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Das Gebäude des Regionalausschusses in der Brüsseler Rue Belliard bot einst dem Europäischen Parlament Unterkunft.

© CoR/Frédéric Guerdin

EU-Ausschuss der Regionen: Das Europa der Bürgermeister

Der "Ausschuss der Regionen" ist die jüngste der EU-Institutionen, sozusagen Europa von unten. Er hat keine Macht, aber in Zeiten wachsender EU-Verdrossenheit wird er immer wichtiger.

Migration ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit – das ist ein Mantra jeder Rede zum Thema. Beinahe ebenso oft zu hören: Ob sie funktioniert, ob aus Fremden früher oder später Mitbürger werden, entscheidet sich vor Ort. In Städten, kleinen, großen, in Nachbarschaften und in Dörfern.

Das Geld dafür freilich wird anderswo gesammelt und verteilt, von den nationalen Regierungen und der viel geschmähten Superregierung im fernen Brüssel. Doch seit mehr als 20 Jahren muss es nicht mehr einfach so von ganz oben bis in die Fläche nach unten tropfen. Seit 1994 darf der „Ausschuss der Regionen“ (AdR) mitmischen, die jüngste der europäischen Institutionen.

Es gibt ihn seit dem Vertrag von Maastricht. Als die Einführung des Euro die Zentralen, Brüssel und die Hauptstädte, noch stärker machte, gab sich die Union ein Gremium, das auch der Fläche Europas eine Stimme verschaffen sollte. Im AdR sind Gebietskörperschaften aus allen 28 EU-Mitgliedsländern vertreten. Je 350 Köpfe von Portugal bis Finnland, die jeweils einen Stellvertreter oder eine Stellvertreterin haben. Sie alle haben entweder selbst ein politisches Mandat oder sind in ihrer Heimatregion einer gewählten Versammlung gegenüber politisch verantwortlich.

Auch der Innenkommissar war einmal Bürgermeister

In der vergangenen Woche beschäftigte sich der AdR mit der Herausforderung Migration und verabschiedete eine einigermaßen harte Stellungnahme für die großen Schwesterinstitutionen Kommission und Parlament und den Europäischen Rat, die Vertretung der nationalen Regierungen: Das zersplitterte europäische Asylsystem müsse gründlich überarbeitet, legale Wanderung stärker ermöglicht werden, und die Integrationsmaßnahmen seien auf Dauer zu sichern. Schließlich bringe nur jahrelanges Ackern auf diesem Feld etwas fürs große Ziel, aus Fremden Bürger zu machen.

EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos persönlich versicherte den Vertretern der Städte und Regionen, sie seien „die vorderste Front der Migrationskrise“ und brauchten „volle und dauerhafte Unterstützung“, denn: „Was weltweit geschieht, wirkt sich lokal aus.“ Avramopoulos war selbst acht Jahre lang Bürgermeister von Athen und früher AdR-Mitglied.

Die Frage ist freilich, ob die großen und mächtigen Geschwister Rat, Parlament und Kommission auf den Ausschuss der Regionen hören. Will sagen: Anhören müssen sie ihn, mehr aber auch nicht. Zu bestimmen hat der kleine Bruder im großen europäischen Maschinenraum nichts. Die, die dort auf die Machtfragen achten müssen, reagieren denn auch diplomatisch, wenn sie die Rolle der unbekanntesten EU-Institution beschreiben sollen.

Natürlich sei er auf Veranstaltungen des Ausschusses dabei, sagt etwa Matthias Ruete, der deutsche Generaldirektor der EU-Kommmission für Migration und Inneres und mit 30 Jahren als EU-Beamter einer, der den Maschinenraum gut kennt: „Ich würde ja sonst die Bodenhaftung verlieren.“ Der AdR helfe ihm häufiger, „uns zu orientieren“. Zur Rolle des AdR möge man aber dessen Mitglieder selbst fragen.

Erfolgsgeheimnis: Früher gute Ideen haben als andere

Ska Keller, mögliche nächste Fraktionschefin der Grünen im Europaparlament, sagt klar, dass das Regionalgremium für ihre Arbeit kaum eine Rolle spiele: Es sei zwar schön, wenn man für eigene Politik auch damit werben könne, dass Europas Regionen ähnlich dächten. Damit habe man aber „noch niemanden zu Tode beeindruckt“.

Der Ausschuss selbst sieht sich ebenfalls nüchtern. Heinz Lehmann ist CDU-Landtagsabgeordneter in Sachsen und derzeit Vorsitzender der 24-köpfigen deutschen Delegation – und der gleichen Zahl von Stellvertretern – im Ausschuss. Man frage sich nach ein paar Tagen Sitzungen in Brüssel schon manchmal: „Was habe ich denn erreicht?“ Andererseits sieht Lehmann den AdR als wichtigen Akteur fürs Zusammenwachsen Europas: Die 250 Kolleginnen und Kollegen aus Ost und West, Nord und Süd, aus unterschiedlichsten Heimatregionen, seien im Gespräch, es werde „intensiv um Mehrheiten geworben“. Dass der AdR „so intensiv am Kohäsionsbildungsprozess teilnimmt, halte ich für noch wichtiger als unsere Stellungnahmen“, sagt Lehmann.

Aber auch die wirkten ziemlich oft, meint Michael Schneider. „Durch gute Ideen oder frühzeitiges Positionieren kann der AdR durchaus Einfluss nehmen“, sagt der sachsen-anhaltinische Staatssekretär. Er ist seit 14 Jahren Mitglied im Ausschuss und Berichterstatter für das Thema mit dem sperrigen Namen. Die Kohäsionspolitik, also die Förderung von Europas Regionen durch Brüssel, sei „ein gutes Beispiel für den Einfluss des AdR“. Als es um den laufenden EU-Haushalt ging, seien mehr als 15 Regionen in Sorge gewesen – alle ostdeutschen, dazu die Gegend um Lüneburg, der Großraum Warschau und einige italienische und spanische Regionen –, dass sie aus der Höchstförderung fallen würden. So schön für sie war, dass es ihnen deutlich besser ging: Ihre wirtschaftliche Gesundheit war noch zu wacklig, als dass sie von heute auf morgen auf viel EU-Geld verzichten konnten.

Der AdR machte sich für eine Zwischenlösung und mildere Absenkung der Hilfen stark – und fand Gehör: Der Vorschlag wurde Teil des offiziellen EU-Haushalts. Schneider setzt auf Geschwindigkeit: frühzeitig schon mit Ideen und Positionen Kontakt mit den mächtigeren Institutionen aufzunehmen, vor allem mit der Kommission. Wenn der Zeitplan funktioniert, ist die Position des AdR zum nächsten Haushalt im Mai fertig: „Dann wären wir die Ersten.“ Diesmal will Schneider sich für die polnischen Marschälle – die Regierungschefs von Polens Regionen – einsetzen, die eine weitere Zwischenlösung fürs Brüsseler Geld wünschen.

Blick auf Europa jenseits der Schlagzeilen

Auch einen Auftritt ihres Mitglieds Bart Somers heften sich die AdR-Mitglieder gern als Erfolg ans Revers: Der charismatische Bürgermeister der flämischen Stadt Mechelen, Berichterstatter zum Thema „Entradikalisierung“, machte zeitweise weltweit Schlagzeilen, wurde im Sommer von den EU-Innenministern um eine Präsentation gebeten, und zwei EU-Kommissare suchten seinen Rat. Mechelen, Ende des vergangenen Jahrhunderts typisches Opfer der Entindustrialisierung, schmutzig, verrufen, mit hoher Kriminalität und abwandernder Mittelschicht, attraktiv nur noch für Arme, steht heute auf Platz drei der belgischen Städte, auf die ihre Bewohner besonders stolz sind.

Somers’ Botschaft, neben einer Null-Toleranzpolitik, wo nötig: Keine Ghettos, weder für die Randständigen noch für die „besseren Leute“. Bei denen wirbt er beispielsweise dafür, ihre Kinder in sozial gemischte Schulen zu schicken. "Ich sage ihnen: Es ist nicht gut für eure Kinder, wenn sie keine maghrebinischen Freunde haben."

So läuft im AdR „viel über den Prozess“, wie der nordrhein-westfälische Grünen-Abgeordnete Stefan Engstfeld sagt. Es sei „Quatsch“ zu behaupten, es gebe keine europäische Öffentlichkeit. China, Griechenland, der Euro, die Krise: Die Themen und Sorgen seiner Kolleginnen und Kollegen seien dieselben, egal, ob sie Franzosen oder Litauerinnen seien. Und im AdR ist diese europäische Öffentlichkeit bei der Arbeit zu beobachten, meinen dessen Mitglieder: Dort finden die Bürgermeister von Hafenstädten für gemeinsame Politik zueinander oder Fachleute, die sich zwischen Lissabon und Tallinn mit den komplizierten EU-Vergaberichtlinien herumschlagen müssen – oft eine hohe Hürde.

Gerade armen Gemeinden fehlt das nötige Personal. Dabei sind die Verwaltungen in Europas Regionen und Kommunen nach EU-Auskunft für die Umsetzung des Löwenanteils aller europäischen Vorschriften zuständig - ganze 70 Prozent. Entsprechend ist Verwaltungsvereinfachung eine stets wiederholte Forderung des Ausschusses an die großen EU-Institutionen.

Im AdR kann man auch ein anderes Bild der EU bekommen. Migrantenfeinde im Osten? Bremens Bevollmächtigte Ulrike Hiller erfuhr im AdR von tschechischen Kollegen, dass sie gern Flüchtlinge aufnehmen würden: „Die beklagten sich darüber, dass die nationale Ebene das nicht zulasse.“

Der kleine EU-Bruder wird groß

Hella Dunger-Löper, die als Berliner Europabevollmächtigte rund zehn Jahre lang im AdR mitarbeitete, sagt, er habe in dieser Zeit stetig an Gewicht gewonnen. „Und ich denke, das wird sich fortsetzen“, sagt Dunger-Löper, die vor wenigen Tagen in den Ruhestand gegangen ist. Das lasse sich etwa daran messen, dass immer häufiger Kommissionsmitglieder Kontakt suchten oder beim Ausschuss vorbeischauten. "Wir sind ein Gremium der Basis. Das gibt Erdung. Und in Brüssel ist auch die Einsicht da, dass man die braucht", sagt Dunger-Löper. "Den Leuten ist inzwischen klar: Wir müssen wissen, wie unsere Entscheidungen unten ankommen."

Was das Gewicht angeht, ist der kleine Bruder der EU-Großen jedenfalls am richtigen Ort: Der Ausschuss der Regionen amtiert in der Rue Belliard, dem früheren Brüsseler Sitz des Europäischen Parlaments. Das hat, als es 1979 erstmals gewählt wurde, auch klein angefangen, als demokratische Deko eines stark regierungslastigen europäischen Apparats. Inzwischen ist Europas Volksvertretung eine mächtige Gesetzgeberin für die Union.

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