoppen sollte, obwohl sie sie selbst initiiert hat. Auch dies geht auf die Arbeit der Stoiber-Gruppe zurück.

Martin Schulz, sozialdemokratischer Präsident des Europäischen Parlaments, sagte dem Tagesspiegel: „Mit der Struktur, wie sie Jean-Claude Juncker nun vorgeschlagen hat, unternimmt der zukünftige Kommissionspräsident einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung. Frans Timmermans wird dafür zuständig sein, dass der Bürokratieabbau in der neuen Kommission großgeschrieben wird.“ Allerdings ist aus Timmermans bisherigen Worten weder zu entnehmen, wie er es mit dem von Stoiber vorgeschlagenen Nettosparziel hält, noch, ob Stoibers Forderung nach einem dauerhaften „unabhängigen Gremium“ realistisch ist. An dieser Stelle wird der eigentliche Machtkampf zwischen Kommission und Parlament sowie den Mitgliedstaaten noch auszutragen sein. Denn es gibt schon ein Gremium, das sich selbst als „unabhängig“ beschreibt, das „Impact Assessment Board“. Aber diese Unabhängigkeit hat es nur intern gegenüber den politischen Abteilungen: nicht gegenüber der EU-Kommission.

Edmund Stoiber ist mit sich zufrieden

Doch offensichtlich bewegt sich etwas. Den Deutschen schwebt eine Art Pendant zum Nationalen Normenkontrollrat vor, und sie wollen, dass ein solches Gremium auch in allen Mitgliedstaaten eingeführt wird. Für Brüssel selbst hat sich nach Tagesspiegel-Informationen nun Frankreich den Vorstellungen der Deutschen angeschlossen. Beide Länder werden gemeinsam eine Initiative für ein solches unabhängiges Gremium starten.

Im Parlament steht die EVP sowieso hinter Stoibers Ideen, denn Junckers angekündigter Wachstumsplan soll auch mithilfe eingesparter Bürokratiekosten gelingen. Das hat gerade der EVP-Fraktionschef und Stoibers CSU-Parteifreund Manfred Weber betont. Aber auch Sozialisten und Sozialdemokraten sind längst keine Stoiber-Gegner mehr. Im Gegenteil. Sozialdemokrat Martin Schulz sagt: „Edmund Stoiber hat gute Arbeit geleistet. Seine Vorschläge helfen, die EU effizienter zu machen. Das ist wichtig, weil die Bürger zu Recht verlangen, dass sich die EU vor allem um die großen Probleme kümmert und nur das regelt, was nicht besser national oder regional erledigt werden kann.“

Edmund Stoiber jedenfalls ist mit sich zufrieden. Und das sagt er auch. Fragt man ihn persönlich nach seinem Vermächtnis für Brüssel, antwortet er: „Wir haben einen Bewusstseinswandel eingeleitet. Langfristig wird das die Akzeptanz für die EU erhöhen.“

Dieser Text erschien in der "Agenda" vom 14. Oktober 2014 - einer neuen Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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