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Westfale mit Durchsetzungskraft: Manfred Rettig.

© picture alliance / dpa

Humboldtforum in Berlin-Mitte: Manfred Rettig - Ein Schlossherr mit Aussicht auf Flughafen

Bauen für den Bund ist sein Metier: Derzeit kümmert sich Manfred Rettig um das Humboldtforum in Berlins historischer Mitte. Das Schloss ist bald fertig. Und dann? Eine unvollendete, chaotische Baustelle gibt es ja noch.

Die erste Rede im Berliner Schloss hat Frank-Walter Steinmeier gehalten. Der Außenminister sprach vor Exzellenzen, Botschaftern und Generalkonsuln im großen Saal für Wechselausstellungen. Ja, in einem Rohbau fand das traditionelle Jahrestreffen der von der Bundesrepublik in alle Welt entsandten diplomatischen Vertreter statt. Und dass Steinmeier die Entsandten zwischen den zugigen grauen Betonwänden begrüßte, ist vor allem das Verdienst eines Mannes – des talentierten Netzwerkers des Bundes, Manfred Rettig, Vorsitzender der Stiftung Schloss Humboldtforum und früherer Chefstratege des Regierungsumzugs.

1,83 Meter groß und breite, von der Arbeit am Bau gestärkte Schultern, mittelblonde Haare, blickt er aus freundlichen, an diesem Tag aber schmalen Augenschlitzen. Rettig hat eine anstrengende Woche hinter sich. Wieder einmal hat der 62-Jährige das Schlossprojekt verkauft. Dieses Mal aber nicht deutschstämmigen Milliardären in einem New Yorker Club an der 5th Avenue, die schon mal ein paar Millionen für die Kuppel in der alten Heimat spenden. Nein, dieses Mal versammelte Rettig Vertraute bei sich zu Hause. Auch da stand das „größte Kulturprojekt in der Geschichte der Bundesrepublik“ (Wolfgang Thierse) im Mittelpunkt. Von Politikern, Unternehmern und Künstlern wollte Rettig wissen: Wie lässt sich noch mehr „Begeisterung“ für das Schloss wecken? Was ist die „richtige Ansprache“, um das Humboldt-Forum ins öffentliche Bewusstsein zu bringen?

Die Sorge, dass das 590-Millionen-Projekt das Budget sprengen oder nicht rechtzeitig fertig werden könnte, treibt den gelernten Städtebauer und Architekten kaum mehr um. „Das wird nicht geschehen, wenn es keine grundlegenden Veränderungen mehr gibt“, sagt Rettig. Da steht er vor. Aber ein weiteres Ansinnen dieser Art musste er vor kurzem erst abwehren: Die Zentral- und Landesbibliothek wollte aussteigen. Ein großer Teil des ersten Geschosses ist für sie reserviert. Klima, Brandschutz, Raumaufteilung – jedes Detail ist auf die Erfordernisse der Bibliothek abgestimmt und hätte umgeplant werden müssen. Da rief Rettig bei der Senatskanzlei an, bat um einen Termin beim Regierenden, und nach dem Rundgang über die Schlossbaustelle mit Klaus Wowereit befand der: Die ZLB bleibt, basta!

Von der Sozial- zur Christdemokratie

„Dominoeffekte, deren Folgen keiner kalkulieren kann“, hätte ein Ausstieg der ZLB bedeutet, sagt Rettig. Chaos drohte, wie bei der Elbphilharmonie in Hamburg oder beim BER. Mit ihm ist das nicht zu machen, notfalls nimmt er seinen Hut: „Ich ruiniere mir doch nicht meinen Namen.“ Da sei er „stur“, sagt der Westfale, „aber nicht borniert“, kleine Veränderungen gehen immer, aber eben nur solche, die das Projekt nicht gefährden.

In die CDU trat Rettig in den 80er Jahren ein. „Eigentlich bin ich ein Liberaler“, sagt er. Aber er ist eben auch „gradlinig“, und das verträgt sich schlecht mit einer Partei, die während seiner Politisierung den Koalitionspartner wechselte, dem Machterhalt zuliebe: von der Sozial- zur Christdemokratie.

Dass er als Schüler selbst links stand, für die revoltierenden Studenten auf seinen Motorroller stieg und die Polizeiketten auf den Demonstrationsrouten auskundschaftete, erklärt er mit seiner Bewunderung für einen Charismatiker der Macht: Willy Brandt. Und es sei auch ein Privileg der Jugend, dass man die Gesellschaft mit „idealtypischen Mustern“ bewertet. Was auch ihn später nach rechts rücken ließ? Die „Ideologisierung“ am linken Rand und die Missachtung „makroökonomischer Zusammenhänge“, steigende Staatsschulden und hohe Arbeitslosigkeit.

Bundeskanzlerin Merkel meide das Schloss

Vor wenigen Tagen sprach ihn Mexikos Botschafterin Patricia Espinosa Cantellano an. Ob sich das Humboldt-Forum am deutsch-mexikanischen Jahr 2016/17 beteiligen könne, wollte sie von Rettig wissen. In Mexiko-Stadt war Cantellano als Kind selbst in die „Deutsche Schule von Humboldt“ gegangen. Das Humboldt-Forum mit seinem Auftrag im Dienste der Weltkulturen hatte sie ganz selbstverständlich als Ansprechpartner für ihr kulturelles Austauschprojekt angesehen. Doch das Projekt startet erst 2019. Und natürlich werden die Partner das Programm verantworten: die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die Humboldt-Universität und die ZLB. Für Rettig ist der Anruf aber der Beweis, dass das Humboldt-Forum als Konzept wohl aufgehen wird.

Zumal im Ausland von Vorbehalten, wie es sie hierzulande gibt, nichts zu hören ist. Eine russische Delegation führte Rettig vor kurzem erst über die Baustelle, Museumsmacher aus der Eremitage: „Die bewundern, wie wir das Schloss transformieren, ohne dessen Geschichte zu verleugnen.“ Dass der Hohenzollernbau nicht als Kulisse für den kulturellen Dialog tauge, wie manche sagen, könnten die Russen nicht nachvollziehen. Vielleicht weil nicht mal die Sowjets den Kreml gesprengt haben, sondern sich die frühere Zarenresidenz angeeignet und umgewertet haben. Dass nun Wladimir Putin darin herrscht, ist eine andere Sache.

Bundeskanzlerin Angela Merkel wird dennoch nachgesagt, sie meide das Schloss. Zur Grundsteinlegung kam sie nicht, Bundespräsident Joachim Gauck erschien zwar, mochte aber nicht reden. Das Schloss steht auf den Trümmern des Palasts der Republik, der für viele aus dem Osten Deutschlands ein Stück gebaute Identität war. Deshalb ist für Rettig die Benennung von Monika Grütters zur Kulturstaatsministerin ein Glücksfall: Die lange in Berlin tätige Politikerin steht hinter dem Schlossprojekt. „Und sie ist Münsteranerin wie ich“, sagt Rettig.

Der BER wäre eine Aufgabe für Rettig

62 ist Rettig, sein Vertrag als Stiftungschef endet in diesem Jahr. Die Verlängerung gilt in Kreisen des Stiftungsbeirats als Formsache. Doch das Schloss ist fast fertig. Nicht wirklich eine Herausforderung für den Mann, der zehn Jahre lang im Dienst von fünf Ministern unterschiedlicher Parteien die Bauten des Bundes in Berlin sowie den Umzug von Regierung und Parlament gemanagt hat. Es gibt da aber einen Flughafen bei Berlin, eine unvollendete, chaotisch gelenkte Baustelle. Was ihn mächtig ärgert. „Unser Image im Ausland nimmt Schaden“, sagt er. Das Chaos schrecke Investoren ab. Und wie er sich so empört, ahnt man: Der BER, das wäre eine Aufgabe für ihn, genau das richtige.

Klaus Töpfer (CDU), der frühere Umweltminister und spätere Bauminister, hält bis heute Kontakt mit Rettig. Töpfer wird gerne „Umzugsminister“ genannt, dabei war er nur einer von fünf Bauministern, unter deren Führung Rettig den Bundestagsbeschluss zum Regierungsumzug umgesetzt hat. Und nur drei Jahre hatte Töpfer dieses Amt inne. Doch es sollten die entscheidenden Jahre beim Wechsel des Regierungssitzes werden. Denn „Töpfer war der erste Umzugsbeauftragte der Bundesregierung“, sagt Rettig, und Töpfer sei mit dieser Funktion die Führungsrolle im Bundeskabinett in allen Umzugsfragen übertragen worden. Erst dadurch kam der Tross in Bewegung, denn nun konnten Töpfer und sein Stab, dessen Leiter Rettig war, durchgreifen bis in die Arbeitsebenen der einzelnen Ministerien.

Diese Befugnisse nutzte die Stabsstelle dazu, alle mit Umzugsfragen befassten Arbeitskreise in den Ministerien abzuschaffen. Diese hatten zuvor vor allem eins bewirkt: den Umzug zu verschleppen. Zu den beliebten Tricks der Umzugsgegner zählte etwa, immer wieder neue mögliche Ministerien-Standorte ins Gespräch zu bringen und frühere Vorschläge abzuschmettern. Altbauten wurden gerne als „historisch kontaminiert“ abgelehnt, etwa weil sie vom NS-Regime oder der DDR-Regierung genutzt worden waren. So verstrichen Jahre, ohne dass Entscheidungen gefallen wären. Mit der Einführung des Umzugsstabs beim Bauminister war dies vorbei: Es wurden Fristen gesetzt und es wurde zu Entscheidungen gedrängt – notfalls auf Ministerebene im Kabinett.

Dieser Text erschien in der "Agenda" vom 04. Oktober 2014 - einer neuen Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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