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Ferner Stern oder Zentrum Europas? Ein Blick hinter die Brüsseler Fassade.

© dpa

Wer hat die Macht in Europa?: Brüsseler Strippenzieher

Mit der Europawahl steht in der EU-Hauptstadt das Stühlerücken bevor. Deutsche Spitzenbeamte machen sich Hoffnungen auf wichtige Jobs.

Für die einen gleicht der EU-Betrieb in der belgischen Hauptstadt einem fernen, unwirtlichen Stern. Für die Berliner Europapolitiker hingegen ist das Leben auf dem Planeten Brüssel direkt mit ihrem eigenen politischen Dasein verbunden. Wenige Tage vor der Europawahl am 25. Mai dürften sie die Entwicklungen in der EU-Hauptstadt wohl noch genauer als sonst unter die Lupe nehmen. Denn mit der zu Ende gehenden EU-Legislaturperiode hat das personalpolitische Stühlerücken in Brüssel begonnen.
Nach der Europawahl endet im Herbst die Amtszeit von Kommissionschef José Manuel Barroso. Seit Beginn der europäischen Legislaturperiode, also seit 2009, ist der Deutsche Johannes Laitenberger Leiter von Barrosos Beraterstab. Der Posten – im Brüsseler Jargon heißt er Kabinettschef – ist ein Knochenjob. Mit Barrosos Ausscheiden aus dem Amt kommt auch Laitenberger in ruhigeres Fahrwasser: Er wird stellvertretender Generaldirektor des juristischen Dienstes der EU- Kommission.

Die zweite Reihe sucht sich ihre Plätze hinter Juncker und Schulz

Umgekehrt machen sich zwei deutsche EU-Beamte aus unterschiedlichen politischen Lagern Hoffnung, demnächst Kabinettschef des Barroso-Nachfolgers zu werden, über den nach der Europawahl entschieden wird. Gewinnen die Konservativen die Wahl, könnte Martin Selmayr den persönlichen Arbeitsstab des Luxemburger Ex-Premiers Jean-Claude Juncker leiten. Sollten die Sozialdemokraten mit ihrem Spitzenkandidaten Martin Schulz die Nase vorn haben, wird Markus Winkler möglicherweise als dessen Kabinettschef zum Zuge kommen. Selmayr agiert seit Anfang April als Junckers Wahlkampfmanager. Winkler ist nach Ostern vom Sessel des Kabinettschefs von EU- Parlamentspräsident Schulz auf den Posten eines Generaldirektors im Europaparlament gewechselt.

Aber auch in Berlin tut sich europapolitisch einiges. Am 1. Juni tritt der Österreicher Richard Kühnel sein Amt als Leiter der dortigen EU-Kommissionsvertretung an. Kühnel, der bislang die Kommissionsvertretung in Wien leitet, tritt die Nachfolge von Matthias Petschke an, der im Oktober nach Brüssel gewechselt war.

Altmaier bespielt die wichtigste europapolitische Rochade

Schon zu Beginn des Jahres hat sich in einem der Berliner Ministerien, die zu den Schaltstellen in der Europapolitik gehören, ein viel beachteter Wechsel abgespielt. Martin Kotthaus, der zuvor als Sprecher von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) zum inneren Kreis um den Ressortchef zählte, leitet jetzt die Europaabteilung im Auswärtigen Amt. Dort bringt er nicht nur seine finanzpolitische Expertise ein, sondern auch vielfältige Brüsseler Kontakte aus seiner Zeit als Sprecher der Ständigen Vertretung Deutschlands bei der EU. Die Personalie hat Symbolwert – hält das Außenamt doch so seinen Anspruch aufrecht, die Europapolitik entscheidend mitzuprägen.
In den anderen beiden europapolitischen Schlüsselministerien ist auf dieser Position hingegen nach der Bundestagswahl alles beim Alten geblieben. Im Bundesfinanzministerium wird die europapolitische Abteilung weiter von Thomas Westphal geleitet, im Wirtschaftsressort steht Claudia Dörr-Voß an der Spitze der EU-Abteilung.
Zu den wichtigen europapolitischen Rochaden in Berlin nach der Bundestagswahl gehört der Wechsel von Ex-Umweltminister Peter Altmaier (CDU) auf den Posten des Kanzleramtsministers. Altmaier, der bis 1994 in der Brüsseler Kommission arbeitete und formal als EU-Beamter immer noch beurlaubt ist, hat auch im Kanzleramt regelmäßig mit Europa zu tun. So schickte ihn Kanzlerin Angela Merkel (CDU) Anfang April nach Brüssel, um mit EU-Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia über die deutschen Industrierabatte bei der Ökostromumlage zu verhandeln.

Fast alle EU-Kommissare sind regelmäßig in Berlin und pflegen den Austausch mit den Fachministern. „Das Verhältnis zwischen Kommission und Bundesregierung ist nicht immer einfach“, sagt der Berliner Kommissionssprecher Reinhard Hönighaus. „Das ist ganz normal: Die EU-Kommission will in Berlin nicht geliebt werden.“ Vielmehr bestehe die Aufgabe der Brüsseler Behörde darin, die unterschiedlichen Interessenlagen in Europa zu moderieren und auszugleichen.

Merkel kann auf gute Vertretung deutscher Interessen in Brüssel hoffen

Beispiele für Interessengegensätze zwischen Brüssel und Berlin gab es in der jüngeren Vergangenheit zuhauf: der Streit um Abgasnormen für deutsche Pkws, die Ausgestaltung der Bankenunion und – bis der Europäische Gerichtshof die Regelung kippte – die Vorratsdatenspeicherung. Grundsätzlich muss sich Merkel nicht allzu viel Sorgen machen, dass die deutschen Interessen in der Kommission nicht gehört werden. Denn im Stab des Kommissionschefs Barroso gibt es jeweils eine Person, die für eines der 28 EU-Länder „abgestellt“ ist und die politische Diskussion in den jeweiligen Staaten verfolgt. Um Deutschland kümmert sich der Kölner EU-Beamte Henning Klaus. Aber offenbar nicht nur um Deutschland: Ende 2012 warf die Transparenz-Initiative „Corporate Europe Observatory“ Klaus und anderen Mitarbeitern aus Barrosos Stab vor, sich mit Vertretern der Tabak-Lobby, darunter einem Vertreter des Europäischen Verbandes der Zigarrenhersteller, getroffen zu haben, ohne die Begegnung öffentlich zu machen. In der Kommission wird hingegen betont, dass in Brüssel der Umgang mit Interessenvertretern transparenter gehandhabt werde als anderswo auf der Welt. Dabei wird auf das im Jahr 2011 eingeführte Lobbyregister verwiesen.

Die Agenda-Titelseite vom 20. Mai.
Die Agenda-Titelseite vom 20. Mai.

© Tsp

In Berlin stehen Merkel und das Kanzleramt unterdessen nicht mehr ganz so stark im Zentrum des europapolitischen Geschehens wie noch in den turbulentesten Tagen der Euro-Krise. Damit rücken die Berliner Fachressorts wieder stärker in den Vordergrund. Aber spätestens wenn der nächste EU-Gipfel ansteht, müssen die Minister die Brüsseler Bühne wieder für Merkel räumen. Dann wird Merkels Mann für Europa, Nikolaus Meyer-Landrut, aller Voraussicht nach wieder mit dem Belgier Didier Seeuws telefonieren, um das Spitzentreffen zu planen. Meyer-Landrut ist Leiter der Europa-Abteilung im Kanzleramt, Seeuws arbeitet in Brüssel als rechte Hand des EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy. Gemeinsam haben sie eine Mission: die Vermeidung böser Gipfel-Überraschungen. Bis heute ist jene Gipfelnacht im Juni 2012 unvergessen, als die Krisenländer gegen den Willen der Kanzlerin eine Regelung zur Rekapitalisierung von Pleitebanken durchdrückten. Merkel hat die Niederlage nicht vergessen.

Dieser Text erschien in der "Agenda" vom 20. Mai 2014 - einer neuen Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag in Sitzungswochen des Bundestages erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie jeweils bereits am Montagabend im E-Paper des Tagesspiegels lesen. Ein Abonnement des Tagesspiegels können Sie hier bestellen:

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