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Top Secret im Parlament

© Zeichnung: Klaus Stuttmann

Transparenz: Wie der Bundestag sein Wissen für sich behält

Die Wissenschaftlichen Dienste sind die Denkfabrik des Parlaments, ihre Gutachten stehen bislang exklusiv den Abgeordneten zur Verfügung. Allerdings hat auch die Öffentlichkeit Interesse an der Expertise. Ob die Dokumente so geheim bleiben müssen, wie sie sind, entscheiden jetzt Gerichte.

Wenn Abgeordnete nicht mehr weiterwissen, Google erfolglos befragt und die Bundestagsbibliothek ausgereizt wurde, verfügen die Parlamentarier noch über eine Informationsquelle, die Bürgern ohne Mandat verschlossen ist. Die „Wissenschaftlichen Dienste“ (WD) sind der Thinktank, die Denkfabrik der Volksvertreter. Einst tatsächlich entstanden aus der Parlamentsbibliothek, arbeiten hier rund hundert Hochqualifizierte, viele Juristen, die Sachwissen aus Politik, Recht und Gesellschaft parlamentsgerecht aufbereiten. Gedacht ist das Ganze als eigenes Schwergewicht zum Informationsüberhang der Regierung, die ja kontrolliert werden soll. Dort sitzen schließlich Tausende von Experten mit ähnlicher Bildung. So sind die Wissenschaftlichen Dienste denn auch in zehn Fachbereiche aufgeteilt, die sich am Zuschnitt der Ministerien orientieren. Es gilt, dagegenzuhalten.

Abgeordnete genießen ein Privileg. Sie fragen die WD, die WD müssen antworten, im Jahr rund 2000-mal. Nicht allgemein, sondern konkret auf ihre Fragen. Was man sich von Google immer wünschen würde. Schriftlich oder mündlich. Nichts ist zu fernliegend, nur: Auf das Mandat muss es bezogen sein. Ein Abgeordneter, der sich über Kommunalprobleme in seinem Wahlkreis schlaumacht, verstößt gegen die Regeln.

Bundespolitik pur also, nur ohne den üblichen Meinungseinschlag. Die WD sind zu strikter parteipolitischer Neutralität verpflichtet. Das macht ihre Gutachten so interessant und für die Fragesteller wertvoll. Nur für die Fragesteller? Seit Jahren geht ein Streit darum, für wen die Gutachten da sein sollen. Nur für die, die sie bestellt haben? Oder auch für die Bürgern, immerhin jene, die sie bezahlen?

Gauck soll keine "Nebenaußenpolitik" betreiben, fordern die Fachleute

Interessant sind die Ausarbeitungen auf jeden Fall. Häufiger gelangen sie sogar in die Schlagzeilen. Ein Gutachten etwa bescheinigte den Mautplänen von Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU), gegen EU-Recht zu verstoßen. Sogar der Bundespräsident bezog schon fachliche Prügel, man riet ihm, eine „Nebenaußenpolitik“ doch besser zu vermeiden, denn die sei nicht seines Amtes. Es liegt auf der Hand, wer solche Expertise verbreiten lässt: der politische Gegner. Entweder aus dem anderen Lager, mitunter aber auch der aus dem eigenen, dem ein Vorhaben seiner Kollegen gegen den Strich geht.

Große Aufmerksamkeit erhielten die WD, als der Doktortäuscher Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) enttarnt wurde und seine seitenweise abgeschriebene Dissertation auch Texte aus WD-Gutachten enthielt, die der frühere Wirtschafts- und Verteidigungsminister als eigene Erkenntnis ausgab. Seitdem hält sich der Verdacht, dass Volksvertreter mitunter das Wissen für private Zwecke nutzen. Der Guttenberg-Fall war es auch, an dem sich der Streit um die Öffentlichkeit entzündete. 2012 hatte jemand versucht, sich die vollständigen für das Plagiat genutzten Unterlagen zu beschaffen. Sein Hebel war das Informationsfreiheitsgesetz (IFG), das jedem Bürger das Recht auf Zugang zu amtlichen Informationen einräumt. Die Bundestagsverwaltung wehrte ab, wie sie es bis heute tut. Das IFG sei ein Gesetz für die Bürger, um Behörden zu kontrollieren, nicht aber das Parlament. Das Verwaltungsgericht sah das in erster Instanz anders. Die Arbeit der WD sei keine Parlamentstätigkeit, sondern Behördenarbeit für das Parlament. In der Berufung schwenkte das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg auf die Bundestagslinie ein. Die Wissensdienste gehörten zum „Bereich der Wahrnehmung parlamentarischer Angelegenheiten“. Das IFG sei als Transparenzgesetz für Behörden in diesem Fall nicht anwendbar.

Richter sehen Informationsbeschaffung der Parlamentarier als Teil ihrer Mandatsfreiheit

Das klingt nach juristischer Spitzfindigkeit, macht aber den Unterschied, ob die WD für das Volk da sein sollen oder nur für die, die es vertreten. Ein klärungsbedürftiger Unterschied. Deshalb entschied sich der Tagesspiegel, den Fall erneut vor Gericht zu bringen, diesmal allerdings mit einer anderen Rechtsgrundlage, der von der Verfassung gewährleisteten Freiheit der Presse. Denn der sogenannte verfassungsunmittelbare Auskunftsanspruch der Presse gegen Bundesbehörden ist umfassender, zudem ein echtes Grundrecht, anders als das IFG, das nur ein „einfaches“, vom Bundestag erlassenes Gesetz ist. Es zielt auf Auskunft darüber ab, was eine Behörde alles weiß, unabhängig davon, ob sie dieses Wissen im Rahmen ihrer Verwaltungsfunktion erlangt hat oder nicht.

Doch auch hier wehrte die Bundestagsverwaltung ab und wurde jetzt vom OVG bestätigt. Einen Eilantrag, der auf Gutachten zu Chancen und Risiken des laufenden NPD-Verbotsverfahrens zielte, wiesen die Richter Ende April ab (OVG 6 S 67.14). Entsprechend dem Gewicht der Pressefreiheit warfen sie nun ebenfalls ein Recht von Verfassungsrang in die Waagschale, die Freiheit des Mandats. Abgeordnete sind, heißt es in Artikel 38 Grundgesetz, als Vertreter des Volkes an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

Ein Verfassungsartikel, der Rechte und Pflichten markiert. Zu den Rechten gehört es, sich angemessen informieren zu können und dabei auch nötige Hilfsmittel zu erhalten, wozu auch die WD zählen. Das OVG geht nun noch einen Schritt weiter. Unter den Schutz der Mandatsfreiheit stellt es auch jegliche „Informationsbeschaffung“ der Abgeordneten. Denn es soll dem einzelnen Abgeordneten überlassen bleiben, „wie und auf welche Weise er seine Tätigkeit in der Öffentlichkeit präsentieren möchte“.

Ex-NPD-Chef Voigt bekommt, was den Bürgern vorenthalten wird

Mit anderen Worten: Was die WD heranschaffen, sollen die Parlamentarier exklusiv für ihre Polit-PR vermarkten dürfen. Die Mandatsfreiheit sichert ihnen demnach das Recht, behördliche Daten so darzustellen, wie es ihnen am besten passt. Außerdem befürchtet das Gericht, die Abgeordneten seien anhand ihrer Anfrage identifizierbar, denn die Presse verfüge über typisches „Zusatzwissen“, um Auftraggeber dingfest zu machen. Wie allerdings bei einem allgemeinpolitischen Thema wie dem NPD-Verbot mit „Zusatzwissen“ zuverlässig auf einzelne Auftraggeber geschlossen werden könnte, erläuterten die Richter nicht. Vielmehr befürchten sie, dass sich die Abgeordneten künftig nicht mehr „unbefangen“ an die WD wenden, wenn ihr „Informationsbeschaffungsverhalten“ bekannt würde, zumal ihr Ansinnen mit Fraktionsvorgaben „möglicherweise nicht kompatibel“ sei.

Die Wissenschaftlichen Dienste bleiben damit vorerst eine staatliche Geheimdatenbank – obwohl sie Grundlagen demokratischer Politik für gewählte Volksvertreter beschaffen sollen. Ein Widerspruch? Publik wird, was die WD selbst für Volksaufklärung halten und auf ihrer Webseite veröffentlichen. Sonst nur, was einzelne Parlamentarier in ihrem eigenen Interesse an Journalisten weiterreichen. Die Ausschlusstechnik führt zu zwiespältigen Ergebnissen. Etwa dem, dass der frühere NPD-Chef Udo Voigt, der heute Abgeordneter des Europaparlaments ist, die WD-Gutachten zum drohenden Parteiverbot in eben dieser Eigenschaft bekommen darf, während sie für Wähler und Nichtwähler der NPD auf ewig ein Geheimnis bleiben sollen.

Der Bundestagsverwaltung sind solche Folgen gleichgültig, ihr geht es um ein Prinzip: Die Parlamentsbehörde soll ihrer Ansicht nach überhaupt nicht zu Auskünften verpflichtet werden dürfen, die die engere Parlamentsarbeit betreffen. Eine rigide Haltung, die das OVG jedenfalls bisher noch nicht teilt. Der Streit um eine Öffnung der Wissenschaftlichen Dienste wird also weitergehen, auch vor Gericht. Dort steht nach dem Eil- nun das Hauptverfahren an.

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