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Eher zurückhaltende Experten: Die fünf Wirtschaftsweisen Peter Bofinger, Volker Wieland, Isabel Schnabel, Christoph Schmidt und Lars Feld (von links) präsentieren am Mittwoch ihr neues Gutachten.

© Alex Kraus, Montage: Tsp

Ökonomie: Die Strahlkraft der Wirtschaftsweisen verblasst

Einst hörte die ganze Nation auf ihren Rat. Heute müssen die Wirtschaftsweisen um Aufmerksamkeit kämpfen, wenn sie der Regierung ihre Expertise überreichen. Dabei gibt es Themen zuhauf.

Ob sie es wieder tut? Ein freundliches Gesicht aufsetzen, lächeln, Hände schütteln? Sagen, dass sie froh ist über die guten Ratschläge, dass man diese beherzigen werde? Nur, um sie anschließend auf den berüchtigten Ämter-Triathlon zu schicken: knicken, lochen, abheften?

So hat es Angela Merkel im vergangenen Jahr gemacht. Das neue Gutachten der fünf Wirtschaftsweisen komme „zu einem richtigen Zeitpunkt“, hatte sie gesagt, nachdem die Professoren es ihr in die Hand gedrückt hatten. Da war gerade der Koalitionsvertrag mit der SPD frisch unterschrieben. Und trotzdem kamen bald der Mindestlohn und die Renten-Geschenke. Ungeachtet der Warnungen der Ökonomen, die diese Pläne als „rückwärtsgewandt“ gegeißelt hatten, als gefährlich für das Wachstum.

Es wäre eine Überraschung, würde Merkel den Wirtschaftsweisen mehr Beachtung schenken, wenn sie ihr an diesem Mittwoch die neue Expertise überreichen. Der „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“, so sein sperriger Name, genießt längst nicht mehr das Renommee vergangener Tage. Seit seiner Gründung 1963 gilt der Kreis als das ordnungspolitische Gewissen der Nation. Heute hört nicht nur die Kanzlerin oft weg, wenn die Forscher reden.

Wirtschaftspolitik entscheidend mitgeprägt

Themen gibt es zuhauf, die ökonomischen Sachverstand verlangen: die Deflationsgefahr, den Plan der Notenbank EZB, Europa mit noch mehr Geld zu fluten, von der Konjunkturschwäche ganz zu schweigen. Zu all diesem melden sich täglich Dutzende zu Wort – Banken, Forschungsinstitute und Denkfabriken, auch aus dem Ausland. Rund 50 Adressen buhlen um die Aufmerksamkeit der Politik. Die Wirtschaftsweisen treten nur einmal im Jahr in Erscheinung, von gelegentlichen Sonderstudien abgesehen.

Dabei hat der Rat die Wirtschaftspolitik der Republik entscheidend mitgeprägt. In den siebziger Jahren geht die Abkehr vom Versuch, mittels staatlicher Ausgaben die Konjunktur zu steuern, auf ihn zurück, ebenso das Konzept, Lohnsteigerungen an die Produktivität zu koppeln. An der Schuldenbremse hatte der Rat entscheidenden Anteil, vor allem aber an der Agenda 2010. Das Jahresgutachten 2002 nutzte Gerhard Schröder ein Jahr später als Blaupause für seine Reformen.

So präsent waren die Weisen seither nie wieder. Verbunden ist der Erfolg vor allem mit Bert Rürup, damals Vorsitzender des Rates. Der selbstbewusste Essener, exzellent verdrahtet in der SPD, hatte ein Gespür für das Machbare. Heute ist er unzufrieden mit seinen Nachfolgern. „Mein Eindruck ist, dass in der Vergangenheit die Ansichten des Rates in den Medien präsenter waren.“

Ökonomensprech glätten und das Gutachten straffen

Derzeit sitzen in der Runde eher zurückhaltende Menschen. Da ist der Frankfurter Geldtheoretiker Volker Wieland, 48, der Essener Arbeitsmarkt-Experte Christoph Schmidt, 52, die Mainzer Finanzmarkt-Kennerin Isabel Schnabel, 43, als einzige Frau, der Würzburger Makro-Ökonom Peter Bofinger, 60, und der Freiburger Lars Feld, 48, der sich um öffentliche Finanzen kümmert. In den vergangenen Wochen haben sie in Wiesbaden ihr Gutachten fertiggestellt. „Von neun bis neun“, berichtet einer. „Das schlaucht.“ 1,7 Millionen Euro lässt sich die Regierung die Arbeit Jahr für Jahr kosten.

Immerhin, auch die fünf wissen, dass sich etwas ändern muss. Erstmals haben sie eine Pressesprecherin engagiert. Sie soll den Ökonomensprech glätten und das Gutachten straffen, das früher oft vor Wiederholungen strotzte und weit mehr als 600 Seiten füllte. Die neue Ausgabe wird kürzer und übersichtlicher.

Dass sich die Professoren abwägender äußern, hat auch mit dem Wandel ihres Fachs zu tun. Früher argumentierten die Weisen aus dem Bauch heraus. Heute stehen Wissenschaftler unter Druck, jede ihrer Thesen mit Forschungsergebnissen zu belegen. „Da scheuen sich viele, ein Gesetz als schwarz oder weiß einzuschätzen“, sagt der Präsident eines wichtigen Instituts. Ein anderer hält die Jugend der meisten Ratsmitglieder für ein Problem. „Die wollen alle noch was werden und hüten sich anzuecken.“

Negativ-Label „neoliberal“

Die Altvorderen hat das wenig gekümmert. Populär waren ihre Hinweise eigentlich nie. Vor „terroristischer Beeinflussung der Wähler“ warnte einst Franz-Josef Strauß. Als „Professorengeschwätz“ watschte Rot-Grün die Gutachten ab. Wäre es nach Konrad Adenauer gegangen, das Gremium hätte nie getagt. „Erhard, woll’n Se sich ’ne Laus in’n Pelz setzen?“, soll er seinen Wirtschaftsminister gefragt haben, als der den Rat gründen wollte. Die Skepsis von damals ist heute in offene Ablehnung umgeschlagen. Das liegt an der Finanzkrise. Fast niemand aus der Zunft hatte die Katastrophe kommen sehen – und nicht viele haben das seither zugegeben. So lastet dem Rat, vom Nachfrage-Theoretiker Bofinger abgesehen, das Negativ-Label „neoliberal“ an, was bedeutet: ewiggestrig, engstirnig.

Wird es die Weisen in ein paar Jahren noch geben? Reformvorschläge gibt es zuhauf. „Den Rat in seiner jetzigen Form halte ich für überflüssig, das Geld kann man sich sparen“, sagt Klaus Ernst, Vizechef der Linksfraktion im Bundestag. „Man müsste das Gremium umgestalten, so dass sich mehrere Denkrichtungen dort wiederfinden, damit auch Alternativen dargestellt werden.“

Ex-Chef Rürup will indes den Weisen Arbeit abnehmen – und die Konjunkturprognose streichen, die sowieso fast nie stimmt. „Das Gutachten wird medial oft auf eine einzige Zahl, das erwartete Wachstum, reduziert.“ Gustav Horn vom gewerkschaftsnahen Institut IMK will einen noch tieferen Schnitt. Er favorisiert das Modell der USA. Dort ist der Council of Economic Advisors viel enger an die Regierung angebunden – „das bedeutet mehr Einfluss, aber auch mehr Verantwortung“, sagt Horn.

Die Weisen würden noch gebraucht

Der Vorschlag ist umstritten. Michael Hüther, einst Generalsekretär des Rats und heute Chef des industrienahen Instituts IW, hält große Stücke auf die Unabhängigkeit der Forscher. „Es ist doch ein Pfund, dass die wirtschaftliche Lage einmal im Jahr in Breite und Tiefe analysiert wird“, sagt er. In den kommenden, wirtschaftlich eher schwierigen Jahren würden die Weisen noch gebraucht. „Da wird die Regierung froh sein, wenn sie ein Gremium hat, das kluge Analysen mit Tiefgang bietet.“

Wenn die Professoren am Mittwoch Angela Merkel treffen, wissen sie zumindest, dass früher nicht alles besser war. 1963, als die erste Expertise fertig war, quittierte noch der Pförtner Ludwig Erhards den Empfang. Da haben es die Nachfolger heute besser.

Dieser Text erschien in der "Agenda" vom 11. November 2014 - einer neuen Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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