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Polizisten der Bundespolizei gehen am 18.11.2015 auf dem Hauptbahnhof in München (Bayern) mit Maschinenpistole bewaffnet Streife.

© dpa

Nach Terror in Paris: 40 Behörden kooperieren zur Terrorabwehr in Deutschland

Nicht nur Innenminister Thomas de Maizière trägt Sicherheitsverantwortung. Es kooperieren Polizei, Politik, Nachrichtendienste und das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum.

Von Frank Jansen

Polizei und Nachrichtendienste rotieren. „Es wird alles noch mal abgeklärt, es werden V-Leute befragt, es werden Lichtbilder gesichtet, es gibt reihenweise Telefonschaltkonferenzen“, stöhnt ein Sicherheitsexperte. Seit dem Terrorangriff in Paris befinden sich auch in Deutschland Polizei und Nachrichtendienste im Dauerstress. Und vergangenen Dienstag waren sie nah dran am Overkill.

Da werden bei Aachen verdächtige Personen festgenommen, die Polizei muss prüfen, ob es „staatsschutzrelevante Erkenntnisse“ gibt, also Hinweise auf Verbindungen zu den Tätern in Paris und zu extremistischen Aktivitäten überhaupt. Die Nachrichtendienste befragen ihre Spitzel und durchforsten Dateien. Dann warnt auch noch ein französischer Nachrichtendienst vor Anschlägen am Abend in Hannover. Die Informationen müssen bewertet werden, die Suche nach Terrorverdächtigen und verstecktem Sprengstoff läuft an – und ein Länderspiel wird keine zwei Stunden vor Beginn abgesagt. Alles muss schnell gehen, um Kontakte gesuchter Personen zu erkennen und um zu verhindern, dass ein Verdächtiger entwischt. Erst recht, wenn er in einer Datei gespeichert sein sollte. Dann wäre ein öffentlicher Aufschrei fällig.

Die gemeinsame Terrorismusabwehr erfolgt ohne Hierarchie

Wer sind die Leute, die in solchen Zeiten den Sicherheitsapparat steuern, der meist funktioniert, auch wenn blitzartiges Reagieren gefragt ist? Angesichts der föderalen Prägung der Bundesrepublik wären da viele Köpfe zu nennen. Allen voran die 17 Innenminister und -senatoren, die für innere Sicherheit zuständigen Staatssekretäre und das Kanzleramt. Doch gerade bei besonderen „Lagen“, wie es im Sicherheitsdeutsch heißt, kristallisiert sich heraus, welche Personen und Institutionen wichtiger sind als wichtig. Und wie sie kooperieren.

Gerhard Schindler, BND-Chef.
Gerhard Schindler, BND-Chef.

© Kai-Uwe Heinrich

Fragt man in Sicherheitskreisen, wer bei „Paris“ eine herausragende Rolle gespielt hat, wird neben den üblichen Verdächtigen wie Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und den Chefs von BKA, BND und Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) ein Gremium mit sperrigen Namen und namenlosen Mitarbeitern genannt: das GTAZ, das „Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum“ im Berliner Stadtteil Treptow. Hier sitzen Beamte aus 40 Behörden zusammen, aus Bundeskriminalamt und Landeskriminalämtern, aus Bundespolizei, Nachrichtendiensten, Bundesanwaltschaft, Zollkriminalamt und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Laptop an Laptop, hart am Rand des Trennungsgebots – und ohne Chef. Hierarchien würden wohl beim Austausch der vielen vertraulichen Informationen nur stören.

„Das GTAZ hat entscheidende Arbeit bei der Bewertung der Gefährdungslage in Deutschland geleistet“, sagt ein Sicherheitsexperte, der seinen Namen ebenfalls nicht veröffentlicht sehen möchte. Gleich am Wochenende habe es die erste Sondersitzung gegeben, am Dienstag waren es gleich drei. Vor allem der Kern des GTAZ, die „AG Operativer Informationsaustausch“, hat laufend neue Erkenntnisse zu den Anschlägen in Paris, der Suche nach geflohenen Attentätern, den Razzien in Belgien, der Terrorgefahr in Hannover und in Deutschland und weiteren Staaten geliefert. Als Grundlage für die Einsatzplanung. Das GTAZ hat sich wieder bewährt.

Ein vollendeter, tödlicher islamistischer Anschlag seit 2004

Es gibt sogar hochrangige Sicherheitsexperten, die der Ansicht sind, ohne das Terrorismusabwehrzentrum hätte die Bundesrepublik mehr hinnehmen müssen als bislang nur einen vollendeten, tödlichen islamistischen Anschlag. Das war der unvorhersehbare Amoklauf des Kosovaren Arid Uka im März 2011. Der junge Einzeltäter erschoss am Frankfurter Flughafen zwei US-Soldaten und verletzte zwei weitere schwer. Als Rache für Kriegsverbrechen der Amerikaner im Irak.

Gegründet wurde das GTAZ Ende 2004, als Reaktion auf die schweren Anschläge im selben Jahr in Madrid und den Terrorangriff auf die USA am 11. September 2001. Die Bekämpfung des islamistischen Terrors, und nur die, sollte gebündelt und die föderale Aufsplitterung der Sicherheitsbehörden ausgeglichen werden. Das ist gelungen. Die Abwehr des militanten Islamismus war dank des GTAZ lange effektiver als der weniger strukturierte Einsatz der Behörden gegen rechtsextreme Gewalt. Erst nach dem NSU-Schock im November 2011 begriffen die Innenminister, dass für den Kampf gegen den Rechtsextremismus ein Pendant zum GTAZ nötig ist.

Hans-Georg Maaßen, Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz.
Hans-Georg Maaßen, Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz.

© picture alliance / dpa

Noch im Dezember 2011 initiierte der damalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) den Aufbau des „Gemeinsamen Abwehrzentrums gegen Rechtsextremismus“ (GAR). 2012 folgte die Gründung des „Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrums“ (GETZ) in Köln. Das GAR ging darin auf. Im GETZ sind sogar mehr als 40 Behörden aus Bund und Ländern vertreten. Die Beamten befassen sich mit Rechts-, Links- und Ausländerextremismus sowie Spionage.

Einer der Ideengeber für mehr Koordination der Sicherheitsbehörden ist Klaus-Dieter Fritsche. Ein unauffälliger Franke, aber einflussreich wie nur wenige in der Sicherheitsarchitektur. Schon weil er lange weit oben dabei ist – und das Vertrauen der Kanzlerin genießt. Angela Merkel lotste den CSU-Mann im Januar 2014, zu Beginn ihrer dritten Amtszeit, vom Bundesinnenministerium ins Kanzleramt und schuf eigens den Posten eines „Beauftragten“, im Rang eines Staatssekretärs, für die Nachrichtendienste des Bundes, also BND, BfV und Militärischer Abschirmdienst (MAD). Obwohl es bereits einen Geheimdienstkoordinator gab, Günter Heiß. Er hat jedoch seinen Posten behalten und kümmert sich nun um die Fachaufsicht des BND. Fritsche hingegen, einst Vizechef des BfV und Staatssekretär im Innenministerium, ist offenbar Merkels Chefinspekteur der inneren Sicherheit insgesamt. Qualifiziert hatte er sich auch mit seinen Fähigkeiten als Netzwerker.

Die Sicherheitsarchitektur wird kompakter im Bund

Als Staatssekretär im Bundesinnenministerium trug Fritsche maßgeblich dazu bei, dass 2012 gleich drei hochrangige Beamte aus seinem Haus die Leitung großer, bisweilen eigenwilliger Sicherheitsbehörden übernahmen. Erst wurde Gerhard Schindler Präsident des Bundesnachrichtendienstes. Dieser rückte somit näher ans Ministerium heran, obwohl er dem Kanzleramt untersteht. Anschließend avancierte Hans-Georg Maaßen zum Chef des BfV, und Dieter Romann übernahm die Bundespolizei. Alle drei neuen Präsidenten dürften Fritsche eng verbunden sein. So geht Politik.

Dienstags trifft Fritsche im Kanzleramt bei der traditionellen „Nachrichtendienstlage“ nicht nur die Präsidenten von BND, BfV, MAD, sondern auch den Chef des BKA, Holger Münch, sowie Staatssekretäre aus den Ministerien für Inneres, Justiz, Verteidigung und dem Auswärtigen Amt. Nimmt die Terrorgefahr zu, kommt auch ein Vertreter des Generalbundesanwalts. Die Sicherheitsarchitektur des Bundes, so scheint es, wird kompakter. Die Chefs sind näher beieinander als früher, offenbar auch menschlich, wie hier und da zu hören ist. Die Bundesbehörden kooperieren stärker, nicht nur untereinander, sondern auch mit ihren Pendants in den Ländern, über Knotenpunkte wie GTAZ und GETZ. So gelingt es vielleicht, noch länger einem verheerenden islamistischen Anschlag vorzubeugen.

Der Text erscheint in der "Agenda" vom 24. November 2015 - einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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