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Die katholischen Bischöfe könnten sich einen Thinktank für die Kirche vorstellen.

© dpa

Task Force für Berlin: Katholische Kirche will "intellektuelle Schlagkraft" in der Hauptstadt erhöhen

Berlin als Bühne und Labor: Im Jahr 2016 will die Katholische Kirche ein Konzept für mehr Präsenz in der Hauptstadt vorlegen. Das Ziel: mehr Einfluss in gesellschaftlichen Debatten.

Vor 15 Jahren scheiterte der Umzug an einer Stimme. Damals wollten die katholischen Bischöfe den Sitz der Deutschen Bischofskonferenz von Bonn nach Berlin verlegen. Doch der damalige Kölner Kardinal Joachim Meisner hatte die Metropole aus seiner Zeit als Berliner Erzbischof in schlechter Erinnerung und verhinderte bei der Abstimmung die Zweidrittelmehrheit. Das Sekretariat der Bischofskonferenz mit seinen gut 130 Mitarbeitern blieb in Bonn.

Kardinal Rainer Maria Woelki mag Berlin

Kardinal Meisner ist im Ruhestand. Kardinal Rainer Maria Woelki, sein Nachfolger in Köln, mag Berlin. Von 2011 bis 2014 war er Erzbischof an der Spree und hat in diesen Jahren persönlich, politisch und religiös viel dazugelernt. Er und andere wichtige katholische Bischöfe halten Berlin für ein gesellschaftspolitisches Labor. Was sich hier entwickelt, was hier gedacht, philosophiert und in intellektuellen Kreisen diskutiert wird, sei zukunftweisend für die gesamte Republik. Da müsse sich die katholische Kirche einbringen, und zwar viel stärker als bisher.

So sieht das auch der machtbewusste Münchner Kardinal Reinhard Marx, der Vorsitzende der Bischofskonferenz. Eine hochrangig besetzte Arbeitsgruppe soll bis Ende 2016 ein Konzept ausarbeiten, wie die katholische Kirche in Berlin sichtbarer werden und mehr "intellektuelle Schlagkraft" erreichen könnte.

Zur Task Force gehören neben den Kardinälen Woelki und Marx der Mainzer Kardinal Karl Lehmann, die Bischöfe Franz-Josef Overbeck (Essen), Heinrich Mussinghoff (Aachen) und Norbert Trelle (Hildesheim). Auch der Augsburger Weihbischof Anton Losinger, Mitglied im Deutschen Ethikrat, arbeitet in dem neuen Gremium mit. Diözesanadministrator Tobias Przytarski vertritt das Berliner Erzbistum.

Das Berliner Erzbistum ist personell und finanziell nicht üppig ausgestattet

Neun Prozent der Berliner sind katholisch, mehr als 325.000 Menschen. Berlin dürfte die drittgrößte katholische Stadt in Deutschland sein – nach Köln und München. Doch das Berliner Erzbistum ist personell und finanziell nicht gerade üppig ausgestattet. Seit 15 Jahren verstärkt das Katholische Büro mit Prälat Karl Jüsten an der Spitze das Engagement der katholischen Kirche in Berlin. Jüsten und seine sechs Mitarbeiter sind die obersten politischen Lobbyisten und vertreten die Interessen der Bischofskonferenz bei der Bundesregierung und beim Bundestag.

Die 1990 gegründete Katholische Akademie in Mitte versucht, die katholische Perspektive in die kulturellen und intellektuellen Debatten einzubringen. Dazu kommt eine Handvoll katholische Theologen an den Universitäten. "Das reicht nicht", heißt es in der Bischofskonferenz. "Wir können personell nicht mal die vielen Empfänge abdecken, die es jeden Tag in Berlin gibt", sagt der Sprecher des Berliner Erzbistums.

Auch die Laienvertretung hält die Kirche für zu dünn aufgestellt

"Wir sind zu dünn aufgestellt", sagt auch Wolfgang Klose, Vorsitzender des Berliner Diözesanrats, die Vertretung der Berliner Katholiken. Selbst er werde bisweilen angefragt, ob er eine Stellungnahme im Namen der Kirche abgeben könne, sagt Klose. Könne er nicht, er sei ja Vertreter der Laien. Klose und seine Vorstandskollegen aus dem Diözesanrat begrüßen, dass sich die Bischofskonferenz hier mehr einbringen will.

Den Bischöfen schwebt die Gründung eines Wissenschaftschaftskollegs vor, eines katholischen Thinktanks mitten in der Hauptstadt. Geprüft wird, ob die Anbindung einer solchen Einrichtung an die Hochschulen des Jesuitenordens in Frankfurt am Main und in München hilfreich wäre. Katholische Intellektuelle aus aller Welt könnten nach Berlin kommen, sich in ethischen Fragen zu Wort melden und gesellschaftliche Debatten anstoßen. Sie könnten zusammen mit den deutschen Bischöfen die katholische Soziallehre an die heutige Zeit anpassen und ihr zu neuem Glanz verhelfen. Die katholische Kirche ist auf allen Kontinenten aktiv. Auch diese außenpolitische Expertise will man einbringen.

Idee eines katholischen Thinktanks

Das Zentrum der intellektuellen Offensive könnten die Hedwigskathedrale und das Bernhard-Lichtenberg-Haus sein – gegenüber von der Humboldt-Universität und in unmittelbarer Nachbarschaft zur geplanten Barenboim-Said-Akademie der Staatsoper. Das Erzbistum will die Kathedrale umgestalten, die Pläne sind jedoch unter Berlins Katholiken und unter den Denkmalschützern in Deutschland umstritten. Die Bischofskonferenz befürwortet den Umbau und würde sich wohl auch finanziell daran beteiligen.

Eine Umstrukturierung braucht Zeit

Die letzte Entscheidung über die Neugestaltung der Kathedrale liegt beim neuen Berliner Erzbischof. Doch wer das sein wird, weiß noch niemand. Es heißt, der Vatikan wolle noch vor den Berliner Sommerferien einen neuen Mann ernennen. Möglicherweise fällt die Wahl auf einen der Bischöfe, die an der neuen katholischen Berlin-Offensive mitarbeiten – zum Beispiel auf den Essener Bischof Franz-Josef Overbeck oder den Augsburger Weihbischof Anton Losinger. Wer auch immer die Berliner Bischofsmütze tragen wird – so viel steht fest: Nur wenn das Erzbistum mitzieht, wird sich die katholische Präsenz hier stärken lassen.

Der Umbau von St. Hedwig und die Einrichtung eines katholischen Thinktanks lassen sich nicht von heute auf morgen realisieren. Die Bischofskonferenz spricht von einer Perspektive von zehn bis 15 Jahren. Wenn ein schlüssiges Konzept für einen katholischen Auftritt in Berlin vorliegt, wäre auch ein Umzug des Sekretariats der Bischofskonferenz denkbar.

Ein Umzug in die Hauptstadt könnte einen Sog auslösen

Würde das Gremium seinen Sitz in die Hauptstadt verlegen, könnte das einen Sog auslösen. Auch im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) kann man sich gut vorstellen, nach Berlin zu wechseln. Das ZdK und viele katholische Verbände haben ihren Sitz im Rheinland. Nach 1999 war das ZdK schon einmal für eine kurze Zeit mit zwei Mitarbeitern in Berlin vertreten. Das Büro wurde geschlossen, als die katholischen Bistümer ab 2003 in finanzielle Schwierigkeiten gerieten und sparen mussten.

Die beiden Amtskirchen haben in Berlin Konkurrenz

Im Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Hannover beobachtet man die Überlegungen der katholischen Kollegen mit Interesse – und noch mit Gelassenheit. Mehr als eine Million Protestanten gibt es in Berlin und weitaus mehr evangelische als katholische Kirchengemeinden. Die Evangelische Akademie residiert prominent am Gendarmenmarkt. Dort haben auch Prälat Martin Dutzmann und sein neunköpfiges Team als politische Lobbyisten ihre Büros.

Mehr Zentralisierung in Berlin müsse nicht sein, sagen viele Protestanten

Die evangelische Kunst-Stiftung St. Matthäus ist gut vernetzt in der Kunstszene, und es gibt die (momentan vakante) Stelle eines eigenen EKD-Kulturbeauftragten. Vor drei Jahren erst sind die Diakonie, der Evangelische Entwicklungsdienst und das Hilfswerk Brot für die Welt von Bonn und Stuttgart nach Berlin gezogen.

Mehr Zentralisierung in Berlin müsse nicht sein, sagen viele Protestanten und erinnern an die unheilvolle Allianz von Thron und Altar im preußischen Berlin. Außerdem ist das föderale Element im evangelischen Kirchenverständnis sehr stark. Die evangelischen Landeskirchen sind viel selbstständiger als die katholischen Bistümer; das Kirchenamt in Hannover hat mehr bündelnde als steuernde Funktion. 2005 wurde aber auch in Hannover über einen Umzug der 290 Mitarbeiter nach Berlin nachgedacht. Eine klare Mehrheit stimmte dagegen. "Wenn die Katholiken tatsächlich in Berlin die große Welle machen, dann geht bestimmt auch bei uns die Debatte von Neuem los", sagt ein hochrangiger Mitarbeiter im Kirchenamt.

Freikirchen und die evangelikalen Christen machen Konkurrenz

Neuerdings machen auch die Freikirchen und die evangelikalen Christen den beiden Amtskirchen in Berlin Konkurrenz. Seit 2007 vertritt der Baptisten-Pastor Peter Jörgensen die Interessen der Freikirchen mit ihren 330.000 Mitgliedern bei der Bundesregierung und beim Bundestag. Seit einem Jahr ist zusätzlich Wolfgang Baake von der Evangelischen Allianz am Start. Die Allianz ist ein Netzwerk von Einzelpersonen. Der Trägerverein hat nach eigenen Angaben 60 Mitglieder, die mit 1000 örtlichen Gruppen in Verbindung stehen. Die katholische und die evangelische Kirche haben zusammen 48,5 Millionen Mitglieder.

Sie vertreten konservativere und rigorosere Positionen als die Amtskirchen

Die Freikirchen und besonders die evangelikalen Christen unter ihnen vertreten konservativere und rigorosere Positionen als die Amtskirchen, die in Jahrzehnten politischer Arbeit gelernt haben, dass es oft besser ist, Kompromisse zu schließen, als auf unvermittelbaren Positionen zu beharren. Die Evangelikalen stoßen vor allem bei der CDU/CSU und besonders bei Fraktionschef Volker Kauder auf offene Ohren.

Die Amtskirchen betrachten mit Sorge, dass immer mehr Kirchenvertreter um die Aufmerksamkeit der Abgeordneten im Bundestag kämpfen. Sie fürchten, dass sich kirchliche Positionen schwerer durchsetzen lassen, wenn die Christen nicht an einem Strang ziehen. "Es gibt eben unterschiedliche Nuancen bei den Christen", sagt Hartmut Steeb, der Generalsekretär der Evangelischen Allianz. "Warum sollen sie nicht zum Ausdruck kommen?" Und außerdem: Vielfalt belebe das Geschäft.

Der Text findet sich in der "Agenda" vom 12. Mai 2015 - einer neuen Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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