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Fragile Beziehungen. Im politischen Berlin ist Vertrauen die wichtigste Währung, doch der Wechselkurs unterliegt starken Schwankungen.

© AFP

Intrigen im Politikbetrieb: Misstraue deinen Freunden

Gerüchte, Intrigen und falsche Ratschläge? Was Abgeordnete, Ministeriale und Verbandsvertreter über Vertrauen als Wert im Regierungsviertel sagen.

"Willkommen in der Welt der falschen Freunde und der gezielten Desinformation!“ Witzig gemeint, aber reichlich abgenutzt waren die Sprüche, die er zu hören bekam, als er vor zehn Jahren seinen neuen Job im Berliner Regierungsviertel antrat. Ein anderer Begrüßungsgag für den Verbandsvertreter aus Westdeutschland lautete: „In dieser Stadt sind sogar Selbstgespräche gefährlich.“ Fehlte nur noch der Klassiker: „Brauchst du einen Freund, dann kauf dir einen Hund.“

Der Lobby-Mann, von dem hier die Rede ist, will anonym bleiben. Das liegt auch an seiner hohen Position. Die flotten Sprüche, die er gern zitiert, klingen wie schlechte Kopien der giftigen Bonmots aus „Das Treibhaus“. Der Desillusionierungsroman von Wolfgang Koeppen hatte schon 1953 das Interessengeflecht des Bonner Politikbetriebs als gefährliches tropisches Dickicht beschrieben. Korruptes Klima am Rhein.

Und wie sieht es heute an der Spree aus, wo alles größer, schneller, greller ist? Was meinen Lobbyisten, Politiker und Wissenschaftler zu solchen Sentenzen über falsche Freunde und fiese Finten? Ein bisschen was sei da schon dran, meint besagter Verbandsmann. „Von den Akteuren im politischen Geschäft verstehen sich zwar nur wenige auf die hohe Schule des Intrigierens, höchstens zehn Prozent. Doch es gibt sie, diese Leute, die sogar gemeine Gerüchte über sich selbst in die Welt setzen, um herauszufinden, wer mit wem redet.“ Und auch von diesem Trick weiß er zu berichten: „Um festzustellen, welchen Weg Informationen nehmen, werden verschiedene Versionen von Gesetzesentwürfen oder Studienergebnissen durchgestochen. Da stehen dann fürs Wiedererkennen bestimmte Signalwörter drin.“

Geschichten, die vor allem den Erzähler aufwerten

Seine Mitarbeiter, die ganz vorn an der Buffet-Front unterwegs sind, beschreiben ihm schillernde Typen: „Der Abgreifer versucht ständig herauszufinden, welche Kontakte man hat, der horcht das Gegenüber aus, welche Absprachen und Deals laufen. Der Blender gibt mit eigenen Kontakten an, prahlt mit Namen und der Weitergabe angeblicher Exklusivitäten.“ In demonstrative Coolness verfällt der Lobbyist, wenn er über Freundschaften spricht: „Ich würde von Interessengemeinschaften sprechen, vielleicht auch von Partnern oder Mitstreitern. Mit festen Zusagen oder Versprechungen muss man vorsichtig sein.“

Es sind Erzählungen, die eine Atmosphäre von Verruchtheit heraufbeschwören, die auch der Selbstaufwertung des Erzählers dient. Wer möchte nicht als Alchemist der Politik, als Master of the Universe rüberkommen? Was er selbst tut, beschreibt der Lobbyist eher nüchtern, von gezielter Desinformation will er gewiss nicht sprechen: „Wir machen strategische Kommunikation. In der Blase der verschiedenen Interessen werden Informationen gesucht, die über das Alltägliche hinausgehen, Kenntnisse über Zusammenhänge, die nicht in der Zeitung stehen.“

Auch einer seiner Kollegen möchte nicht, dass sein Name genannt wird. Er war einige Jahre für eine der fünf Branchen tätig, die besonders kritisch beobachtet werden: Atom, Auto, Pharma, Rüstung, Tabak. „Falsche Informationen? Das kommt irgendwann heraus – und dann ist man als Gesprächspartner erledigt. Man muss seine eigenen Punkte durchbringen, ohne das Gegenüber völlig an der Nase herumzuführen. Die Kunst ist es, die Dinge so aufzubereiten, dass man unbequeme Fakten an den Rand drücken kann.“ Fein formuliert. Gemeint sind Bluffs, verbale Drohkulissen, dosierte Wichtigtuerei, gepflegtes Understatement oder andere Kniffe aus der Werkzeugkiste des Interessenvertreters. Lobbyisten können auch den „Wählerwillen“ oder Stimmen aus Netzgemeinde instrumentalisieren, um Druck auf die Politik auszuüben. Aber die Mobilisierung der Öffentlichkeit ist aufwendig. Zumal bei Gefälligkeitsartikeln von Journalisten oder bestellten Blogs die Gefahr der Enttarnung droht.

„Das ist einerseits populistisches Geschwätz, und doch ist ein bisschen Wahres dran.“

Seinen Ansatzpunkt beschreibt der Mann so: „Es ist für Abgeordnete und Amtsträger nicht einfach, auf schwierigen Politikfeldern den Über- und Durchblick zu behalten. Zu wenig Zeit, zu wenige Mitarbeiter.“ Da seien Informationen, Argumentationshilfen und Thesen willkommen. „Auch weil die sich profilieren wollen.“ Politiker müssten sich eben Standpunkte von möglichst vielen unterschiedlichen Interessenvertretern einholen, rät der Lobbyist.

Gerade das sei das Problem, meint Birger Priddat, Lobbyexperte und Wirtschaftsprofessor an der Universität Witten-Herdecke. Meist fehlt den Politikern die Zeit, sich umfassend zu informieren. „Wer als Lobbyist zuerst kommt, rhetorisch am besten ist oder die attraktivste Veranstaltung bietet, der setzt sich oftmals durch. Das ist das Ungerechte.“

Zu den Sprüchen über falsche Freunde und Desinformation meint der Wissenschaftler: „Das ist einerseits populistisches Geschwätz, und doch ist ein bisschen was Wahres dran.“ Die Lobbyisten kämen zwar nicht getarnt oder arbeiteten mit falschen Informationen – sie nutzten jedoch gezielt eine Asymmetrie der Mittel und Fähigkeiten aus. „Aufseiten der Lobbyisten arbeiten hoch qualifizierte Leute, die oftmals besser sind als die Mitarbeiter in den Ministerien.“

"Kabale und Liebe gibt es nicht nur in der Politik"

Auch Herbert Hönigsberger, Sozialwissenschaftler, Politikberater und Lobbykritiker, kann mit Klagen über die Abgründigkeit des politischen Geschäfts wenig anfangen: „Zu platt und undifferenziert. Und doch gibt es sie durchaus, diese Schlawiner und Intriganten, aber das sind höchstens zehn Prozent. Die Mehrheit der Abgeordneten etwa betrachte ich eher als arme Säue denn als harte Hunde, viel Arbeit, Stress und Konkurrenzdruck. Und zu entscheiden haben sie nur wenig.“

Einer dieser Abgeordneten, ein CDU-Mann, der zu den Modernisierern in seiner Partei gehört, sieht das keineswegs so pessimistisch. Er meint aber auch: „Intrigantenstadl? Das ist mir zu billig. Nach meiner Erfahrung ist das nicht kennzeichnend für unsere Demokratie.“ Und wer mit Lobbyisten zu tun habe, der wisse doch um die Einseitigkeit ihrer Anliegen.

Ein SPD-Landespolitiker, der auch in der Bundespolitik unterwegs war, sieht es so: „Kabale und Liebe, die Jagd nach dem eigenen Vorteil, das gibt es doch nicht nur in der Politik, sondern auch im Krankenhaus oder im Kraftwerk.“ Was Freundschaften angeht, empfiehlt er professionelle Distanz: „Man sollte Berufs- und Privatleben auseinanderhalten.“

Selbst in der Wirtschaft tätig war der Grünen-Funktionär, der weiß, „dass im Regierungsviertel Vertrauen kein Wert ist, der besonders großgeschrieben wird“. Doch könne man sich Netzwerke aufbauen, in denen es durchaus freundschaftlich zugehe. Ihm imponiert der offensive Umgang einiger Abgeordneter mit Lobbykontakten: „Die stellen die Termine ins Netz.“ Angeberische Sprüche gehen ihm auf die Nerven: „Die kommen oft von den Silberrücken, die noch in Bonner Zeiten angefangen haben.“

Ähnlich sieht es eine Politikberaterin. Sie hat das Reden über Politik als schmutziges Geschäft satt. „All das testosteronhaltige Geraune führt doch nur dazu, dass der Lobbyismus immer weiter als Matrix, als dunkle Macht hingestellt werden kann.“ Mit dem Thema solle man unaufgeregter umgehen, meint sie. Und dreht den Spieß einfach um: „Manipulation, Instrumentalisierung, Vereinnahmung – das droht an vielen Stellen, übrigens auch im Medienbereich.“ Sie lacht dazu.

Dieser Text erschien in der neuen Beilage "Agenda" des Tagesspiegels. Die "Agenda" erscheint jeden Dienstag in Sitzungswochen des Deutschen Bundestages in der gedruckten Ausgabe des Tagesspiegels sowie im E-Paper und liefert politischen Hintergrund aus dem Innenleben der Macht.

Hans-Hermann Kotte

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