zum Hauptinhalt
Forschung XXL. Die Helmholtz-Gemeinschaft ist für Großgeräte zuständig und für die Erforschung großer gesellschaftlicher Fragen. Das Foto zeigt einen Sonnensimulator am DLR-Institut für Solarforschung.

© promo

Wie der Bund forscht: Merkels Liebling

Mit der Helmholtz-Gemeinschaft macht der Bund Wissenschaftspolitik. Benachteiligt er damit andere Forschungseinrichtungen?

Wenn die Helmholtz-Gemeinschaft am 24. Juni ihren 20. Geburtstag begeht, will Bundeskanzlerin Angela Merkel mitfeiern. Auch sonst wird der Bund bei dem Festakt in der Hauptstadtrepräsentanz der Deutschen Telekom gut vertreten sein: von Bundesforschungsministerin Johanna Wanka sowie von ihren Vorgängerinnen und Vorgängern Annette Schavan, Edelgard Bulmahn und Jürgen Rüttgers. Politiker aus den Ländern kommen im Festprogramm hingegen nicht vor. Das ist kein Zufall: Die Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren (HGF) ist das Forschungsinstrument des Bundes. 90 Prozent ihres Zuschusses bekommt die HGF vom Bund, nur zehn Prozent von den Ländern. Die Kosten der Max-Planck-Gesellschaft und der Leibniz-Gemeinschaft teilen sich Bund und Länder hingegen zur Hälfte. Die Dominanz des Bundes bei der HGF hat Folgen. Er kann die HGF inhaltlich gemäß seiner eigenen Forschungsstrategie ausrichten und über sie Wissenschaftspolitik betreiben – die Länder stehen kaum im Weg. Und er kann seine HGF finanziell gut ausstatten – weit besser als die klammen Länder ihre Hochschulen. Die HGF ist stark.

Vielleicht sogar zu stark, wie manche argwöhnen. So gab es bei den Universitäten und den anderen drei großen außeruniversitären Einrichtungen Leibniz, Max Planck und Fraunhofer im Jahr 2012 erhebliche Verstimmungen, als die HGF in ihrem Strategiepapier „Helmholtz 2020“ eine „führende Rolle“ im Wissenschaftssystem beanspruchte. Jürgen Mlynek, Präsident der HGF, bemüht sich seitdem, die Gemüter zu beruhigen. Die HGF wolle „auf Augenhöhe“ forschen, versichert er.

Großgeräte und große Themen

Das ist für die HGF aber nicht immer leicht. Schon durch ihren Auftrag überragt sie alle anderen: Sie ist zuständig für den Betrieb und die Entwicklung von Großgeräten, die von Tausenden von Wissenschaftlern aus aller Welt genutzt werden, wie etwa die Teilchenbeschleuniger des Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY) in Hamburg, der Elektronenspeicherring Bessy II in Berlin oder die Super-Computer in Jülich. Die Wurzel der 1995 gegründeten HGF ist der im Jahr 1958 gegründete „Arbeitsausschuss für Verwaltungs- und Betriebsfragen der deutschen Reaktorstationen“. Die Atomforschung rückt in der HGF zeitgemäß in den Hintergrund. Noch bis 2008 betrieb das HelmholtzZentrum München das Atommülllager Asse, bis ihm wegen des Skandals die Zuständigkeit entzogen wurde.

Die Politik bestimmt mit, worüber geforscht wird

Die Aufgabe der HGF geht mittlerweile über die Großgeräte weit hinaus. Sie soll „zur Beantwortung drängender Fragen von Wissenschaft, Gesellschaft und Wirtschaft“ beitragen, wie das Bundesforschungsministerium formuliert. Sechs große Gebiete erforscht die HGF: Energie, Erde und Umwelt, Gesundheit, Materie, Schlüsseltechnologie sowie Luft- und Raumfahrt und Verkehr. In diesem Jahr hat Deutschlands größte Forschungsorganisation ein Budget von knapp vier Milliarden Euro. Über 38 000 Mitarbeiter arbeiten an den 18 Forschungszentren. Weit stärker als sonst in der deutschen Wissenschaft üblich bestimmt die Politik bei der HGF mit, worüber geforscht wird. Die Zentren müssen sich in Konkurrenz zueinander um Mittel der Programmorientierten Förderung (PoF) bewerben. Die forschungspolitischen Ziele der fünfjährigen Programme werden von Helmholtz-Vertretern mit Vertretern der Politik diskutiert. Die Entscheidung liegt bei den Zuwendungsgebern: der Forschungsministerin und Vertretern von Sitzländern der Helmholtz-Zentren.

"Universitäten forschen besser, günstiger und kreativer"

Große Fragen verlangen Forschung im großen Stil – der Bund und Helmholtz machen sie möglich. Was einleuchtend klingt, ist in der scientific community umstritten. Fortschritte in der Forschung ließen sich keineswegs mit viel Geld in Fünfjahresplänen erzwingen, entlang etwas ausgetretener Forschungspfade, wie die Politik sie vorgibt, heißt es. Große Durchbrüche seien nicht planbar. Sie würden oft durch Zufälle herbeigeführt. Die HGF bekommt also Geld, das anderen für diese Forschung fehlt, ist aus zwei Wissenschaftsorganisationen zu hören. Offiziell will man sich aber nicht äußern. HGF-Präsident Jürgen Mlynek kann solche Argumente nicht nachvollziehen: „Die Helmholtz-Gemeinschaft hat in den vergangenen zehn Jahren zwei Nobelpreise gewonnen und erhält bei den internationalen Begutachtern aller seiner Forschungsprogramme regelmäßig Bestnoten“, erklärt er. Josef Pfeilschifter, Medizinprofessor in Frankfurt am Main und Vizepräsident des Hochschulverbands, meint jedoch: „Universitäten forschen besser, günstiger und kreativer.“ Pfeilschifter befürchtet, dass die HGF „in großem Maßstab weiter wachsen will“ – zulasten anderer: „Großpflanzenfresser schaffen erst die Lebensräume, in denen sie gedeihen – sie fressen und trampeln sie sich in Form.“

Deutsche Gesundheitszentren: Helmholtz war gesetzt, Unis mussten sich bewerben

Pfeilschifters kritische Sicht geht auf das Jahr 2009 zurück, in dem die HGF im großen Stil in die Medizin einstieg. Damals kündigte sie an, in der Erforschung der großen Volkskrankheiten wie Krebs oder Diabetes „die Rolle des nationalen Impulsgebers zu übernehmen“. Die damalige Forschungsministerin Schavan rief dazu sechs Deutsche Zentren für Gesundheitsforschung (DZG) ins Leben. Jeweils ein medizinisches Helmholtz-Zentrum sollte mit anderen außeruniversitären Instituten und Unis kooperieren. Doch die Helmholtz-Zentren waren als „cash cows“ des Bundes schon gesetzt, während sich die Uniklinika einer „Besten-Auswahl“ zu stellen hatten. Ein Affront. Vor allem, wenn man anzweifelt, dass die Qualitätssicherung für Helmholtz-Programme wirklich taugt. Der Wissenschaftsrat will im Herbst darlegen, wo die Schwächen liegen. Der Bundesrechnungshof hatte im Jahr 2011 festgestellt, der „wirkungsvolle Einsatz der Forschungsmittel bei der Helmholtz-Gemeinschaft“ sei „nicht sichergestellt“. Und das, obwohl der Zuschuss für Helmholtz vom Staat sich in zehn Jahren fast verdoppeln werde. Viele Forscher lassen sich jedoch gerne von der HGF aus den Unis abwerben, mit einer besseren Ausstattung und besserer Bezahlung: „Helmholtz gräbt ab, zu unserem Nachteil“, sagt Bernhard Kempen, der Präsident des Hochschulverbands.

Die Leibniz-Gemeinschaft erlitt einen tiefen Schock

Oder die HGF übernimmt gleich ein ganzes Institut. Die Leibniz-Gemeinschaft erlitt einen tiefen Schock, als sie im Jahr 2011 ihr Kieler Institut für Meeresforschung Geomar an Helmholtz abtreten musste. Bundesforschungsministerin Schavan nahm damit Schleswig-Holstein eine finanzielle Last von den Schultern. Das Land sollte gefügig gemacht werden für seine Zustimmung zum Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Die von der Bundesregierung eingesetzte Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) warnte vor einer „Helmholtzifizierung“. Noch andere Institute könnten angesichts der Schuldenbremse bald „zur Entlastung klammer Länderhaushalte“ in die HGF geschoben werden und ihre Autonomie verlieren, wenn der Bund bei der Forschung mitredet.

"Helmholtz hat sich zu einem zentralen Akteur entwickelt"

Der Eindruck entstand, der Bund könne über die HGF in der unterfinanzierten Wissenschaft shoppen gehen. Kurz nach dem Geomar-Skandal kündigte Schavan eine Teilfusion eines Helmholtz-Zentrums an, nämlich des Max-Delbrück-Centrums, mit dem Uniklinikum Charité. Unterstützt mit 270 Millionen Euro vom Bund bis 2018 entstand das Berliner Institut für Gesundheitsforschung (BIG).

Die Helmholtz-Gemeinschaft hat sich „zu einem zentralen Akteur der Wissenschaftspolitik entwickelt“, erklärt Nicole Gohlke, die wissenschaftspolitische Sprecherin der Linken. Die HGF kooperiere so häufig mit Unis in Projekten der Deutschen Forschungsgemeinschaft wie keine andere außeruniversitäre Organisation. Die beabsichtigte Konzentration der Forschung auf wenige große Standorte werde es dem Bund erlauben, „nicht nur die Forschungspolitik zu beeinflussen, sondern – wenn auch langfristig – regionale Entwicklungen mitzubestimmen“.

Nur noch die Linke ist für einen neuen Finanzierungsschlüssel

Um die Balance zu wahren, haben die Max-Planck-Gesellschaft, die Leibniz-Gemeinschaft sowie die EFI-Kommission einen anderen Finanzierungsschlüssel gefordert. Alle vier Forschungsorganisationen sollten von Bund und Ländern im Verhältnis 70 zu 30 bezuschusst werden. Aber nur noch die Linke ist dafür. Kai Gehring, der wissenschaftspolitische Sprecher der Grünen, schlägt vor, der Bund solle lieber massiv die Grundfinanzierung der Unis unterstützten. Das Anfang des Jahres geänderte Grundgesetz würde das erlauben. Dass der Bund das vorhat, ist jedoch noch nicht zu erkennen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false