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Abgeordnete, die krank werden, können sich an die Parlamentsärztin des Deutschen Bundestages wenden.

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Medizinische Versorgung im Bundestag: Erste Hilfe für kranke Abgeordnete

Wenn Abgeordnete krank werden, können sie sich an die Parlamentsärztin des Bundestages wenden. Mancher Politiker setzt jedoch lieber auf den Rat eines bekannten Kollegen. Und auch Politikern, die lieber anonym bleiben wollen, kann geholfen werden.

Ihre Patienten haben die gleichen Probleme wie viele andere Menschen auch. Und doch ist der Arbeitsalltag von Barbara Vonneguth-Günther anders als der vieler Medizinerkollegen. Die Fachärztin für Innere Medizin und Arbeitsmedizinerin arbeitet als Parlamentsärztin im Deutschen Bundestag. Und ist damit zuständig für die 631 Abgeordnete, die sich mit ihren gesundheitlichen Problemen an sie wenden können. „Für viele Kollegen ersetzt die Parlamentsärztin den Hausarzt“, erzählt die SPD-Bundestagsabgeordnete Carola Reimann.

Im Behandlungszimmer kann der Patient die aktuelle Plenardebatte verfolgen

Die Pendelei zwischen dem Wahlkreis und Berlin, der vollgepackte Kalender in Sitzungswochen – gerade für viele neue Abgeordnete ist es nicht einfach, sich ein medizinisches Netz in der Hauptstadt aufzubauen. Die Parlamentsärztin ist für viele zumindest eine erste Anlaufstelle. Wenn nötig, schickt sie ihre Patienten zur Weiterbehandlung ins Krankenhaus oder zum Spezialisten.

Ihre Praxis befindet sich im Erdgeschoss des Reichstags, direkt neben dem Nordeingang. Die Glastüren zum Wartezimmer sind zugeklebt, aus Gründen der Diskretion. Schließlich soll nicht jeder, der hier vorbeikommt, sofort sehen, welcher Politiker auf die Behandlung wartet. Auf dem Beistelltisch im Wartezimmer findet man keine bunten Illustrierten, sondern die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Die Öffnungszeiten sind dem Parlamentsbetrieb angepasst, in Sitzungswochen ist Vonneguth-Günther oft auch noch abends erreichbar. Und im Behandlungszimmer gibt es einen Bildschirm, auf dem man jederzeit die aktuelle Debatte im Plenum verfolgen kann.

Die Medizinerin kennt den Druck, dem Abgeordnete ausgesetzt sind. „Viele Kollegen wollen dienstliche Termine nicht absagen, auch wenn sie sich schlecht fühlen. Sie haben den Eindruck, dass sie dauernd funktionieren müssen“, berichtet die SPD-Politikerin Reimann. Von der Parlamentsärztin bekommen sie in solchen Situationen schon mal die klare Ansage, dass sie sich schonen sollen.

SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach gibt den Kollegen medizinische Tipps

Für Abgeordnete, die sich krank fühlen, gibt es aber auch noch eine weitere Anlaufstelle, die allerdings nicht wie Vonneguth-Günther mit einer Referatsleitung im Organigramm auftaucht. Es vergehe kaum ein Tag, erzählt der SPD-Abgeordnete Karl Lauterbach, an dem er nicht von Kollegen wegen persönlicher Gesundheitsprobleme kontaktiert werde. Das erstreckt sich von der Frage, ob eine kleine Schnittverletzung behandelt werden muss oder ob das gerade empfundene Unwohlsein von einem bestimmten Medikament herrühren könne bis hin zur dringlichen Bitte, den Kontakt zu einem medizinischen Spezialisten herzustellen.

SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach: Bei ihm holen sich die Kollegen gerne Rat.
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach: Bei ihm holen sich die Kollegen gerne Rat.

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Lauterbach ist nicht nur einer der wenigen gelernten Mediziner im Parlament. In seiner Fachrichtung, der klinischen Epidemiologie, treibt den Harvard-Absolventen und beurlaubten Institutsdirektor nach wie vor auch Wissenschaftler-Ehrgeiz. Es gebe kaum eine Studie, die Lauterbach nicht gelesen habe, berichten seine Mitarbeiter. Über den Stand der medizinischen Forschung sei er besser auf dem Laufenden als viele hauptberuflich tätigen Ärzte. Vor allem aber: Der 51-Jährige ist bestens vernetzt. Daran ändert auch die Aversion vieler Mediziner gegen den Politiker Lauterbach nichts.

Vor einiger Zeit hat der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach öffentlich gemacht, wie ihm Lauterbach im Kampf gegen den Prostatakrebs geholfen und „die wohl besten Ärzte empfohlen“ habe. Die Hilfsersuchen seien mit den Jahren immer mehr geworden, sagt der SPD-Politiker. Er behandle sie „100-prozentig vertraulich“, unterliege er dabei doch, auch wenn er selber nicht behandle, „wie jeder Mediziner der ärztlichen Schweigepflicht“. Gleichzeitig ist seine „Nebentätigkeit“ nicht selbstlos. Die Beratung und Begleitung bei schweren oder seltenen Erkrankungen fasziniere ihn, sagt Lauterbach, als Wissenschaftler sei er „für fast jeden schweren Fall auch dankbar“. Insgesamt besehen unterscheide sich der Gesundheitszustand der Abgeordneten nicht groß von dem der Gesamtbevölkerung, berichtet Lauterbach. Es gebe sehr gesundheitsbewusste Politiker, aber auch das Gegenteil. Er kenne etliche schwer und chronisch kranke Kollegen, die ihre Arbeit dennoch engagiert verrichteten – was ihn besonders beeindrucke.

Polit-Promis können sich in der Charité anonym behandeln lassen

Augenfällig sei die starke Abnahme der Raucher. Die Alkoholiker-Quote unter den Abgeordneten liegt nach Lauterbachs Einschätzung trotz aller Stressfaktoren ebenfalls nicht höher als in der Gesamtbevölkerung. Allerdings scheinen ihm unter den Kollegen Depressionen und Burn-out-Symptome stark zugenommen zu haben. Reden wolle darüber freilich kaum einer. „Ich wurde nie auf Derartiges angesprochen.“ Dabei hätte Lauterbach auch für solche Fälle Tipps parat. Etwa die Adresse einer Tagesklinik in Reichstags-Nähe, unauffällig in einem Bürogebäude untergebracht und mit Zugängen, die man nutzen kann, ohne gesehen zu werden. Eine solche Klinik hat übrigens ihren Flyer auch in der Praxis der Parlamentsärztin ausgelegt.

In der Charité gibt es ebenfalls die Möglichkeit, anonym zu bleiben. Politikpromis können sich dort unter Pseudonym behandeln lassen. Die echten Namen erscheinen dann nicht mal in der Datenbank. Die nahe gelegene Großklinik erfreut sich bei den Bundestagsabgeordneten denn auch kräftigen Zuspruchs. Eine Alternative ist das Bundeswehrkrankenhaus in der Scharnhorststraße. Es ist ebenfalls nur wenige Minuten vom Reichstag entfernt und bei vielen Abgeordneten beliebt – nicht nur, aber auch aus traditioneller Verbundenheit, wie zu hören ist. Schließlich war das Bundeswehrkrankenhaus in Koblenz in Bonner Zeiten für kranke Politiker erste Adresse.

Den Wunsch nach anonymer Behandlung haben vor allem Kabinettsmitglieder. Wobei es sich manchmal nicht vermeiden lässt, dass manches medizinische Dossier zur öffentlichen Angelegenheit wird. Zum Beispiel, als Kanzlerin Angela Merkel sich Anfang diesen Jahres beim Skifahren einen Beckenringbruch zuzog und eine Weile kürzertreten musste.

Zugang zu einem besonderen medizinischen Dienst habe die Bundeskanzlerin in der Regel nicht, sagt ein Regierungssprecher. Eine Meniskus-Operation vor drei Jahren beispielsweise ließ sie in der Charité machen. Bei Auslandsreisen in bestimmte Regionen oder mit größeren Delegationen allerdings wird die Regierungschefin von einem Arzt aus dem Gesundheitsdienst des Auswärtigen Amts und einem Sanitäter begleitet. Dieses Team steht dann aber auch der gesamten Delegation zur Verfügung.

Die SPD-Politikerin Ulla Schmidt versichert, in ihrer Zeit als Gesundheitsministerin immer wie eine normale Patientin behandelt worden zu sein. „Einzelne Abgeordnete haben mir erzählt, dass ihre Ärzte über unsere Gesundheitspolitik geschimpft haben“, erzählt sie. „ Mir ist das nie passiert, dass ich auf dem Behandlungsstuhl überrumpelt wurde.“ Wenn überhaupt, dann habe es ganz normale Unterhaltungen gegeben – über die Arbeitssituation der Mediziner, die Bürokratie in den Praxen. „Das waren aber ganz andere Gespräche als die mit Ärztefunktionären, mit denen ich mich als Ministerin zum Teil heftig auseinandersetzen musste.“

Dieser Text erschien in der "Agenda" vom 8. Juli 2014 - einer neuen Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie jeweils bereits am Montagabend im E-Paper des Tagesspiegels lesen. Ein Abonnement des Tagesspiegels können Sie hier bestellen:

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