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Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble.

© Kai-Uwe Heinrich

Politiker und Sprache: Wie eine gute Rede entsteht

Haushaltswoche im Bundestag – Zeit für große Reden. Aber wer schreibt sie eigentlich, und warum sind so viele politische Reden so schlecht?

Der Satz stellt scheinbar den gesamten Berufsstand infrage, dem Thomas Speckmann angehört. Selbst sein Dienstherr würde wohl kurz überrascht gucken. Aber der Leiter des Referats Reden und Texte von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), im Range eines Ministerialrats, hohe Stirn und kluge Augen, weiß genau, was er da sagt. „Sprache wird völlig überschätzt.“

Frank Brettschneider dagegen, Politik- und Kommunikationswissenschaftler, der deutsche Top-Dax-Unternehmen und auch Parteien beim Thema Redenschreiben berät, findet: „Der Stellenwert von Texten und Worten wird in der deutschen Politik massiv unterschätzt.“

Ja, was denn nun?

Die Ausgangslage ist jedenfalls kompliziert. Der Bundestag als traditioneller Ort der politischen Rede verliert an Bedeutung; auch das Gerhard-Schröder- Motto „Bild, Bams und Glotze“ funktioniert nicht mehr allein, weil immer mehr Leute sich ihre eigenen „Leitmedien“ suchen, definieren und nur das hören, was sie hören wollen. Der kollektive Fundus, gemeinsames Wissen über politische Reden, schrumpft. Dazu trägt auch der Algorithmus in den sozialen Medien bei, dem sich die User meist gedankenlos unterwerfen.

Auf jeden Fall, das sieht Speckmann so wie Brettschneider, wird es schwieriger, mit einer Botschaft durchzudringen. Was soll der Redenschreiber, den man sich gern so schön romantisch vorstellt, als säße er noch immer in seiner kleinen Schreibstube und halte eine Tintenfeder in der Hand, denn da machen?

Jetzt schmunzelt Thomas Speckmann, und man muss ihm endlich auch die Gelegenheit geben, seinen Eingangssatz zu erklären: Er will davor warnen, zu glauben, dass Sprache allein die Wirkung von Politik bestimmen könne. Gerade auch für Politiker in Deutschland sei dies gefährlich. Speckmann sagt: „Am Ende geht es immer um die Bilanz. Können Sie halten, was Sie versprechen?“

Starke Sätze, spektakuläre Begriffe, das ist Speckmanns Erfahrung, funktionieren in Deutschland eher weniger gut. Worauf es stattdessen ankomme, sei: „Präzision!“ Speckmann sagt: „Es gibt ein großes Bedürfnis in Deutschland nach genauer Erklärung und nach Klarheit.“

An dieser Stelle treffen sich Speckmanns und Brettschneiders Ansichten und bilden keinen Widerspruch mehr. Denn wenn man sich, was Brettschneider in der Politik beobachtet, immer weniger um Worte und ihre Bedeutung kümmert, dann fehlt es am Ende an Präzision und Wirkung. Brettschneiders aktuelles Lieblingsbeispiel ist Angela Merkels Satz zur Flüchtlingspolitik: „Wir schaffen das.“ Der Professor sagt: „Es fehlte die Konkretisierung.“ Somit war die Rede eine Steilvorlage für Kritiker.

Aber das Merkel-Beispiel zeigt auch etwas anderes: Dass in unsicheren Zeiten der Umgang mit Sprache enormes Bewusstsein verlangt. Der Verband der Redenschreiber deutscher Sprache (VDRDS) hat, ähnlich wie Brettschneider, eine eher ernüchternde Sicht auf die deutsche Politikersprache. Jacqueline Schäfer, Präsidentin des Verbands, findet, dass viel zu viele Abgeordnete ihre Reden selbst schreiben. Sie klagt: „Als Verband, der sich für eine bessere Reden- und Debattenkultur einsetzt, bedauern wir es sehr, dass die Rede selten als intellektuelles dramaturgisches Werk angesehen wird, mit dem zwar zur Sache, aber vor allem zu Menschen gesprochen werden soll.“ Brettschneider stellte fest, dass Politik oft ausschließlich als Gremienarbeit in der Partei gesehen wird. „Man braucht Gremien, die einen wählen. Da wird Sprache abgeschliffen, wird floskel- und phrasenhaft.“

Thomas Speckmann, promovierter Historiker und Politologe, ist der Leiter des Referats Reden und Texte beim Bundesfinanzminister. Er sagt: "Sprache wird völlig unterschätzt." Wie er das meint? Bitte den Text lesen...
Thomas Speckmann, promovierter Historiker und Politologe, ist der Leiter des Referats Reden und Texte beim Bundesfinanzminister. Er sagt: "Sprache wird völlig unterschätzt." Wie er das meint? Bitte den Text lesen...

© promo

Dass es für einen wie Wolfgang Schäuble leichter ist, gehört zu werden, als für einen normalen Abgeordneten, ist schon klar. Thomas Speckmann, promovierter Historiker und Politologe, hat trotzdem Hürden zu überwinden, damit aus einer Rede auch eine Botschaft werden kann. Eine Kunst besteht darin, die Rede zu multiplizieren, ihre Botschaft auf vielen Kanälen zu verbreiten. Ist die Botschaft gut, funktioniert sie überall – gedruckt wie digital. In kurzer wie langer Version. Im Fernsehen wie auf Twitter.

Früher hat Helmut Schmidt seine Redenschreiber angewiesen, den Applaus mitzustoppen. War er zu kurz, wurde die jeweilige Passage geändert. Heute reicht das nicht mehr. Es ist nicht nur wichtig, welche Botschaft gesendet wird, sondern auch, warum man sie sendet. Auch das ist eine Aufgabe Speckmanns, der sich als Kommunikator versteht, eine Rede vorher oder hinterher mit Multiplikatoren zu besprechen, um Motive zu erklären.

Die Königsdisziplin für einen Redenschreiber ist die lange, ausformulierte Rede. Ein Beispiel dafür ist die jährliche Rede zur Aussprache über den Bundeshaushalt. Sie ist für Schäuble quasi seine „State of the Union“-Rede. Sie entsteht – wie alle seine Reden und Texte – im Wechselspiel zwischen ihm und seinen Mitarbeitern. Da sind die Fachleute einzelner Fachabteilungen seines Ministeriums und da ist sein Stab Strategie und Kommunikation mit dem Redenschreiber-Team. Gemeinsam entwickeln sie die grundlegenden Inhalte und Botschaften. Daraus entsteht eine Skizze der Rede, die Speckmann mit dem Minister bespricht.

Dadurch können frühzeitig die Kommunikationsstrategie, die harten politischen Passagen und Aussagen festgelegt werden. Erst danach beginnt das Schreiben der Rede. Das ist die Übersetzung von fachlichen Inhalten in eine Sprache, die von der jeweiligen Zielgruppe verstanden werden soll – Speckmann nennt es politische Kommunikation in Form von Reden und Texten.

Der ehemalige Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Martin Biesel, war einer der engsten Vertrauten des verstorbenen FDP-Politikers Guido Westerwelle.
Der ehemalige Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Martin Biesel, war einer der engsten Vertrauten des verstorbenen FDP-Politikers Guido Westerwelle.

© dpa

Schäuble ist längst seine eigene Marke, er kann sich erlauben, den engen Rahmen seines Ministeramts zu erweitern. Exemplarisch dafür steht die letzte Haushaltsrede zur Einbringung des Regierungsentwurfs zum Bundeshaushalt 2017 am 6. September. Schäuble und sein Team wussten: Es herrscht eine paradoxe Situation in Deutschland. Viele Wirtschaftsdaten sind sehr gut, aber sehr viele Leute empfinden die deutsche Politik als schlecht. Ausdruck dieser Gefühlslage sind die Wahlerfolge der AfD. Und so bettet Schäuble seine Haushaltsrede ein in eine genaue Skizze zur Lage der Nation. Gefühl und Fakten wechseln sich ab. Erst danach folgt die eigentliche „Fachrede“ zum Thema Haushalt.

Im Einführungsteil ist die Rede sehr direkt und anschaulich. Sie beschreibt die Gefahr („eine Zeit für Demagogen“), fordert klare Haltung („muss demokratische Politik Chancen eröffnen“), und sie ist schonungslos („Es hilft alles nichts: Unser Land verändert sich“). Die Rede ist aufgebaut wie ein Plädoyer, eine präzise Beweisführung mit der Botschaft, dass Deutschland trotz des Wandels Stabilität und Sicherheit erhalten kann.

Aber was tun, wenn man gar nicht regiert, sondern in der Opposition sitzt?

Martin Biesel sitzt in einem Café am Gendarmenmarkt, trinkt Tee aus einem großen Glas und sagt: „In der Opposition müssen Sie das anders machen.“ Biesel arbeitete, mit Unterbrechungen in der Privatwirtschaft, mehr als 13 Jahre in verschiedenen hochrangigen Funktionen für den ehemaligen FDP-Vorsitzenden und Außenminister Guido Westerwelle, zuletzt als Staatssekretär im Auswärtigen Amt. Er war einer seiner engsten Vertrauten und oft auch sein Redenschreiber.

Für Westerwelle, sagt Biesel, „waren Begriffe Waffen“. Und er hat sie eingesetzt, auch wenn er wusste, dass seine Worte ihm negativ ausgelegt werden könnten. Speckmann würde so etwas nur in Ausnahmesituationen gutheißen. Westerwelle war Sprache so wichtig wie Schäuble, nur hat er sie anders eingebracht. Schäuble kann begründen, seine Reden sind plausibel. Westerwelle konnte labeln, er war ein Begriffsakrobat, seine Reden waren bewusste Attacken.

Der verstorbene ehemalige FDP-Vorsitzende und Bundesaußenminister Guido Westerwelle war einer der besten Redner in der Politik. Sprache war für ihn immer auch eine Waffe, die er einzusetzen wusste.
Der verstorbene ehemalige FDP-Vorsitzende und Bundesaußenminister Guido Westerwelle war einer der besten Redner in der Politik. Sprache war für ihn immer auch eine Waffe, die er einzusetzen wusste.

© picture alliance / dpa

Für Biesel manifestiert sich Politik „im Sammelsurium bestimmter Gruppen“, deshalb seien besondere Begriffe besonders wichtig. Mit einem strategischen Begriff lasse sich eine Gruppe klar definieren. „Vergessene Mitte“ war so ein Begriff, den die FDP immer wieder einsetzte und versuchte, die Botschaft abzuleiten und stets neu zu variieren, etwa mit dem Satz: „Wer arbeitet, muss mehr haben als die, die nicht arbeiten.“

Westerwelle war immer besonders wichtig: „Stay on your message!“ Er hatte keine Angst vor Pathos, er ging immer volles Risiko, was er sich später als Außenminister erst wieder abtrainieren musste. Biesel erklärt es so: „Es war seine Überzeugung, dass seine Partei medial größer erscheinen musste, deshalb hat er überspitzt nach dem Motto: Wer stillsteht, tritt niemandem auf die Füße.“

Vielleicht ist das die entscheidende Frage: Muss Sprache eskalieren, damit sie wahrgenommen wird? Frank Brettschneider ist egal, wie man die Frage beantwortet. „Hauptsache, Politik denkt überhaupt darüber nach.“

Der Text erschien in "Agenda" vom 22. November 2016, einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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