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Die Länderkammer redet mit.

© dpa

Bund und Länder: Wir müssen reden

Wegen der komplexen Mehrheitsverhältnisse zwischen Bundestag und Bundesrat kommt der Länderkammer jetzt mehr Gewicht zu. Die internen Koordinierungsrunden werden zu Gipfeltreffen der Macht.

Ein halbes Jahr war er im Stand-by-Modus. Bundestagswahl, Koalitionsverhandlungen, Regierungsbildung. Die Sitzungen des Bundesrats waren ereignisarm. An diesem Freitag wird er wieder hochgefahren. Auch wenn Merkel, Gabriel & Co. die Länderkammer wohl lieber im Dämmerzustand lassen würden. Denn die Republik hat derzeit die vielleicht komplexeste Machtlage zwischen Bund und Ländern seit 1949. Die große Koalition ist im Bundesrat ohne Mehrheit, Schwarz-Rot verfügt nur über 27 Stimmen. Selbst wenn das schwarz-gelbe Sachsen mittut, wären es nur 31. Schwarz-Rot braucht die Grünen. Die regieren in sieben Ländern mit und „kontrollieren“ so 34 Bundesratsstimmen.

Rot-grüne Nebenkoalition

Doch die Sache ist noch diffiziler. Denn die rot-grünen Koalitionen bilden im Bundesrat eine Art Nebenkoalition. Sie kommen auf 29 Stimmen. Gesellt sich das SPD-regierte Hamburg aus dem Regierungslager dazu, macht auch Brandenburg mit, dann entsteht eine rot-rot- grüne Mehrheit von 36 Stimmen. Ob und wie oft die kommen wird? Unklar. Aber die Möglichkeit ist da. Für die SPD bedeutet das eine koalitionsdiplomatische Herausforderung – zwischen Union und Grünen. Doch auch die Grünen sind gefordert. Sie können sich schwarz-roten Anliegen nicht völlig verweigern. Die Union wiederum muss auf das rot-grüne Gegenlager Rücksicht nehmen, ohne viel Einfluss zu haben. Aber via Schwarz-Grün in Hessen besteht nun auch Kontakt zu den Grünen.

Koordinierung ist eine hohe Kunst

Kurzum: Im Bund-Länder-Spiel ist Koordinierungskunst in höherer Vollendung gefragt. Damit wächst die Bedeutung jener informellen Runden, die sich an den Donnerstagabenden vor den Bundesratssitzungen treffen. Über ihre Interna weiß man wenig. Sie sind exklusiv. Es gibt keine Protokolle. Dabei sind diese Runden so wichtig wie Kabinette, Koalitionsausschüsse, Parteipräsidien. Vielleicht sogar wichtiger – zumindest wenn die Bund- Länder-Probleme sich zuspitzen. Das dürfte sich häufen, siehe Energiewende.

Die "Merkel-Runde"

Bei der Union spricht man von der „Merkel-Runde“. Obwohl sie „Kauder-Runde“ heißen müsste, denn der Fraktionschef lädt ein. Aber die Kanzlerin ist meist dabei. Man lässt sich reihum in den Landesvertretungen bewirten, es ist ein Arbeitsessen: Dreigang-Menü, ein Glas Wein dazu oder danach, die Kanzlerin mag die Roten. Mit dabei sind die Ministerpräsidenten, dazu die Vize-Regierungschefs aus den Ländern, in denen die CDU mitregiert (Länder ohne Regierungsbeteiligung fehlen). In der Runde sitzt auch die Chefin der CSU-Landesgruppe, dazu die Generalsekretäre von CDU und CSU, Kanzleramtschef Peter Altmaier, der Bund-Länder-Koordinator im Kanzleramt, Helge Braun, und an diesem Donnerstag erstmals Lucia Puttrich, die hessische Bundesratsbevollmächtigte. Hessen koordiniert die B-Länder (also die mit schwarzen Chefs). Puttrich trägt die „Problemlage“ im Bundesrat vor. Bundesminister sind selten dabei, Landesminister nie. Nur Kauder darf einen Mitarbeiter mitbringen, es ist sein Büroleiter Andreas Mom. Vertreter gibt es nicht, eine Regel, auf die Kauder Wert legt, wie es heißt. Die Runde soll nicht ausufern. Man trifft sich um 19.30 Uhr, zwischen 22 und 23 Uhr ist Schluss. Es sei denn, man hat sich verhakt.

"Frühwarn-Plattform"

Zum Bundesrat werden nur die wichtigsten Fragen aufgerufen, keine Nebensachen: offene Punkte, abweichendes Stimmverhalten, mögliche Vermittlungsverfahren, Absprachen mit der anderen Seite (dazu wird schon mal in deren Runden gesimst – und umgekehrt). Ist der Bundesrat durch, geht es um „Verschiedenes“. Das kann ein Schwerpunkt sein wie jetzt die Energiepolitik oder Koalitionspolitisches, Strategisches. Die Runde dient auch als „Frühwarn-Plattform“ bei Themen, die noch nicht akut sind. Die „Merkel-Runde“ ist ein handliches Instrument für jene, die Exekutivverantwortung tragen.

Die Bundesseite ist derzeit die stärkere Abteilung. Die CDU stellt nur noch fünf Ministerpräsidenten, allein Volker Bouffier regiert in einem größeren Land. Stanislaw Tillich ist in eine relativ einflussreiche Position hineingewachsen. Christine Lieberknecht, Annegret Kramp-Karrenbauer und Rainer Haseloff müssen in ihren großen Koalitionen in Thüringen, im Saarland und in Sachsen-Anhalt den Kompromiss leben. Horst Seehofers Eigengewicht wiegt die schwächelnde Länderseite bei der CDU nicht auf.

Die SPD trifft sich bei Kraft

Die Gewichte bei der SPD sind da schon ein wenig anders verteilt. Dort hat vor einem Jahr Hannelore Kraft die Dinge in die Hand genommen. Nordrhein-Westfalen löste Rheinland-Pfalz als koordinierendes Land ab. Aus der „Beck-Runde“, die sich im Weinkeller der Landesvertretung von Rheinland-Pfalz traf (wo Gerhard Schröder einst gern die Käseplatte wählte), wurde freilich keine „Kraft-Runde“. Man spricht von der „A-Runde“. Wie man hört, ist der Düsseldorfer Ministerpräsidentin das lieber so. Die Sozialdemokraten treffen sich in der NRW-Vertretung in der Hiroshimastraße, der Raum mit kleiner Bar ist nüchtern, die Moderation der Gastgeberin auch. Es gibt ein Buffet zur Stärkung.

Verschlungene Wege - in der Landesvertretung Thüringen.
Verschlungene Wege - in der Landesvertretung Thüringen.

© Alfred Englert

Kraft hat die Runde gestrafft und den Kreis verkleinert. Sigmar Gabriel als Parteichef ist dabei, SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi, Fraktionschef Thomas Oppermann. Künftig könnten Bundesminister hinzustoßen. Die Runde komplettieren die Ministerpräsidenten und die Vize-Regierungschefs. Krafts Bundesratsbevollmächtigte Angelika Schwall-Düren ist ebenfalls dabei. Los geht’s um 20 Uhr. Die wesentlichen Punkte der Bundesratssitzung werden möglichst schnell abgeräumt, um Zeit zu haben für Weiteres.

Großmacht im Bundesrat

Trotz der Regierungsbeteiligung im Bund herrscht in der SPD ein Machtgleichgewicht zwischen Bund und Ländern. Neun Ministerpräsidenten, Juniorpartner in vier weiteren Ländern – so stark war die SPD im Bundesrat selten. Neben Kraft ist der Hamburger Olaf Scholz ein Tonangeber, als einstiger Bundespolitiker kennt er beide Seiten. Erfahrung auf allen Ebenen hat auch Kiels Regierungschef Torsten Albig. Im Hintergrund nimmt der Bremer Bürgermeister Jens Böhrnsen eine vermittelnde Position ein. Klaus Wowereit (Berlin) und Erwin Sellering (Mecklenburg-Vorpommern) bringen großkoalitionäre Erfahrungen ein. Stephan Weil aus Hannover, Malu Dreyer aus Mainz und Dietmar Woidke aus Potsdam sind noch recht frisch dabei.

Kretschmann moderiert die Grünen

Nicht weit von den Sozialdemokraten entfernt haben sich die Grünen ihre Donnerstagsrunde eingerichtet. Sie treffen sich in der baden-württembergischen Vertretung. Die Runde ist recht groß, etwa 35 Teilnehmer. Winfried Kretschmann moderiert. Aus den Ländern sollen jeweils nicht mehr als zwei Minister kommen. Stellvertretende Ministerpräsidenten wie Robert Habeck (Schleswig-Holstein), Stefan Wenzel (Niedersachsen) oder Eveline Lemke (Rheinland-Pfalz) spielen eine etwas zentralere Rolle, aus NRW zudem Sylvia Löhrmann und Johannes Remmel. Die Bundesseite repräsentieren die Fraktionschefs im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter, die Parlamentarische Geschäftsführerin Britta Haßelmann, der Parteigeschäftsführer Michael Kellner. Die Parteichefs Cem Özdemir und Simone Peter sind mit von der Partie. Man tagt bis halb elf oder elf, wenn’s schneller geht, ist’s auch recht. Bei den Grünen sind die Donnerstagsrunden ebenfalls eine Art Präsidiumsersatz, in der die wirklich Verantwortlichen unter sich sind.

Veränderte Machtbalance

Die Partei ist durch die Beteiligung in sieben Landesregierungen „exekutivlastiger“ geworden, das bringt einen gehörigen Schwung Regierungsrealismus. Die Grünen sind auch „länderlastiger“ als früher, da dominierte die Bundessicht, die Alphatiere saßen in Berlin. Die aktuelle Bundesführung gilt als schwächer. Die neue Machtbalance wird die Grünen verändern. „Bei uns fängt die Bund-Länder-Koordinierung eigentlich erst jetzt so richtig an“, sagt ein Beteiligter. Willkommen im Klub, denken sie sich da bei Union und SPD.

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