zum Hauptinhalt

EU-Trilog: Wie Brüssel im Hinterzimmer die Demokratie aushöhlt

In informellen Triloggesprächen sorgen EU-Parlament, Rat und Kommission für schnelle Gesetzgebungsverfahren. Das macht die EU effizienter – und undurchsichtiger. Transparente Demokratie sieht anders aus.

T

Die EU-Institutionen müssen sich viele Vorwürfe anhören. Sie gelten als zu bürokratisch, zu technisch, zu übergriffig, zu behäbig. Aber als zu schnell? Diese Kritik ist neu für Brüssel. Und doch wird die EU-Gesetzgebung seit einigen Jahren so stark beschleunigt, dass sich Kritiker um die Demokratie sorgen: zu viel Geklüngel zwischen den Institutionen und zu viele Deals unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Ermöglicht werden diese „Geheimabsprachen“ durch das sogenannte informelle Trilogverfahren, ursprünglich nur als Ausnahme in dringenden Fällen gedacht, durch das inzwischen aber mehr als 80 Prozent der EU-Gesetzgebung gepeitscht werden. „Kein System, das sich selbst demokratisch nennt, dürfte so etwas akzeptieren“, empört sich beispielsweise Tom Bunyan, Direktor der britischen Bürgerrechtsbewegung Statewatch. „Die Trilogverfahren müssen entweder transparent werden oder verschwinden“, sagt der Grünen-Abgeordnete im EU-Parlament, Sven Giegold.

Um die Attraktivität und gleichzeitig die Probleme dieses Trilogverfahrens zu verstehen, muss kurz das EU-Gesetzesbäumchen herangezogen werden, wie es auch heute noch Schülern vermittelt wird. Das geht grob gesagt so: Die EU-Kommission hat das Vorschlagsrecht und denkt sich einen Gesetzesentwurf aus. Der geht zeitgleich an das EU-Parlament und den Rat der Europäischen Union, der die Mitgliedstaaten vertritt. Beide diskutieren den Vorschlag in Ausschüssen oder Arbeitsgruppen, und dann wird in beiden Institutionen in der ersten Lesung über den Vorschlag abgestimmt. Wenn sich die Standpunkte von Rat und Parlament unterscheiden (was ziemlich häufig der Fall ist), geht das Ganze in die zweite Runde und muss von der Kommission überarbeitet werden. Erst wenn die zweite Abstimmung ebenfalls kein einvernehmliches Ergebnis bringt, gibt es eine Art Vermittlungsausschuss: den Trilog.

Der Vorteil dieses mehrstufigen Verfahrens: Der Meinungsfindungsprozess ist transparent und nachvollziehbar. Durch die Abstimmungen legen sich beide Institutionen öffentlich auf einen Standpunkt fest. Der interessierte Journalist, Lobbyist oder Bürger weiß also jederzeit, woran er ist, welche Institution welche Position vertritt – und auch welche Fraktion und welcher einzelne Staat welche Haltung hat.

Das Problem ist nur: Das Verfahren dauert. Manchmal mehrere Jahre. Deshalb haben sich die EU-Institutionen eine Abkürzung für dringende Fälle ausgedacht. Das sogenannte „informelle Trilogverfahren“ ermöglicht Absprachen zwischen den Institutionen schon vor der ersten Lesung. Das heißt: Vertreter von Parlament, Kommission und Rat setzen sich zusammen und überlegen, mit welchem Kompromiss sie gut leben könnten. Damit kann ein Gesetz schon in der ersten Abstimmung durchgewunken werden, statt eine zweite und dritte Schleife zu drehen. Das nennt sich in der EU-Sprache „first reading agreement“ und gilt als effizient.

Diese schnelle Ausnahme, mit dem Vertrag von Amsterdam 2004 eingeführt, kommt so gut an, dass sie inzwischen zur Norm geworden ist. Während der aktuellen Ratspräsidentschaft, die von Januar bis Juni von Lettland bestritten wird, wurden zum Beispiel bisher 27 Gesetze verabschiedet. Bis auf drei alle in der ersten Lesung. 25 weitere werden gerade in diesem informellen Trilogverfahren besprochen.

Etwa 20 Leute besprechen sich bei Kaffee und Mineralwasser

Aber wie laufen solche Treffen eigentlich ab? Recht intim, wenn man die fragt, die regelmäßig daran teilnehmen. Etwa 20 bis 30 Leute diskutieren bei Kaffee und Mineralwasser. Alle drei Institutionen schicken Verhandler: die EU-Kommission, die verschiedenen Fraktionen im EU-Parlament – und der Europäische Rat wird von dem Mitgliedstaat vertreten, der gerade den Vorsitz innehat. Dabei werde auf Augenhöhe diskutiert, heißt es. Wer sich durchsetze, hänge meistens davon ab, wie gut die Abgesandten sich mit dem Thema auskennen. Ein Insider auf Parlamentsseite verrät: Man freue sich besonders über kleine Mitgliedstaaten als Ratsvertreter, da diese oft mit den vielen Verhandlungen überfordert seien und nicht immer den genauen Überblick hätten. Dem Parlament helfe es, wenn eine möglichst große Mehrheit hinter dem eigenen Vorstoß stünde. Festgelegt werden die Verhandlungspositionen im Parlament, im entsprechenden Ausschuss und im Rat in einer „allgemeinen Ausrichtung“ – die aber nicht die Haltung der einzelnen Mitgliedstaaten auflistet. Diese Intransparenz im Rat ist es, die Politiker wie Giegold besonders aufregt. Der Kommission fällt dabei die Vermittlerrolle zu. Am Ende dieser Treffen steht meist ein Text, den alle Verhandler vertreten können.

Das Problem dabei: All diese Treffen finden hinter verschlossenen Türen statt, Protokolle werden nicht veröffentlicht. Weil es vorher keine Abstimmung gab, ist von außen nicht klar nachvollziehbar, wer welche Haltung vertritt. Es kann also beispielsweise passieren, dass im Auftrag eines Mitgliedstaats ein Satz aus dem Kompromiss gestrichen wird, ohne dass später bei der Abstimmung jemand davon erfährt. Oder gar, welcher Mitgliedstaat was geblockt hat. Fans dieser Methode sehen das positiv: Die Abwesenheit der Öffentlichkeit, so wird argumentiert, erleichtere die Kompromissfindung. Würden erst einmal Positionen öffentlich festgelegt, könne häufig niemand mehr hinter seine Linie zurück. Eine Win-win-win-Situation für alle drei Institutionen.

Was auch zur Wahrheit gehört: Die Gespräche schmeicheln dem Ego der Verhandler, sie geben Einzelnen die Möglichkeit, sich zu profilieren, indem sie ein gutes Ergebnis für die eigene Truppe herausholen. Bei den Trilogverhandlungen sitzen zudem meistens nur die Vertreter der größeren Fraktionen, kleine Parteien und Splittergruppen haben gar nicht genug Leute, um die vielen Treffen zu besetzen und mitzudiskutieren.

Das Verfahren ist nicht gesetzlich geregelt

Fest steht: Das Trilogverfahren ist nirgendwo gesetzlich geregelt. Wie viele Teilnehmer muss es geben? Was aus den Gesprächen wird veröffentlicht? Bisher gibt es nur die Daumenregel, dass sehr umstrittene Gesetze, zu denen in Rat und Parlament ohnehin nur schwer Mehrheiten zu erzielen sind, gleich den längeren Weg nehmen.

Der Trilog wird auch von Lobbyisten und Verbändevertretern wie der Europäischen Bewegung, bei der Organisationen wie Verdi oder der BDI Mitglied sind, kritisiert. Es sei so kaum möglich, Brancheninteressen in die Debatte einzubringen. Man fürchtet um den eigenen Einfluss. Ein Gesetzesprozess brauche „externe Expertise“, sagt Bernd Hüttemann, Generalsekretär der Europäischen Bewegung Deutschland, dafür müssten Verhandlungsstand und Positionen öffentlich sein.

Die Ombudsfrau, Emily o’Reilly, zuständig für Beschwerden gegen die EU-Institutionen, hat nun angekündigt, das Transparenzproblem anzugehen. „Wir sind uns der Probleme des Trilogverfahrens bewusst“, sagte ihre Sprecherin dem Tagesspiegel. Am 28. Mai will sie Maßnahmen vorschlagen, wie dagegen angegangen werden kann.

Die Chefs der Institutionen: Laimdota Straujuma (Lettische Ministerprasidentin/EU-Ratsvorsitz), Martin Schulz (EU-Parlamentspräsident), Jean-Claude Juncker (EU-Kommissionspräsident)
Die Chefs der Institutionen: Laimdota Straujuma (Lettische Ministerprasidentin/EU-Ratsvorsitz), Martin Schulz (EU-Parlamentspräsident), Jean-Claude Juncker (EU-Kommissionspräsident)

© picture alliance / dpa

Dieser Text erschien im Politikjournal des Tagesspiegels "Agenda".

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false