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Risiko für R2G: Im roten Bereich

Seit Monaten versuchen Parlamentarier von SPD, Grünen und Linkspartei, eine rot-rot-grüne Koalition im Bund vorzubereiten. Der Einzug linker Hardliner in den Bundestag könnte das Projekt allerdings gefährden.

Hypothetische Fragen findet Sevim Dagdelen eigentlich überflüssig. Für „nicht realistisch“ hält die Linken-Abgeordnete ein rot-rot-grünes Bündnis 2017 im Bund. Selbst wenn man einmal annähme – hypothetisch –, dass es nach der Wahl für eine Mehrheit reichte. Selbst dann glaubt Dagdelen nicht an eine Einigung mit dem möglichen Koalitionspartner SPD in Sachen Außenpolitik. Ihre Stichworte: Rüstung, Nato, Auslandseinsätze. Der Abzug aller Bundeswehrsoldaten aus dem Ausland ist für sie Bedingung für eine Koalition – da sieht sie keinen Spielraum für Kompromisse.

"Wir brauchen deutlich mehr linke Realos"

Die 41-Jährige sitzt teetrinkend im Abgeordnetenrestaurant des Bundestages, über ihr die riesigen kreisförmigen Kronleuchter. Dagdelen gehört zum linken Flügel der Linken. Sie ist in ihrer Partei eines der bekannteren Gesichter, zuständig für Außenpolitik. Und wegen ihrer strikten Positionen in diesem Bereich eine derjenigen, die es einem rot-rot-grünen Bündnis schwer machen würden.

SPD und Grüne beobachten deshalb genau, wer für die Linke in den Bundestag einziehen soll. Pragmatische Realpolitiker, die zu Kompromissen bereit sind – oder Dogmatiker, die von ihren Standpunkten nicht abweichen wollen. Die Zahl der Hardliner in der 64 Mitglieder zählenden Linksfraktion wird derzeit auf rund 20 geschätzt. Zu viele, urteilt der Grünen-Bundestagsabgeordnete Dieter Janecek. „Wenn Rot-Grün-Rot echte Chancen haben soll, brauchen wir deutlich mehr linke Realos, sonst wird das nix.“

"Es ist wichtig, dass die Linken regierungsfähig sind"

Janecek nimmt an den regelmäßigen Treffen im Bundestag teil, bei denen Abgeordnete von Grünen, Linken und Sozialdemokraten die Grundlagen für ein Linksbündnis legen wollen. Zum ersten „Trialog“ – so nennt sich das Format – kamen im Oktober etwa 100 Parlamentarier. Zu der für diesen Dienstag geplanten Zusammenkunft wurden Ex-EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) und Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) erwartet; allerdings musste Schulz das Treffen am Montag aus Termingründen verschieben.

Parteiprominenz bei den R2G-Gesprächen – für viele sind das wichtige Signale. Doch auch SPD-Fraktionsvize Axel Schäfer, einer der Organisatoren, weiß: „Es ist wichtig, dass die nominierten Bundestagskandidaten der Linken auch regierungsfähig sind.“

Die Westverbände sind radikaler als die im Osten

Wer also wird nach September 2017 für die Linken im Bundestag sitzen?

Zum Risiko für R2G könnten vor allem die Kandidaten aus den Landesverbänden im Westen werden. Hier sind die Linken traditionell radikaler als im Osten, wo sich die frühere PDS als Volkspartei begreift. Bislang haben lediglich die Linken in Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz ihre Listen für die Bundestagswahl aufgestellt. Die größeren Landesverbände Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen legen ihre Listen erst Ende Januar beziehungsweise Ende Februar fest. Dennoch lässt sich bereits jetzt einiges darüber sagen, welche umstrittenen Abgeordneten wieder kandidieren, wer aus dem Bundestag ausscheidet – und welche neuen Kandidaten sich wahrscheinlich auf den Listen finden werden.

Für viele eine wandelnde Provokation

Dagdelen etwa, die bei der Bundestagswahl 2013 auf Platz fünf der Landesliste der NRW-Linken stand, hat gute Chancen, 2017 wieder in den Bundestag einzuziehen. Für viele Grüne und Sozialdemokraten ist die Abgeordnete aus Duisburg eine wandelnde Provokation, etwa wegen ihrer strikten Pro-Putin-Haltung in der Ukraine-Krise. Als der Bundestag im Juni 2014 gerade über die Krimkrise debattierte, bezeichnete sie die Grünen- Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt im Plenum indirekt als Verbrecherin. Später kritisierte sie auf einer Friedensdemonstration mehrere Fraktionskollegen, weil diese für eine UN-Mission in Syrien geworben hatten. 2015 sollte sie eigentlich Stellvertreterin von Fraktionschefin Sahra Wagenknecht werden – doch es gab großen Widerstand aus dem Reformerflügel der eigenen Partei.

„Jede Fraktion hat Leute mit anderen Meinungen. Das ist auch legitim, den Zoff müssen wir aushalten“, sagt der Linken-Abgeordnete Jan Korte, der dem Reformerflügel angehört. Dass Sahra Wagenknecht als Vertreterin der Parteilinken und Dietmar Bartsch für den Reformerflügel an der Spitze zusammenarbeiten, erhöhe die Chancen für ein Gelingen des Projekts, sagt Korte. Aber: „Wenn wir alle Punkte in unserem Parteiprogramm zur Bedingung erklären, wird es real schwierig.“

Die Zahl der Hardliner wird wohl nicht kleiner

Dass Kompromisse vor allem bei der Außenpolitik schwierig werden, glaubt auch der Grüne Janecek. Sein Eindruck ist, dass „aktuell 30 bis 40 Prozent der Mitglieder der Linksfraktion gerade in außenpolitischen Fragen keine zuverlässigen Partner zum Regieren sind“. Bei den Themen EU, Nato und Verhältnis zu Russland gelten neben Dagdelen auch viele andere Parteilinke als Hardliner. Besonders um die Kernforderung der Linken, dass sich die Bundeswehr nicht mehr an Auslandseinsätzen beteiligen sollte, dürfte es Streit geben. Ein Abzug der Bundeswehr aus allen Auslandseinsätzen und ein Verzicht auf neue Missionen wird mit Grünen und SPD nicht zu machen sein.

"Gegen die Kriegstreiber auf der Sicherheitskonferenz"

Genau das fordert aber zum Beispiel Alexander Neu, der Obmann der Linken im Verteidigungsausschuss. Auch er ist umstritten und auch er hat gute Chancen, über die nordrhein-westfälische Landesliste 2017 wieder in den Bundestag einzuziehen. Bei seiner ersten Rede im Plenum wetterte er 2014 gegen die Präventivkriege, die Deutschland führen wolle, und sprach von einem „Ermächtigungsgesetz“. Er erntete empörte Zurufe und eine Ermahnung der Bundestagsvizepräsidentin Edelgard Bulmahn (SPD). Vor Beginn der Münchner Sicherheitskonferenz 2015 rief er in einem YouTube-Video zu einer Demonstration „gegen die Kriegstreiber auf der Sicherheitskonferenz“ auf, an der er selbst teilnahm. Die Organisatoren reagierten ungehalten, wohnte er doch „auf Staatskosten“ im Fünfsternehotel.

Mehrere Abgeordnete der Fraktion sind außerdem Mitglied des trotzkistischen Netzwerks Marx 21. Dieses vertrete die Überzeugung, „dass wir als Sozialisten im Kapitalismus nicht regieren sollen“, sagt Stefan Liebich, der als Mitglied des Reformerflügels der Linken die Gespräche zu R2G vorantreibt. „Ich schließe trotzdem nicht aus, dass man auch Abgeordnete dieser Gruppe für eine Regierungsbeteiligung gewinnen kann.“ Zu den Marx-21-Vertretern in der Fraktion gehören Hubertus Zdebel aus NRW, Christine Buchholz aus Hessen und Nicole Gohlke aus Bayern. Alle drei wollen wieder für den Bundestag kandidieren und werden den Einzug wohl auch schaffen.

Buchholz zog 2014 mit einer Aktion auf ihrer Facebook-Seite heftige Kritik auf sich. Die Bundestagsabgeordnete veröffentlichte ein Foto von sich und einem Transparent mit der Aufschrift „Solidarität mit dem Widerstand in Kobane! US-Bombardement stoppen!“ – dabei hatten sich die kurdischen Kämpfer in Syrien ausdrücklich Unterstützung gegen den vorrückenden IS gewünscht.

Auch die Sozialpolitik kann zum Problem werden

Andere Abgeordnete, um die es in der Vergangenheit Diskussionen gab, werden 2017 nicht wieder antreten. Dazu gehören etwa Inge Höger, Annette Groth und Wolfgang Gehrcke.

Trotzdem wird die Zahl derer, die für R2G zum Problem werden können, im nächsten Parlament kaum abnehmen. Neu in den Bundestag will beispielsweise der stellvertretende Parteivorsitzende Tobias Pflüger, der 2013 knapp gescheitert war. In Baden-Württemberg will er für Platz vier auf der Landesliste kandidieren. Er ist Mitglied der antikapitalistischen Linken und sagt: „Alle Auslandseinsätze der Bundeswehr müssen beendet werden.“ In NRW will auch Sylvia Gabelmann kandidieren. Sie ist Mitglied im geschäftsführenden Vorstand und wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Alexander Neu. Sie sagt: „Ich wehre mich entschieden gegen jede Aufweichung unserer Position in Bezug auf Auslandseinsätze der Bundeswehr.“

Scheitern kann Rot-Rot-Grün aber nicht nur an strikten Positionen in der Außenpolitik, sondern auch an einem zweiten Knackpunkt für die Linke: der Sozialpolitik. Über die wird bei den rot-rot-grünen Runden im Bundestag ebenfalls diskutiert. Nicole Gohlke – als Marx-21-Abgeordnete eine ausgewiesene Kritikerin der Regierungsbeteiligung – hat das Gefühl, dass sich SPD und Grüne in der Sozialpolitik nicht genügend auf die Linke zubewegen. „Dass an den Hartz-Sanktionen gerüttelt werden soll, sagt die SPD zum Beispiel nicht“, bemängelt sie. „Und bei der Rente liegen wir mit den Grünen weit auseinander, was Einstiegsalter und Finanzierung anbelangt.“ Kompromisse würden vor allem von der Linken verlangt. Doch nur, wenn Rot-Rot-Grün einen „wirklichen Politikwechsel“ möglich macht, würde Gohlke das Projekt unterstützen.

Sevim Dagdelen hingegen scheint mit R2G bereits abgeschlossen zu haben: „Ich befürchte, dass es mithilfe der SPD nach der Bundestagswahl wieder eine große Koalition geben wird.“

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