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Das Geschäft mit Hanf könnte sich in Deutschland zum Milliardenmarkt entwickeln.

© dpa

Cannabis als Medizin: Berauschende Aussichten für deutsche Hanfproduzenten

Noch gibt es hierzulande wenige Ärzte, die Cannabis verschreiben. Im April werden die Lizenzen für den Anbau in der EU vergeben. Deutsche Unternehmen machen sich Hoffnungen.

Viele Jahre haftete der Pflanze hierzulande das Verruchte, Illegale an, doch jetzt ist Cannabis auf dem besten Wege, in Deutschland salonfähig zu werden. Im März trat ein Gesetz in Kraft, demzufolge schwerkranke Patienten künftig auf Verschreibung ihres Arztes sogenanntes Medizinalhanf konsumieren dürfen. Die Kosten für die Behandlung werden die Krankenkassen übernehmen; den Bedarf der Patienten sollen ab 2019 Cannabis-Pflanzen decken, die in Deutschland von pharmazeutischen Unternehmen gezüchtet und weiterverarbeitet wurden.

Allerdings steht noch nicht fest, wie viele und welche Firmen die Pflanze mit den gezackten Blättern in Zukunft anbauen dürfen; das für diese Angelegenheit zuständige Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und die dort angedockte Cannabisagentur werden wohl nur eine Handvoll der begehrten Anbaulizenzen vergeben, vermuten Experten.

Bewerben können sich Unternehmen, die einen Firmensitz in der Europäischen Union haben. Die Cannabisagentur hat ihren Sitz in Bonn, beschäftigt derzeit drei Mitarbeiter und überwacht künftig Anbau, Ernte, Verarbeitung, Lagerung, Verpackung sowie die Abgabe des Medizinalhanfs in den Handel. Auch für die Qualitätskontrolle der Cannabispflanzen ist die Behörde zuständig. Chef der Agentur ist Werner Knöss, der beim BfArM die Abteilung Besondere Therapierichtungen und Traditionelle Arzneimittel leitet.

Bedingungen für Cannabis-Produktion sind noch unklar

Obwohl noch unklar ist, welche Kriterien künftige Cannabis-Produzenten erfüllen müssen: Die bevorstehende Ausschreibung, die die Behörde aller Voraussicht nach im April veröffentlichen wird, lässt Geschäftsleute rund um den Globus schon jetzt frohlocken. Viele von ihnen wittern ein lukratives Geschäft. Eine Annahme, die nicht nur US-Unternehmer Alex Rogers teilt. „Deutschland ist nach den USA der zweitgrößte Markt für Medizinalhanf in der Welt“, sagt er. Rogers setzt sich seit den 1990er Jahren für die Legalisierung von Cannabis ein und verbüßte vor neun Jahren in Bayern wegen des illegalen Besitzes der Pflanze eine Haftstrafe.

Mittlerweile verdient er mit der Hanfpflanze sein Geld: Im Bundesstaat Oregon an der Westküste der USA betreibt der Amerikaner eine Klinik, die Kranke berät, die Cannabis nutzen wollen. Zudem hat der Unternehmer vor einigen Jahren die International Cannabis Business Conference (ICBC) ins Leben gerufen, die regelmäßig Investoren, Politik und Wirtschaft zusammenbringt.

Im April gibt es erstmals eine Konferenz zum Hanfgeschäft in Berlin

Nach Treffen in Vancouver (Kanada), San Francisco und Hawaii findet diese Veranstaltung vom 10. bis zum 12. April nun erstmalig in Berlin statt. „Hier bietet sich der vorhandene Freiraum, um mit Größen und Experten über die Zukunft des Marihuanamarktes in Europa zu philosophieren“, heißt es auf der Homepage des Veranstalters. Organisator Rogers versteht die Konferenz als klassische Business-to-Business-Veranstaltung, auf der es neben der Weitergabe von Know-how vor allem ums Netzwerken und die Anbahnung neuer Geschäftsbeziehungen geht. „Sie soll dabei helfen, die Cannabis-Industrie auch in Deutschland voranzubringen“, sagt er.

Zu der Veranstaltung im Maritim Pro Arte Hotel an der Friedrichstraße werden rund 1000 Teilnehmer aus 20 Ländern erwartet. Angekündigt haben sich unter anderem eine Delegation von US-Kongressabgeordneten, diverse Cannabis-Unternehmer aus den USA und Kanada sowie Ingo Michels, ehemaliger Leiter des Arbeitsstabs der Drogenbeauftragten der Bundesregierung.

In den USA ist der Anbau von Medizinalhanf ein Milliardengeschäft

Während Hanf vor allem in Kanada und zahlreichen Bundesstaaten der USA als Medizinprodukt seit vielen Jahren etabliert ist und sich dort rund um die Pflanze eine Industrie entwickelt hat, die mittlerweile Jahresumsätze in Milliardenhöhe erwirtschaftet, steht die Branche in Deutschland noch ganz am Anfang. Bislang war der Anbau von Cannabis hierzulande nur rund 500 Personen für den Eigenkonsum im Rahmen einer Ausnahmegenehmigung gestattet. Weitere 500 Patienten nutzten Medizinalhanf, der aus Kanada oder den Niederlanden nach Deutschland importiert wurde. Eine Infrastruktur für die massenhafte, industrielle Produktion der Grünpflanze hierzulande gibt es bisher nicht.

Das BfArM hat im Vorfeld der Lizenzvergabe kalkuliert, dass Patienten in Deutschland bei einer durchschnittlichen Tagesration von einem Gramm pro Jahr etwa 365 Kilogramm Cannabis oder 10 000 Hanfpflanzen benötigen. Warum die Behörde dabei nur die derzeit bekannten rund 1000 Konsumenten in ihre Berechnungen einbezogen hat, ist zahlreichen Experten allerdings ein Rätsel. „Die Zahlen des BfArM sind meiner Meinung nach viel zu gering“, sagt etwa Professor Oliver Kayser. Der Pharmazeut und Dekan der Fakultät Bio- und Chemieingenieurwesen an der Technischen Universität Dortmund forscht seit Jahren zu den Wirkstoffen, die in Cannabis enthalten sind. „Das Marktpotenzial von Medizinalhanf in Deutschland ist enorm“, sagt er. „Ich gehe eher von bis zu 800 000 potenziellen Konsumenten aus.“

Bislang kennen sich nur wenige Mediziner hierzulande mit der Anwendung von Cannabis aus

Auch der Deutsche Hanfverband teilt diese Einschätzung. „Wenn das System erst einmal läuft, werden sehr viel mehr Patienten in Deutschland mit Cannabis behandelt werden als bisher“, sagt Verbandssprecher Georg Wurth. Wie sich der Markt entwickele, hänge allerdings in entscheidendem Maße davon ab, wie viele Ärzte ihren Patienten den Stoff tatsächlich verschreiben. „Wir kriegen heute schon viele Anrufe von Leuten, die einfach keinen Mediziner finden, der Medizinalhanf in der Praxis einsetzt“, sagt Wurth.

Wegen der bislang relativ überschaubaren Zahl an Cannabis-Patienten gebe es derzeit nur wenige Mediziner, die sich mit der Anwendung und Wirkung des Stoffes auskennen – dafür aber jede Menge Vorbehalte. Prinzipiell könne auch das Cannabis-Geschäft in Deutschland zum Milliardenmarkt avancieren. „Aber wenn keiner Cannabis verschreibt, hemmt das natürlich die Entwicklung.“ In den vergangenen Monaten haben den Verband Hunderte Anfragen von Privatpersonen und Unternehmen erreicht, die ins Geschäft einsteigen wollen.

Etablierte Firmen könnten einen Wettbewerbsvorteil haben, vermuten Experten

Der Hannoveraner Rechtsanwalt Jürgen Scholz will sich zusammen mit mehreren Geschäftsleuten um eine der Anbau- Lizenzen für Medizinalhanf bewerben. Businesspläne für das Projekt seien bereits geschrieben, ein möglicher Produktionsstandort in Niedersachsen für die Cannabisproduktion ausgemacht. Scholz fürchtet allerdings, dass bei der Lizenzvergabe vor allem international etablierte Hanfproduzenten wie Bedrocan (Niederlande) oder Tilray (Kanada) aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung den Zuschlag bekommen – und nur wenige hiesige Firmen zum Zuge kommen.

„Die Großen haben einen klaren Wettbewerbsvorteil“, sagt der Jurist. „Ich hoffe aber, dass das BfArM bei der Auswahl berücksichtigt, dass deutsche Unternehmen auf dem Gebiet noch nicht so viel Erfahrung haben“, sagt er. Mit Blick auf die Entwicklung des Marktes kommt aus seiner Sicht aber nicht nur auf die Unternehmer einiges zu. Auch die Pharmazeuten im Land müssten umdenken, sagt Scholz. „Im Moment gibt es nur ganz wenige Apotheken im Land, die mit Cannabis handeln.“ Jenseits der Hanfproduktion dürften also weitere Geschäftsfelder entstehen – etwa im Bildungs- und Dienstleistungssektor.

Das Unternehmen Bionorica hofft auf eine Anbaulizenz

Unternehmer Michael Popp geht fest davon aus, dass seine Firma Bionorica auf deutschem Boden Hanf anbauen wird – bislang züchtet sein Unternehmen die Pflanzen in Wien. Derzeit bringt der Geschäftszweig dem Unternehmen, das unter anderem für sein Arzneimittel Sinupret bekannt ist, pro Jahr einen Umsatz von etwa 2,5 Millionen Euro und macht nur ein Prozent des Gesamtumsatzes aus. „Mit einer Anbaulizenz in Deutschland könnten wir unseren Absatz verdreifachen“, ist Popp sich sicher.

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