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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan.

© dpa

Einfluss der Türkei: Erdogans Lobby in Deutschland

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogang nimmt Einfluss auf die politische Debatte in Deutschland. Dabei kann er auf gut organisierte Unterstützer, auch in zwielichtigen Milieus, zählen.

Von Frank Jansen

Sie sind schon lange Anfeindungen ausgesetzt, die Gegner des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdogan. In der Türkei wie in Deutschland. Doch die Hasswelle, die hier jetzt türkischstämmige Regimekritiker überrollt, ist noch heftiger. Er werde als "Verräter, Armenierschwein, Hurensohn, armenischer Terrorist und sogar Nazi" beschimpft, sagte Grünenchef Cem Özdemir kurz vor der Resolution des Bundestags zum Völkermord des Osmanischen Reichs an den Armeniern im Ersten Weltkrieg. Inzwischen wird ihm und weiteren Abgeordneten sogar mit Mord gedroht, nachdem Erdogan die Parlamentarier als verlängerten Arm der kurdischen Terrororganisation PKK bezeichnet hatte. Aber Özdemir traut sich, über die Attacken zu sprechen. Andere Erdogan-Gegner haben den Mut nicht mehr.

Eine türkischstämmige SPD-Politikerin bittet den Tagesspiegel, ihren Namen nicht zu nennen. Auch nicht das Bundesland, in dem sie aktiv ist. Die Flut von Hassmails mit Drohungen und obszönen Beleidigungen hat die Frau so verängstigt, dass sie sich zu Erdogan und Armenien und weiteren Reizthemen erst mal nicht mehr öffentlich äußert. Sie meidet sogar Straßen, in denen Erdogan-Sympathisanten und andere Nationalisten sie erkennen könnten.

Die extremen Emotionen bei den Gegnern der Armenien-Resolution sind ein Indiz für ein zunehmend raueres Klima in der türkischen Community. Da breitet sich eine nationalistisch-islamistische Szene aus, die Andersdenkende massiv unter Druck setzt. Analog zu den autoritär aggressiven Tendenzen der türkischen Regierung. Allerdings machen auch einige Erdogan-Gegner, vor allem die PKK, bei der Eskalation kräftig mit. Doch die Szene der Erdogan-Fans und die um sie wabernden Milieus, bis hin zu Rechtsextremisten und Rockern, ist größer.

Kraftzentrum des Geflechts sind Organisationen und Institutionen, die um einen seriösen Ruf bemüht sind – eine Distanzierung von der Hetze gegen Cem Özdemir und andere ist jedoch nicht zu erkennen.

557 Organisationen haben einen Protestbrief an Bundestagsabgeordnete unterschrieben

Die "Union Türkisch-Europäischer Demokraten (UETD)" tritt, flankiert von Erdogan-treuen Medien, als Lobbyist der türkischen Regierungspartei AKP auf. Das Selbstverständnis klingt trotz einer meist gemäßigten Sprache auf ihrer Homepage totalitär. "Die UETD ist eine gemeinnützige und überparteiliche Organisation aller in Europa lebenden türkischen und türkisch-stämmigen Bürgerinnen und Bürger. Sie vertritt die Interessen von rund sieben Millionen EU-Bürgerinnen ("und -Bürgern" fehlt) türkischen Ursprungs, von denen alleine mehr als drei Millionen in Deutschland leben", verkündet der Vorstandsvorsitzende Zafer Sirakaya. So werden alle türkischstämmigen Migranten in der EU von der UETD und damit indirekt von Erdogans AKP vereinnahmt. Ungefragt. Wer aus der Türkei kommt, gehört zur UETD.

Die Allmachtsfantasie passt zum Auftritt Erdogans 2008 in Köln. Bei einer Veranstaltung in der Köln-Arena, organisiert von der UETD, rief der damalige Ministerpräsident 20.000 "Brüdern und Schwestern" zu, Assimilation sei "ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Ein Türke hat im Ausland ein Türke zu bleiben. Und damit im Einflussbereich der UETD.

Konsequent steht sie denn auch auf Platz eins in der Liste der 557 Organisationen, die den Brief unterzeichnet haben, der vor der Armenien-Resolution an alle Bundestagsabgeordneten ging. "Ein solcher, auf politischen Motiven basierender Beschluss würde auch die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei tiefstens erschüttern", steht da in fetten Buchstaben. Beim Blick auf die lange Liste der Unterzeichner ist zu ahnen, welchem psychischen Druck vor allem die türkischstämmigen Abgeordneten ausgesetzt werden sollten. Als wäre ihre Stimme für die Resolution eine gegen Türken an sich.

Kritik an Erdogan ist unbekannt

Auf Platz zwei der Liste findet sich die "Türkisch Islamische Union der Anstalt für Religion e. V. (Ditib)". Sie ist der vom türkischen Staat gelenkte Dachverband von etwa 900 Moscheevereinen in Deutschland. Kritik an Erdogan ist unbekannt und wäre auch überraschend – der türkische Staat schickt regelmäßig handverlesene "Hodschas" (Vorbeter). Die Unterzeichnung des Briefs gegen die Armenien-Resolution zeugt denn auch von Linientreue. Und sie hat Wucht. Die Ditib-Moscheen sind die zentrale religiöse Instanz der sunnitischen Türken.

Weit oben auf der Liste steht auch die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG)". Das Bundesamt für Verfassungsschutz bescheinigt ihr in Teilen eine extremistische Zielsetzung. Generalsekretär war bis 2015 Mustafa Yeneroglu, einer der eifrigsten Erdogan-Propagandisten. Heute sitzt er für die AKP im türkischen Parlament. Ende Mai antwortete er in der Talkshow von Anne Will auf ihre Frage, ob Erdogan ein "lupenreiner Demokrat" sei, wie aus der Pistole geschossen: "Selbstverständlich!" Und es stelle sich "die Frage des Ein-Mann-Systems in keinster Weise".

Ein weiterer Lautsprecher pro Erdogan ist der deutsch-türkische Unternehmer Remzi Aru. Vor zwei Wochen behauptete er in der Talkshow von Sandra Maischberger, wenn es einen "kurdischen Helden" gebe, dann sei das "Erdogan selbst". Der Spruch klingt angesichts der Kämpfe in den türkischen Kurdengebieten zynisch, doch er passt zur Agitation von Aru und dessen Umfeld. Auf Arus Website wird die Linken-Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen, die auch in der Sendung saß, als "Terrormoppel" beleidigt. Und Aru versucht, für seine Propaganda einen Bundestagsabgeordneten der CDU einzuspannen. Beim Online-Portal "nachrichtenexpress" präsentierte er im Mai ein "Interview" mit Oliver Wittke, Ex-Oberbürgermeister von Gelsenkirchen. Er soll gesagt haben, "die Türkei ist das einzige demokratische islamische Land". Als Aru von Medienkampagnen gegen Putin und Erdogan sprach, soll Wittke geantwortet haben: "Es wird jeden Tag eine neue Sau durchs Dorf getrieben. Verantwortungsvolle Politiker sollten diesen Trend nicht auch noch verstärken."

Sicherheitskreise bescheinigen manchen Organisationen ein erhebliches Einschüchterungspotenzial

Als der Tagesspiegel nachfragt, wird Wittke wütend. Das Interview sei "teilweise falsch" und nicht autorisiert. Wittke betont, er würde die Türkei nur "halbwegs demokratisch" nennen. Von Aru ist kein Statement zu bekommen.

Ein weiterer glühender Erdogan-Anhänger mit Einfluss in der Szene in Deutschland ist der Security-Unternehmer Timur Yüksek. Auf seiner Homepage findet sich neben Fotos vom Auftritt bei Protesten in der Bundesrepublik auch das Bild eines Berliner Polizisten, der den Wolfsgruß zeigt, das Erkennungszeichen der rechtsextremen "Grauen Wölfe". Die Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus hat Innensenator Frank Henkel (CDU) eine Anfrage geschickt, die Antwort steht noch aus.

Die "Grauen Wölfe" zählen zum Spektrum der Nationalisten, das nicht eindeutig dem Erdogan-Lager zuzurechnen ist, aber parallel agitiert und teilweise martialisch auftritt. Sicherheitskreise bescheinigen Organisationen wie "Deutsches Neue Türken Komitee (AYTK)", "Turan e. V.", "Boxclub Osmanen Germania" und der Rockertruppe "Turkos MC" ein beträchtliches Einschüchterungspotenzial.

Die Umtriebe der Erdogan-Anhänger und weiterer Nationalisten hält Kader Konuk für einen Angriff auf die Demokratie. "Wir brauchen in Deutschland ein viel größeres Bewusstsein dafür, wie versucht wird, die Meinungsfreiheit und auch die Freiheit der Wissenschaft einzuschränken", sagt die Leiterin des Instituts für Turkistik an der Universität Duisburg-Essen. Sie war selbst Anfeindungen ausgesetzt und sieht als Drahtzieher auch türkische Diplomaten. Meinungsfreiheit und Wissenschaftsfreiheit, betont Konuk, "müssen vor den Interessen ausländischer Regierungen wie denen der Türkei geschützt werden".

Der Text erschien in der "Agenda" vom 7. Juni 2016, einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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