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Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter auf seinem Fahrrad. Die Fahrbereitschaft des Bundestages nutzt er nur selten.

© Thilo Rückeis

Fahrradfahren zum Bundestag: Fahrbereitschaft, nein Danke? Nur wenige Bundestagsabgeordnete radeln

Drahtesel statt Limousine: Nur wenige Politiker verzichten auf die Fahrbereitschaft des Bundestages. Anton Hofreiter, Petra Sitte, Annette Groth und Ute Finkh-Krämer treten aus Überzeugung in die Pedale und wollen etwas bewegen.

Das Fahrrad von Anton Hofreiter ist lila, etwa halb so alt wie er und heißt „Konsul“; eine Billigmarke. Hofreiter wirkt ziemlich flott darauf, wenn ihm der Fahrtwind in Jackett und Haare fährt. Das Rad hat sogar Putzringe, die wegen des Siegeszugs von Nabendynamo und -schaltung fast ausgestorben sind. Optisch also ziemlich diebstahlsicher. So fährt der Grüne täglich von seiner Wohnung in der Torstraße zum Reichstag und zum Büro im Jakob-Kaiser-Haus. Auf den personengebundenen Dienstwagen, der ihm zustünde, verzichtet der Fraktionschef, die Fahrbereitschaft des Bundestages nutzt er nur, „wenn’s Wetter ganz grässlich ist“.

Damit zählt Hofreiter zur Minderheit unter den 631 Abgeordneten. „Es fehlt ja in ganz Berlin an Abstellmöglichkeiten“, sagt er, während er sein Rad ins Gewühl an den Bügeln auf der Ostseite des Reichstags fädelt. Hier ist Hans-Christian Ströbele 2005 das Rad geklaut worden. Fahrradkuriere entdeckten es auf einem Flohmarkt und kauften es für 20 Euro zurück.

Sahra Wagenknecht radelt nur in ihrer Freizeit

Hofreiter wie Ströbele sind Kurzstreckenradler. Das Berliner Verkehrsklima sei „gelassener als in München“, sagt der Fraktionschef, der als Vorsitzender des Verkehrsausschusses viel mit dem Thema zu tun hatte und auch wegen seiner Prominenz „oft als Einziger“ an jeder roten Ampel hält. Grüne Rechtsabbiegepfeile für Radfahrer, vernünftige Wegeleitung an Baustellen und mehr Platz auf viel befahrenen Achsen wie der Friedrichstraße nennt er als Wünsche. Eine Helmpflicht lehnt er ab: „Hauptziel der Politik sollte nicht sein, Fußgänger und Radfahrer zu panzern, sondern das Verkehrsklima zu ändern und den Straßenraum so umzugestalten, dass jeder unfallfrei von A nach B kommt.“

Wer sich umhört in den Fraktionen, findet bei SPD, Grünen und Linken jeweils eine Handvoll Alltagsradler. Außerdem lässt sich ein halbes Dutzend Geschichten aus der Rubrik „So wurde mein Fahrrad in Berlin geklaut“ auftreiben. Sahra Wagenknecht teilt mit, sie fahre in ihrer Freizeit im Saarland oft und dann „in der Regel über 100 Kilometer“ am Tag, während sie in der City „aus Liebe zum eigenen Leben“ darauf verzichte. Gregor Gysi entgeht diesem Risiko, indem er zu Hause aufs Ergometer steigt. CDU-Mann Gero Storjohann radelt möglichst nur nach Hause, weil es von seiner Wohnung zum Reichstag viereinhalb Kilometer seien und er nach zwei Kilometern im Anzug schwitze. Gelegentlich erkundet der Holsteiner Berlin im Urlaub mit Frau und Söhnen per Rad, einmal jährlich organisiere er eine parlamentarische Fahrradtour durch die Stadt. An der letzten hätten 19 Abgeordnete sowie etwa 100 Mitarbeiter und Lobbyisten teilgenommen.

Viele Radler klagen über aggressive Autofahrer

Weniger erfolgreich war Storjohanns Initiative für eine öffentliche Luftpumpe im Regierungsviertel: Der Bundestagspräsident habe sich nicht zuständig gefühlt, aber Sache des Landes Berlin sei das ja auch nicht. Die Bundestagsverwaltung stellt Dienstfahrräder nur ihren eigenen Mitarbeitern auf Antrag zur Verfügung, teilt sie mit. Aktuell nutzten 39 Kollegen dieses Angebot. Für die Fraktionen sei „in den Ausstattungsgrundlagen“ nichts Derartiges vorgesehen. „Augenscheinlich wird die zur Verfügung gestellte Infrastruktur von den Beschäftigten gut angenommen“, heißt es, womit wohl die überfüllten Fahrradständer gemeint sind.

Der Umweltverband BUND hat bereits 2008 einen Fahrradplan fürs Regierungsviertel herausgebracht, das übrigens als erster Berliner Stadtteil konsequent mit Radfahrstreifen versehen worden ist. Jetzt ist die zugehörige Internetseite des BUND unerreichbar, und die Infrastruktur stagniert auf einem Niveau, das parteiübergreifend als ausreichend, aber nicht wirklich erfreulich beschrieben wird. Mehrere nennen den Leichtsinn von Radlern und die Aggression von Autofahrern als Hinderungsgründe, mehr zu radeln.

Die Linke Annette Groth, die in der als Fahrradstraße beschilderten Linienstraße wohnt, beobachtet stark zunehmenden Radverkehr speziell unter Anzugträgern. „Bei den Baustellen ist man ja blöde, wenn man das Auto nimmt“, sagt die 60-Jährige, deren für 30 Euro gebraucht gekauftes Stadtrad mit Körbchen vor ihrem Büro Unter den Linden parkt. Für Parlamentarier, die beruflich nur ihr Sitzfleisch trainieren, sei das Radeln auch medizinisch geboten. Ein junger FDP-Kollege, der den Kilometer zum Reichstag immer mit der Limousine fuhr, habe in einem Jahr acht Kilo zugenommen. In ihrer aktuellen Form sei die Fahrbereitschaft mit 100 Limousinen nicht nur der Gesundheit der Abgeordneten abträglich, sondern auch dem Wohlbefinden der großteils prekär beschäftigten Fahrer. „Man sollte die Fahrbereitschaft verkleinern und die Fahrer anständig bezahlen“, fordert Groth, die menschenrechtspolitische Sprecherin ihrer Fraktion ist und auch im Verkehrsausschuss sitzt. Wenn sie dort ernsthaft für ökologische Mobilität und Fahrradträger an allen Stadt- und Fernbussen werben wolle, sollte sie nicht mit der Limousine vorfahren, findet sie.

Petra Sitte fand beim Radfahren die große Liebe

Am Fahrradständer trifft Groth oft die SPD-Abgeordnete Ute Finckh-Krämer, deren 20 Jahre altes Stadtrad Schilder mit der Aufschrift „Ihre Bundestagsabgeordnete – mit dem Fahrrad unterwegs“ zieren. Die Steglitzerin radelt auch im Urlaub gern, immer mit Helm und insgesamt ohne große Ansprüche an die Infrastruktur: Für längere Strecken nimmt sie ihr Rad mit in die S-Bahn und bei Regen halt den Schirm oder die U 55. Nach ihrem Eindruck sind vor allem im Auswärtigen Ausschuss jene Schwergewichte vertreten, die die Limousine zum Arbeiten brauchen, „während ich mir den Luxus leiste, auf dem Rad auch nachzudenken“.

Petra Sitte beschreibt diesen Luxus als „Auflösung emotionaler Staus“. Die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Linksfraktion ist 1993 aufs Rennrad gestiegen, weil sie als ehemalige Leistungsschwimmerin Herzrhythmusstörungen bekam, die sie mit Medikamenten oder mit Sport bekämpfen musste. DDR-Radsportlegende Täve Schur habe ihr gesagt: „Mädel, fahr doch Rad“ und ihr ein Camp in Italien empfohlen.

Dort habe sie ihren Freund kennengelernt, mit dem sie jetzt zwischen 3500 („in Wahljahren“) und 6500 Kilometern jährlich fährt. Sie erzählt Anekdoten von Kuchen statt Kraftriegeln in der Trikottasche und von einem Autofahrer, der sie wegen Nichtbenutzung eines Radweges nur deshalb nicht verprügelt habe, weil er sie bei näherem Hinsehen als Frau erkannt habe. Bei jener Begegnung sei sie froh über ihren Helm gewesen, unter dem sie übrigens stets eine Kappe trage: „Sonst sieht mein Igel hinterher aus wie ein Gartenzaun.“ Sie hat außer ihren drei Rennrädern auch je ein altes Mountainbike in Halle (Saale) und Berlin, fährt aber dienstlich nur gelegentlich: Bei Wärme schwitze „der Achselhamster“, und bei Regen werde das Rad dreckig. Aus dem Straßensiff „kann man ja Pyramiden bauen“, sagt die 53-Jährige, die dreckige Fahrräder schwer erträgt und weiß, dass schmutzige Ketten wieder flutschen, wenn sie in Rindertalg ausgekocht werden. Im Bundestag ist also Kompetenz auch zu sehr speziellen Fragen vertreten.

Dieser Text erschien in der "Agenda" vom 22. Juli 2014 - einer neuen Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie jeweils bereits am Montagabend im E-Paper des Tagesspiegels lesen. Ein Abonnement des Tagesspiegels können Sie hier bestellen:

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